Herzlichen Glückwunsch, es ist ein Honk (49)

An manchen Tagen klebt auf meiner Stirn ein nur für eine klar umrissene Zielgruppe sichtbarer Hinweis: Lieber stinkender Irrer, bitte sprich‘ mich an, sei laut, übergriffig und schütte mich bitte mit ganz viel Scheiße zu.

Und das machen die dann auch.

Es ist ein dummer Apriltag. Greifswalder Straße ging das schon los. Höhe Pasteur. Tipp tipp, icke umdreh‘, Mucke aus’m Ohr, da legt er los: „Uggaugga uuuurööööhgnä gnä.“ „Kein Plan was du meinst, Alter.“ „Ugnuääääh ragnarökülölölöööööö.“ Sabberfaden am Maul. Stinkt wie Grotte. One Shot Magensaft schießt mir in den Hals. Icke weg.

Der Nächste folgt oben auf dem Bahnsteig. Hält stolz seine Pulle Kindljubi hoch. Trinkt einen Schluck. Spuckt aus. Schreit. Nicht zu verstehen. Irgendwas mit RÄÄÄÄH und RAAAAAAH. Und auch RÖÖÖH. Dann kippt er etwas aus der Flasche auf den Bahnsteig, in Sichtweite der Kotze vor dem wie immer verlassenen Aufsichtshäuschen. Trinkt. Spuckt das Bier hoch. Als Fontaine. Schreit ob des Kunststücks vor Begeisterung. RUUUUUH! Kippt wieder was aus der Flasche. Knallt sie danach mit Verve auf den Bahnsteig, weswegen sie zerspringt. Dann fixiert er mich. Ich drehe mich weg. Zu spät. Er schreit zu mir jetzt. In meine Richtung. Gestikuliert. Fixiert. Mein Fehler. Ich habe ihn angeschaut. Ihm Beachtung gegeben. Berlins Irrenregel Nummer Eins nicht beherzigt: Ignorieren. Ausblenden. Nie anschauen. Durch sie durchschauen. Schauste sie an, kommen sie angeschissen. Wollen Kontakt aufnehmen. Wie der jetzt. Gibt so Tage und heute ist so einer. Berlin gewaltschwanger. Wackel Wackel. Walking Dead.

Ich muss hier weg. Ab in die S8. Der Bierflaschenmann bleibt zurück und schaut mir verloren gegangenem Rezeptor seines Kontaktwunsches sehnsüchtig nach. Lalü. Tür zu.

Kurz vor Frankfurter Allee brabbelt ein weiterer Verspulter mit Maulgünther die S-Bahn-Türe voll, schlägt auf sie ein, dann auf die Haltestange in der Mitte des Durchgangs. Auch irgendwas mit Gnägnä. Oder Gululu. Geht dann Ostkreuz einen Wagen weiter, wonach kurze Ruhe bis Plänterwald folgt. Dort angekommen spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. Tipp tipp. Ein Bärtiger redet von der Seite auf mich ein. Gestikuliert wild. Ich höre nichts, pule mir wieder die In-Ear-Mucke aus der Muschel.

„Was gibt’s?“

„Brabbel brabbel Köllnisch Heide.“

„Sie wollen zur Köllnischen Heide?“

Er, lauter:

„Brabbaammradammaaaaaa KÖLLNISCH HEIDE!“

„Puh …“

„ARAM!!!!“

(sam sam, gulli gulli gulli …)

„Okay. Sie fahren jetzt eine Station weiter nach Baumschulenweg…“

„WEEEEEEEEEEEEEEEG? KÖLLNISCH HEIDEEEEE!!!“

(brüllt jetzt sehr laut)

„Baumschulenweg. Da steigen Sie aus. Dann fahren Sie mit der S46 in die andere …“

„WEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEG?“

Natürlich. Ein Irrer. Ich wusste es. Ich. Irrenmagnet. Alle Berliner Irren lieben mich. Und ich habe dazu noch Fehler Nummer Zwei gemacht. Nicht nur angeschaut, sondern mit ihm geredet. Heute peil ich’s echt nicht mehr. Passiert mir sonst nicht, aber heute bin ich doof, missachte alle Regeln meiner von Irren hartpenetrierten Stadt, die ich eigentlich wie jeder hier verinnerlicht habe und die sogar mein Kind, das jeden Tag auf dem Schulweg die Wege irgendwelcher komplett verstrahlter Irrer kreuzt, schon bis zur Perfektion drauf hat.

„WEEEEEEEEEEEEEEEEEEG?“

Dann nach hinten hinaus stimmlich höher werdend:

„WEEEEEEEEEEEEEEEEEIIIIIIIIIIIIIIIIIIG?“

Und grinst.

(au mann, ich Idiot. Oberste Regel: Nicht reagieren in der Berliner Öffentlichkeit. Auf niemanden. Denn es gibt immer Stress. Lern’s doch mal.)

„Ja, Baumschulen …“

„WEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEG!!! WEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEGNÄÄÄÄÄÄÄÄÄ!!!“

„Ja, Arafat liebt dich, Alter.“

(ich kann in solchen Situationen immer noch nicht meine Fresse halten, mein Gendefekt, muss denen immer noch einen mitgeben, kann es nicht ein Mal sein lassen, jeez, wenn das mal nicht irgendwann ein Messer in die Bauchdecke oder eine Axt in den Schädel hagelt, weiß ich auch nicht …)

„Aram.“

(er. Plötzlich friedvoll. Deutlich besänftigt.)

Sagt’s. Strahlt. Will mich küssen. Arme schon ausgestreckt. Lässt es dann. Steigt Baumschulenweg aus. Macht sich auf den Weg zum gegenüberliegenden Bahnsteig. Wie er soll. Weil er so zur Köllnischen Heide kommt. Geht doch. Honk. Glückwunsch.


Herzlichen Glückwunsch, es ist ein Honk (48)