The neighbor

Nothing brings you greater peace than minding your own damn business.

Scott


Ich stehe vor meiner Wohnungstüre und will sie aufschließen.

„Hellooou!“

(eine Frau. Lugt aus der Nachbarwohnung. Wer ist das? Und was will die?)

„Huh?“

„Are you the neighbor?“

(verflucht, sie will Konversation machen. Und ich hab‘ noch Musik in einem Ohr, crap, muss ich rausmachen. Rausfummeln. Aus der Ohrmuschel pulen. Weil die redet. Man sagt, es sei unhöflich, wenn man Musik hört, wenn jemand redet.)

„Uh? Argh. Sorry, I’ve got music … in my ear, just a moment.“

(fummel)

(pul)

„Ready. How can I help you?“

„Are you the neighbor?“

(ich habe einen Schlüssel in der Hand, der schon im Schloss steckt. Wonach sieht’s denn aus?)

„Yes, I am your neighbor. Or the neighbor. Whatever.“

„Hiii-yiiii, my name is Karen, I will stay here for the next few weeks.“

(unfassbar breites Lächeln, keramikverblendete Zähne wie Gartenzaunplanken. Laut. Offensiv. Überfahrend. Sicher Amerikanerin. Sehe ich sofort. Und höre ich auch. Vor allem am kreissägenden „Hiii-yiiii“, eine importierte akustische Unart, die der Rest der weiblichen Nachbarschaft um mich herum längst schon adaptiert hat.)

„Very nice. Good luck.“

„Oh thaaank youuuu. Heee-yii, so what’s your name?“

(fuck. Sie will weiter reden. Eine Verbindung aufnehmen. Das geht nie gut aus für mich. Frau geht auch nie gut aus für mich. Immer wenn ich Verbindung zu einer Frau aufnehme, bin ich danach hunderte an Euros ärmer, verliere Freunde wegen schmutziger Wäsche oder werde terrorisiert. Bloß schnell weg.)

„Mark. My name is Mark.“

(jeez, what am I doing? This is Berlin. We don’t speak with our neighbors. Neighbors are evil.)

„Mark, do we have the same internet?“

(häh?)

„Well, I’ve got internet, but I doubt that we have the same…“

„No, nonono, I just spoke to a neighbor over the internet yesterday, turns out we used the same internet.“

(ich verstehe kein Wort. Keine Ahnung was die will. Die Alte ist verrückt. Nochmal: Ich muss hier weg.)

„I don’t think we use the same internet.“

(was ist das für ein kranker Dialog? Und was laber‘ ich da? Und was labert sie da vor allem?)

„Anyway. I have just arrived and will be in town for a few weeks now.“

(yeeeeh. Good morning world. This is Karen. And she is in town now. And everyone needs to know that. Hey Karen. Good for you. Do you know that I’m an introvert? I don’t like other people. Sorry. Gotta go now. Cya.)

„Very nice. Enjoy.“

„Oh thaaank youuu, that’s kind.“

(steht sie da und strahlt. Während ich mich schon halb abgewandt habe. Wartet wohl darauf, dass ich irgendeinen Anfang für irgendwas mache. Sie einlade. Umarme. Ihr Geld gebe. Was weiß ich. Ich muss hier dringend weg. Ich hasse solch Konversation. Und Small Talk. Und Anbandeln. Menschliche Beziehungen überhaupt. Das führt alles zu nix. Menschen sind nicht gut.)

„Ok. See ya. Bye.“

„Yeh, bye. Take caaaare.“

(fump. Türe zu. Das war brenzlig. Haarnadelscharf. Eine Nachbarin. Eine neue. Aus dem Nichts. Die Anschluss sucht. Wie lange wird die da sein? Ein paar Wochen hat sie gesagt. Ich muss untertauchen. Vielleicht kann ich bei nem Kumpel auf der Couch pennen. Oder ich miete mich in einem der grindigen Hostels ein, die während Corona den Bach runter gegangen sind. Egal wohin, auf jeden Fall weg hier. Was brauche ich? Unterhosen, Socken, Oberteile, Ersatzhose, Pulli, ein paar Schuhe, Deo, Zahnbürste, Tablet, Smartphone, Ladegeräte, den beschissenen Homeofficerechner, den Verdampfer, ein bisschen Gras, passt alles locker in den Crumpler und wenn ich Glück habe, ist die Alte wieder weg, wenn ich wiederkomme …)

(ring)

(verdammt…)

(ring)

„Maaark?“

(Karen. Mit dem Finger auf der Türklingel. Sie hat angedockt. Fry my brain. Endstation. Eingekesselt. No exit available.)


(names have been changed to protect the innocent. As always.)