Tjo, Nikolai…

Die quer durchs Land genudelte Cancel Culture, über die sich manche so übelst aufregen, ist einem eben nur so lange egal, bis es wen erwischt, den man selber gut findet.

Tjo, da war ich als großer Freund des geschmacklosen Humors letzte Woche so schön euphorisch, dass der lustige Nikolai Binner in meiner Nachbarschaft eine Reihe namens Cancelled Comedy Club hochgezogen hat, in der endlich mal wieder bissige, freche, witzige statt dröge, staubige, superkorrekte Haltungscomedy fabriziert wird, und dann wird der Cancelled Comedy Club schon nach der ersten Veranstaltung gecancelt. Weil sich Leute darüber vom Wohnzimmersofa aus ins Internet hineinbeschwert haben und die Location – wie immer, wenn sich mal wieder welche aus dem Gesinnungssumpf aufgeregter Aktivisten mit Hypertonieproblemen in ihrem sauber choreographierten Klärschlammschwarm beschweren – eingeknickt ist.

Nee. Wirklich nicht. Immer noch nicht. Ich mag mich nicht daran gewöhnen, mit welcher beiläufigen Selbstverständlichkeit auch hier nun wieder Worte und vor allem die Ressourcen für die Worte abgeschnitten werden. Mit welcher Impertinenz sie inzwischen Bühnenkunst beschneiden, die nicht mehr frei bleiben soll. Und welchen Erfolg sie damit immer wieder haben.

Ja. Stimmt schon, was Sie jetzt denken. Er hat ja formell gar kein Auftrittsverbot. Und Zensur ist das auch nicht. Aber das ist nur die halbe Meile. Denn es ist inzwischen gar nicht mehr notwendig, irgendwem ein formelles, gar behördliches Auftrittsverbot zu geben. Oder irgendwas staatlich zu zensieren. Viel zu plump. Und angreifbar. Sowas regelt heute der Markt und der Markt ist woke. Bügeln Sie also als Comedian gegen den aktuellen Strom, machen sich gar über Dinge lustig, über die man sich nicht lustig machen soll (die Maßnahmen, oh die Maßnahmen!), dann war’s das mit der Bühne. Sie kriegen dann halt einfach keine mehr. Vertragsfreiheit. Privatrecht. Ausgelagert. Kennen Sie ja von den zahllosen zu löschenden Videos bei Youtube. Auch Privatrecht. Ausgelagert. Hey. Kann keiner was machen. Sorry.

Und damit das auch bitte so bleibt mit dem Fernhalten von möglichen künftigen Bühnen, wird die Reputation des Satirikers, des Oppositionellen, des Maßnahmenkritikers, you name it, in den sekundierenden Portalen von Tagesspiegel über Watson bis ganz frisch was Binner betrifft zur taz flankierend aus dem Nichts und ohne so etwas Irrelevantem wie Beweise mit unverhältnismäßiger Brutalität bis zur Wurzel abgefackelt, auf dass das mit der No Show auf den Bühnen der Stadt für alle Zukunft so bleibt, weil sich kein Gastronom die Finger verbrennen und den Hackemob einsterneklickend für immer in seinen Googlebewertungen haben mag, nur weil er den Binner da auf der hauseigenen Bühne ab und zu seine (zugegeben manchmal heftigen, aber hey, Kunst) Witzchen hat machen lassen.

Dahinter steckt ein Konzept und es wird inzwischen bei jedem nach Drehbuch angewandt, der den Kopf etwas zu dreist, zu rotzig oder gar quer (buhu) in die Öffentlichkeit reckt. Es heißt Deplatforming und trifft inzwischen also sogar einen jungen Nachwuchskünstler ohne irgendeine nennenswerte Zahl an Followern, der sich noch nicht einmal einen Namen gemacht, sondern gerade erst in einem gammligen Keller irgendwo in Prenzlauer Berg angefangen und mich dabei für ein paar wenigen Euro, die er dafür wollte, sehr gut unterhalten hat. Kann er jetzt nicht mehr. Mich unterhalten. Kriegt nicht mal mehr den ranzigen Kohlenkeller für seine Show gemietet. Na bravo. Wie mutig, diese Sofahelden an ihrem Smartphone. Seid mal schön stolz. 

Ich versteh’s nicht. Bin ratlos, was sie sich davon versprechen. Wo sie damit hin wollen. Gesellschaftlich. Und generell. Ich käme nie auf die Idee, jemanden, dessen Position ich nicht teile, Veganer, Gendertröten, Radfahraktivisten oder wegen mir auch diese ganzen nervlich überdrehten Weltuntergangsapologeten, löschen lassen zu wollen, auf dass sie nicht mehr gehört werden. Oder keine Bühne mehr kriegen. Sollen sie reden dürfen. Meine Güte. Natürlich sollen sie das. So viel sie wollen. Wenn es ein Publikum dafür gibt, bitte gerne. Wettbewerb der Ideen. Offener Austausch. Freie Rede. Eine (früher mal selbstverständliche) Selbstverständlichkeit, die nicht mehr gilt, seit die persönliche Größe, andere Standpunkte, Ansätze, Lebensweisen einfach entspannt auszuhalten nur noch eine Fähigkeit aus einem fernen Altertum (Ende Nuller-, Anfang Zehnerjahre) ist. Im Prinzip macht Binner ja nichts anderes als dieser Satiriker mit dem Ziegenfickgedicht früher, den sie heute als Social Justice-Helden durchs Gebührenfernsehen schleifen. Er provoziert. Dummerweise halt die Falschen. Jene, die’s nicht verknust bekommen.

Fertig? Nein, bin ich noch nicht. Gar nicht. Ich bin nämlich ganz grundsätzlich sauer. Weil irgendwelche Leute jetzt auch für mich entscheiden wollen, was ich nicht mehr auf einer Bühne sehen sollen darf. Weil sie jetzt einen, den ich mag, nicht nur nirgendwo mehr auftreten lassen, sondern ihn gleichzeitig reichweitenstark in Diffamierungsabsicht in einem ihrer Organe mit klebrigem Wortkot überzogen und in eine Ecke gestellt haben, in die er nicht gehört. Und überhaupt nervt mich diese ganze schiefe, absurde und vollkommen bigotte Machtkonstellation im Diskurs inzwischen. Denn parallel zu denen, die einen kleinen, unbekannten Darsteller des Stilmittels der (ja doch) überzeichenden Satire mit abstoßender apfelessigernster journalistischer Aggressivität in die giftmüllige Beseitigung schreiben, inszenieren sich satte twittertrötende Politiker in plüschgepolsterten Berliner Regierungssesseln mit einem dicken fünfstelligen monatlichen Nettosalär, Dienstwagen und Hofstaat tugendsignalisierend als ständiges Daueropfer derer da unten, über die sie regieren, was von den parteipolitisch verfilzten Nachrichtenportalen, die gleichzeitig mittellose Satiriker wie Nikolai Binner mit hanebüchenen Vernichtungsartikeln belegen, wohlwollend begleitet wird.

Die Verhältnisse haben sich damit vollkommen umgedreht. Journalismus versteht sich heute als Bodyguard der Regierenden und schützt sie nicht nur vor ihren Kritikern, sondern greift einzelne davon sogar aktiv an. Bevorzugt mit der Faschokeule als panzerbrechender Artillerie, die vom guten Ruf des zu Erlegenden nichts mehr übrig lässt. Das möglichst früh auch, am besten sobald sich ein erstes Köpfchen zeigt. Bevor der zu groß wird und man den nicht mehr klein kriegt. Wer weiß was aus dem sonst würde. Also vorsorglich erstmal plattmachen. Draufhauen. Mit allem was da ist. Oder auch nicht da ist. Weil irgendwas bleibt ja immer hängen. Easy popeasy. Bestrafe einen, erziehe hunderte. Altes Credo zwar. Klappt aber immer.

Gute bissige und, ja natürlich, gnadenlos überzeichnete Satire, die eine ganze Faust in die offenen Flanken des ganzen täglichen Vollidiotentheaters rammt, wird in so einem Klima zunehmend verunmöglicht, so wie überhaupt Kritik an allen diesen überforderten Entscheidergestalten und ihren Profiteuren, deren Woche für Woche unlogischer werdende Dekrete inzwischen ganz offen als gar nicht mehr kritikabel (die Maßnahmen, oh die Maßnahmen!) deklariert werden.

Früher waren wir uns mal einig, dass Satire alles darf und haben uns dafür eingesetzt, dass sie unbedingt und unbeeinträchtigt reden darf, gerade wenn wir ihr inhaltlich möglicherweise gar nicht überallhin folgen können, so wie es mir auch mit Binner geht. Doch Satire ist so eingezäunt gar nicht mehr frei in ihren Mitteln. Sie kann den Mächtigen in so einem Umfeld nicht mehr so ungehindert wie noch vor zehn, fünfzehn Jahren einen schmerzfröhlich furzenden Spiegel vorhalten, sondern muss entweder jede Pointe sorgsam daran abwägen, was aktuell gesagt und vielmehr nicht mehr gesagt werden darf (was sie zahnlos und somit überflüssig werden lässt) oder muss mit buttersäurigem Verleumdungskot beschossen und mit ruinierter öffentlicher Weste von allen Bühnen abtauchen, fortan aus den schmierigen Nischen senden, in abseitigen Messengern mit wenig Reichweite um Paypalsteinchen betteln gehen, während der feiste Oliver Welke oder der nur noch traurig anzusehende Christian Ehring mit meinen Quartalsgebühren keinem Entscheider da oben in den Machtsesseln mehr weh tun, sondern nur noch welchen, die unten an den Grasnarben als Freakshow zusammengeschnitten sowieso zum Abschuss freigegeben wurden. Hey. Sind ja Freaks. Kuck mal wie die aussehen. Hahaha. Pfröööööt. Wollemosereilasse?

Was jetzt? Gehört der Binner also in den unappetitlichen Topf, in den die taz ihn so belegfrei bedenkenlos wirft? Natürlich nicht, aber das ist auch egal. Er reicht der Ruch. Das Gerücht. Der Gossip. Die Selbstvergewisserung. Hauptsache weg vom Sims mit dem Typen. Zweck. Mittel. Heilig. Dingeling. Köpfe müssen rollen für den Sieg. Und gestorben wird immer. Fresse jetzt.


Ich hab‘ für Binner leider keine Räumlichkeiten in Berlin, die ich vermieten könnte, und daher auch keine, die einen dieser aufgeregten Sofaheldenshitstorms aushalten könnten. Sie vielleicht? Aus Prinzip hier der Link für den Kontakt: http://nikolaibinner.de