Steine sind okay

Das Leben ist zu kurz, um Angst zu haben. Mit der Angst wird es auch nicht viel länger. Halten Sie sich an Wahrscheinlichkeiten fest. Dann lebt es sich viel leichter.

Horst Lüning


Die Sonne scheint. Weihnachten streckt seine verwachsenen Finger nach mir aus. Ich cruise durch meine Clownswelt. Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend. Heimelig, der Prenzlauer Berg. Konservierter Biedermeier einer Zeit, die vorbei ist, ohne dass die Schlumpfstadtbewohner das realisiert haben. Die Hausmütterchen haben wieder blinkende Winterdeko in die Fenster gehangen. Das Personal vom Bioladen hat grün-braune Elchpullis angezogen. Und auf der Prenzlauer Allee auf Höhe des räudigsten Imbisses meines Bezirks bemalen infantile bedreadlockte Veganer mal wieder den Bürgersteig. Wie alle paar Wochen, sobald es mal ein, zwei Tage nicht regnet. Mein Bezirk liebt mit Kreide auf den Boden gemalte Parolen für oder gegen irgendwas.

Heute im Angebot: Vegan for life! Fleisch ist Mord! Leben retten – Pflanzen essen! Es sind wieder verhärmte, eifrige, den Mund zu einem Strich gepresste Lehramtstudent*ping*innengesichter mit ihrer Mission. Missionen. Missionare. Ping. Pingpingping. Innen. Fürchterlich nervend mit ihren angeschlossenen überflüssigen Instagramaccounts, für deren klickifickbunte Timelines sie so stolz auf ihr drolliges Kinderkreidewerk achthundert Fotos machen und … Klick! Posten. Likes sammeln. Herzchen. Tugendpunkte. Moralbienchen. Bestätigung der eigenen Blase. Dann schnell weitermachen. Für die nächste Bestätigungsrunde. Eine sexistische Werbung überkleben. Klimaparolenschablonen ausschneiden. Tanzflashmob gegen Fleischverzehr. Hühnerhaltung. Lederjacken. Cowboystiefel. Mission Mission Mission. Für Veganismus. Fahrräder. Klima. Frauenquoten. You name it. Irgendwann, wenn immer noch keiner damit aufhören will, Dry Age Entrecôte, Foie Gras und Thüringer Bratwurst mit dem Auto kaufen zu fahren und zu essen, um sich danach zu einem Arschfickvideo auf Pornhub einen runterzuholen, werden sie wie die Zeugen Jehovas vor den Wohnungstüren meines Bezirks stehen und insistieren: „Guten Tag, wir möchten mit Ihnen über Tiere reden. Und Klima. Und Auto. Und Onanie.“ Samstag für Samstag. Bis ich mir eine mumifizierte Parmaschinkenhaxe auf einem True Fruits-Plakat über meine Wohnungstüre nageln werde, um sie wie Vampire mit Knoblauch zu vertreiben, auf dass sie nie mehr bei mir klingeln und über Tiere, Fahrräder, Frauenquoten oder halbnackte Titten auf Werbeplakaten reden wollen.

Wahrscheinlich sind es immer dieselben, die das ganze Jahr mit der Kreide durch meinen Bezirk ziehen und ihren Mist fürs Internet abfotografieren. Sie sind es ganz bestimmt auch, die unter das „Stop“ eines jeden Stoppschilds von Prenzlauer Berg ein „Eating Animals“ kleben. Haha. Fastehnse? Fastehnse? „Stop Eating Animals.“ Yeeeeh. Damit ich auch beim Autofahren die so wichtige Aufforderung erhalte, mich endlich doch noch zu ändern. Besser zu werden. Makelloser. Moralischer. Blütenrein. Stop Eating Animals. Wie hinten Kniprodestraße schon. Heinrich-Roller. Immanuelkirch. Quer durch die Hood. Besser dich. Unvollkommener Mensch. Arbeite an dir, Sünder. Und kauf‘ dir ein Fahrrad.

Auf meinem lädierten Sofa, das die letzten zehn Jahre Arschwasser, Fusel und Kotze verschiedener befreundeter Suffpenner in sich aufgenommen hat, sitzt jetzt plötzlich die Wokeness. In Form einer alten Freundin, die sich auf Twitter radikalisiert hat und von ihrer Sofaecke aus mit Gin Tonic in der Hand von mir möchte, dass ich meinen hautfarbenimmanenten Rassismus aufarbeite, tönt, dass Almans (sagt sie tatsächlich, aber das ist okay, man muss schon froh sein, dass so jemand nicht Kartoffeln sagt.) jetzt einfach mal alle den Mund halten sollen. Dabei labert sie und labert und labert und labert, ich sei ja weiß und überhaupt Mann und Sexismus und Privilegien und bla und fasel und schwall und Alter ick geh‘ kaputt.

Das geht so den ganzen irren Abend lang. Ich wollte einfach nur stumpf saufen und bade stattdessen in einem Meer von absurden Anwürfen aus dem Nichts. Was für Leute. Ich sitze da und tue niemandem irgendwas, soll mich aber nun schuldig fühlen. Durch die schiere Existenz. Ein Unmensch qua Optik. Gruppenkeile im Dauerfeuermodus. Weiß. Penis. Ergibt Arschloch. Eine Linie. Da machste nix. Auf Twitter machen die das so. Und jetzt fängt mein Sofa an, so mit mir zu sprechen.

Ich suche ja bei sowas immer nach Ironie. Weil ich automatisch denke, dass solche Leute mich foppen wollen. Trollen. Schauen wollen, wie ich auf so plump überzeichnete Provos reagiere. Oder einfach eine empörte Reaktion rauskitzeln wollen, weil ich mich seit Jahren ganz plakativ über wirklich nichts mehr empöre. Mein erster Impuls ist immer, dass diese Gestalten diesen Mist unmöglich ernst meinen können, doch nein. Keine Provo. Kein Trollen. Auch sie hier heute meint das sehr ernst, ist sogar erbost über mein schiefes Grinsen und die blöden Witze, mit dem ich die erstarrte Situation zu entkrampfen versuche, also entfremden wir uns noch den restlichen Abend lang und ich schaue einer weiteren alten Freundschaft beim Fortwehen in die Restmülldeponie abgelegter Freundschaften zu.

Bye Bye Bohei. Fünfzehn dicke und dünne Jahre kennen wir uns jetzt und dann ging sie auf Twitter. Moralisiert jetzt und belehrt. Missioniert und bohrt. Nervt ohne Ende. Das Flackern der Beseelten in den Augen. Muss man gehen lassen. Solche Leute. Manchmal muss man solche Leute gehen lassen. Ich sortiere solche anstrengenden Leute inzwischen aus, um Platz zu machen für Leute, die ich mag. Leute, die sich bekifft über einen Porno mit als Kuscheltiere verkleideten Dicken den Arsch weg lachen. Oder über russische Dashcamfailvideos. Prankscheiße mit jungen unkorrekten Youtubern. Nikolai Binners gecancelte Comedy. Leute, die Salamipizza dazu fressen. Steak vom Kohlegrill. Alte unwoke Punkmucke hören. Ballerspiele auf Konsolen daddeln. Immer noch bierdosenstechen. Saufen. Huren. Fluchen. Ficken sagen. Lachende Leute. Feiernde Leute. Kurzweilige Leute. Vor allem Leute, die mich nicht nerven. Oberflächliche Leute meist, ja, geschenkt, aber gute Leute, loyale Leute, witzige Leute, die geilsten der Welt. Das Leben ist zu kurz, um mit Missionaren abzuhängen.

Irgendwann Tage später lese ich den wegweisenden Text eines bloggenden Seelenmonteurs, der über Entfremdung in Freundschaften durch politische Differenzen schreibt und finde, dass er sehr recht hat. Danach lese ich den Text auf dem Blog eines alten totgeglaubten Alphabloggers aus einer anderen Perspektive und bestätige mich selbst darin, dass es richtig ist, Menschen, mit denen es nicht mehr funktioniert, unabhängig davon, wie lange ich sie kenne, aus prinzipiellen Gründen nicht mehr auf meinem Sofa haben zu wollen. Weil Twitterradikale die neuen Veganer sind. Und sich auch ihre Beliebtheit konträr zu ihrem Sendungsbewusstsein verhält. Je mehr desto weniger.

Ich registriere generell näherkommende Einschläge in solchen Dingen. Corona hat das nochmal beschleunigt. Es scheint noch mehr Leute zu geben, die bekehren wollen, zumindest gilt das für Berlin. Auch im Straßenbild: Mehr Aktivisten, die heranrücken. Und das in immer kürzeren Zeitabständen. Wenn Sie in Berlin wohnen und eigentlich einfach nur in Ruhe gelassen werden wollen, fangen Sie irgendwann zwangsläufig an, Aktivisten auszublenden wie die krakeelenden Säufer mit ihren Bierpullen am Hals, die sich einpissen oder vor dem Espresso House auf der Schönhauser Allee ihren verkrebsten nackten Arsch in die Luft halten.

Ich versuche die alle aus der Wahrnehmung zu entfernen, noch bevor sie mich ansprechen, weil es mich schon lange nicht mehr interessiert, was die alle wollen, weil überall einer von denen steht, was will und die Leute damit nicht in Ruhe lassen kann. Beim Einkaufen. Beim Gammeln im Mauerpark. Als Fahrraddemo durch meinen Kiez, bei der Ihnen die aktivsten Aktivisten als Dreierangriffskette auf dem Bürgersteig entgegengerast kommen. Ernsthafte Flugblattmütter mit fanatisiert aufgerissenen Augen vor dem LPG in der Kollwitzstraße, die für die Agrarwende trommeln. Antiallesmöglicheaktivisten. Pelz. Enteignung. Mohrenstraße. Diversity. Sojamilch. Eine nachts um zwei auf mich einlabernde Veganerin, wenn ich gerade hackedicht in mein hühnergeschreddertes Schawarmasandwich beiße. Dumme Diskussionen auf Geburtstagsfeiern von wildfremden Leuten vom Zaun gebrochen über offene Grenzen, Klimascheiße, Gender, die bescheuerten Grünen, Impfen oder auch nur über eine Initiative zum Erhalt alter zerfurchter Gehwegplatten, über die schon Karl Liebknecht zum Reichstag gelaufen ist. Hier in Berlin haben Sie nie Ihre Ruhe. Ständig will irgendwer irgendwas. Und wenn es nur der S-Bahn-Penner ist, der durch den Wagen krakeelt, dass die Merkel endlich mit Fackeln und Mistgabeln zurück in die Uckermark gejagt werden muss und der wie ich auch noch nicht realisiert hat, dass die Merkel gar nicht mehr da ist.

Auch heute ist wieder lustiger Aktivistentag in der Stadt. Der erste Aktivist steht Greifswalder Ecke Danziger. Mit irgendwelchen Aktivistenzetteln für irgendwelche Aktivistendinge. Zwei akkurate Aktivisten mit roter Clownsnase über den akkuraten OP-Masken fangen die arglosen Leute am S-Bahnhof ab. Ein Aktivist links, ein Aktivist rechts, ergibt die erprobte Aktivistenzange vor den engen Türen zur ranzigen Eingangshalle, in der sie diese schlechten Burritos und fettigen überteuerten Croissants verkaufen. Auch in den Wagen meiner S-Bahn kommt ein Aktivist. Will Geld. Für irgendwas. Redet Dinge, die ich nicht verstehe, weil ich meine Musik im Berliner öffentlichem Nahverkehr, sobald ein Aktivist den Wagen betritt, so laut aufdrehe, dass ich eigentlich schon längst taub sein müsste.

In der S-Bahn ausblenden kann ich zwar meine Ohren, aber nicht meine Nase. Stinkt wieder heute hier, in diesem lädierten Zug der miesen Berliner S-Bahn, die sie mir als adäquaten Ersatz für mein kleines bescheuertes Auto verkaufen wollen, in dem außer der McDonalds-Tüte von letzter Woche nichts stinkt. Ich hasse die schäbige S-Bahn mit ihren rollenden Knastgruppenzellen. Nicht nur wegen der stinkenden Menschen. Der stinkenden Hunde. Der stinkenden dreckigen Fahrräder, deren vergammelte Reifen sie so gerne an meinem Hosenbein reiben. Sondern vor allem der immer noch täglichen Ausfälle wegen. Seit irgendwas um ein Jahrzehnt lang geht das nun schon so, jeden Tag geht irgendwas kaputt und die Bahn kommt nicht, so dass Berliner gelernt haben, keinen wichtigen Termin zu vereinbaren, für den sie sich auf die S-Bahn verlassen müssen. Weil die S-Bahn sie hängenlassen wird. Seit einem geschlagenen Jahrzehnt kriegen sie ihre räudig rollende Technik nicht in den Griff. Nix klappt. Regen. Ausfall. Schnee. Ausfall. Wind. Ausfall. Sonne. Störung. Störung. Weichen. Signal. Zug. Ständig ist irgendwas gestört. Auch mein Zug heute ist ausgefallen. Es ist die S 85, die eine Linie ist, von der ich gar nicht weiß, ob die überhaupt noch existiert, weil sie immer, wenn ich sie brauche, ausfällt. Heute auch wieder. Kein Zug kommt. Nicht mal Verspätung. Sondern Ausfall. Zugausfall. Nächster Versuch der Beförderung in 20 Minuten. Bitte Verständnis. Verständnis. Bitte um Verständnis (hab‘ ich nicht, ihr dummen Penner, keinen Fußbreit).

Im Wagen zwischen den Verkehrsmobbingutensilien der aufdringlichsten Psychopathen meines Bezirks (Fahrradfahrer) und einem schweißdrüsigen fettmockernden Friteusenoger eingeklemmt fahre ich über den Ring. Landsberger. Storkower. Glaskästen. Auch hier. Wie überall, wo sie neu bauen. Berlin baut nur noch Scheißarchitektur. Ein optisches Brechmittel nach dem anderen göbeln die Nuttenbengel von Investoren in die letzten Brachen. Seelenlos kalt. Weiß. Grau. Fensterfronten wie Schießscharten. Unten das übliche glattgeleckte Biocafé drin. Mit irgendeinem Avocadoscheiß. Und Chiaporridge. Drecks Rucola. Oder ein Versandhandel für Sake. Kinderkeramik. Naturfarben. Fahrradladen. Workspacesharingshit mit angeschlossenem Toddlerbereich für neureiche Schnösel, denen das winzige Wohnzimmer ihres mies geschnittenen Townhauses auf den Kopf fällt. Noch irgendeinen Edeka in die Mitte von ein paar Retortenbäumen geschissen, ein Meer von Fahrradständern, davor ungemütliche Bänke, ein künstlerisches Spielgerät, mit dessen Komplexität die Kinder nicht zurecht kommen, und fertig ist das Wohnquartier mit einem weiteren fancy Namen: Immergrün. Stadtgrün. Nah + Grün. Grüne Neune. Suppengrün. Die Arschgesichter. Neubauquartiere sind die neuen Friseure und müssen auf jeden Fall beknackte Scheißnamen haben. Ringeling. Ja, hallo? Sie haben die 600.000 für die 60 Quadratmeter in der Townhausparzellenhölle am alten Schlachthof? Wissen nicht wohin mit der Kohle vor lauter Krypto, Schlumpfaktien und estnischen Mikrokreditverleihern für Glücksritter ohne Bonität? Na dann kaufen Sie sich doch so einen Schuhkarton als Ferienwohnung. Für Sohnemann. Wenn der von Davos, Ibiza und Miami die Schnauze voll hat und bei den Siffern auf Berlins Frankfurter Allee mal speedhaltige Stinkeluft atmen will, bevor er sich osteuropäische Hooker für 100 die Stunde nach Hause bestellt. Hopp hopp. Die Zinsen sind günstig. Noch günstig. Nicht mehr lange günstig. Kaufen Sie, kaufen Sie. Scheiß auf die Tilgung. Hauptsache kaufen Sie!

Berlin stinkt. Was sie da bauen stinkt. Noch mehr als Berlin sowieso stinkt. Die Gullis. Mein von den letzten ungesunden Säufern des Biolettenbezirks vollgepisster Hauseingang. Sowieso die Pisse überall. Der S-Bahn-Wagen. Der Bahnsteig. Die Unterführungen. Magistratsschirm. Berlin ist stinkend hässlich wie eh und je, dafür aber jetzt fünfmal so teuer. So teuer, dass sich jetzt sogar der blasierte Hipsterjetset aus den endlosen biedermeierigen Merkeljahren, in denen sie sich gegenseitig den handcrafted Garagenwodka mit Bioblutorange aus den gebleachten Arschritzen geschlürft haben, rüber nach Polen verpisst hat. Krakow. Wroclaw. Der Osten giert nach dem ganzen handcrafted Bullshit, den wir inzwischen abgelegt haben wie eine alte Felljacke, die außer den Koksern in der Monkey Bar keiner mehr trägt.

Eine hübsche Immobilienblase ist das. Und logische Folge der Geldschwemme und des Nullzins‘, mit denen sie seit zehn Jahren Tagesgeldkonten, Sparpläne und Lebensversicherungen pulverisieren. Alles ein riesiger Ballon aus Scheiße wie der bald platzende Aktienmarkt, dem schon lange kein realistischer Sachwert mehr gegenübersteht. Lirum Larum Löffelstiel. Es ist ein Kreuz. Wohin nur mit dem ganzen Fiatgeld? Bleiben ja nur Immobilien und Aktien. Und Estateguru für die Mutigen. Ich versteh’s ja.

Wenn das alles platzt, regnet es Kot. Und der ganze dekadente Bauchspeck der fetten Jahre fährt in der Folge zur Hölle, dieser ganze überflüssige Oberschichtentand meiner degenerierten Nachbarschaft, von der ich gespannt bin, wie sie den Absturz aus dem liebgewonnenen Biedermeier in den brennenden Permanentstunk einer zerbrechenden Gesellschaft verkraften wird. Hier in unserem Idiotenkarussell. Wenn bald die längst überfällige Rezession einsetzt. Dann fallen Zöpfe. Werden Wohlstandszysten abgezwickt. All die lustigen Dinge der pappesatten Gesellschaft, die nur im Überfluss entstehen konnten, werden dann in den Abfluss des Abschwungs gespült. Holzspielzeugmanufakturen. Instagramaktivisten. Rosmarinbadeperlen aus nachhaltigem Anbau für 16 Euro. C-besoldete Genderprofessuren. Quersubventionierte Fatshamingseminaranbieter. Ping Ping Ping Innen. Sowieso der Sprachkrebs. Retrovintagelampendesignerys. Kommerzbettelblogger, die fremde Viralvideos auf ihrer werbezugeschissenen Seite einbinden und dafür Patreongeld wollen. Die Zehn-Euro-Cinnamon-Peach-Chai-Superfruit-Lorke aus den acht Millionen wie Satelliten um den Kollwitzplatz kreisenden Mareikecafés. Oder totgehopftes Craft Beer für fünf Euro das 0,3.

Au ja.

Craft Beer. Das dämliche Craft Beer. Die kratzen als erstes ab, diese Schnöselställe voller pomadiger Biergurgler, die 70 Euro-Tastings mit ihrer miesen Plörre veranstalten, zu denen es noch nicht mal was zu essen gibt. Was für ein Aids, dieses Craft Beer. Down the drain jetzt. Ausgeknipst von der Chemo namens Lockdown. Noch bis 2019 hatte hier jeder Häuserblock seine eigene Pissepanschermetastase, in der sich jeder Mikrobrauer für den mindestens geilsten Innovator der Welt hielt. Gärkessel. Sudpfannen. Malzmühlen. Whohooo, here’s my new shit. Dark-Almond-Peppadew-Ale (bah!). Holy-Crap-Chrismas-Stollen-IPA (börks!). Crick-Crack-Honeymoon-Lemongrass-Monsterjaw-Red-Brown-Jelly-Beaver-Lager (jeeez, plz die). Nur echt vom Biersommelier (boar ne, echt), dazu New Orleans-Waffles aus Sojamilch mit Tofu. Baby Leaf-Blätter am Tellerrand. Und diese verdammte Brunnenkresse immer. In der plakativ auf alt getrimmten Ladenzeile voller affektierter Selfiespacken und mit Blech in der Fresse zugehackten Brandenburgerinnen, die sich für Eberswaldes Geschenk an die Hauptstadt hielten. Fump. Klirr. Weg. Ausgeknockt. Ausgestorben. Ausgecrafted. Von den Lockdowns weggefressen. Eine Handvoll ist noch da. Sonst fast alle weg. Bald ist 2022. Zwei Jahre Corona als offene Wunde. Der Mehltau ist tot, jetzt kommt der Stunk. Und wo mal Craft Beer war, ist bald wieder ein Döner. Oder eine Spielhalle. Kik. Pfennigland. Rossmann. Oder ein weiterer der jetzt schon 20.000 Spätis von Prenzlauer Berg. Gürtel. Enger. Kalorienzählen. Der Speck kommt jetzt weg. Craftbeerland ist ausgebrannt.

So werden auch bald die superkorrekten Aktivisten von der zu lange schon besetzten öffentlichen Bühne verschwinden, auf deren vielen inszenierten Empörungswellen immer noch welche reiten, als wäre noch 2018 und das größte Problem des Landes ein Altherrentortengedicht an einer Wand. Als Luxusprobleme, die sie sind und als die sie uns jetzt schon locker zehn Jahre so hart nerven, werden sie das erste sein, das in Hochkrisenzeiten abgeräumt werden wird. Moral, mehr Moral, Hochmoral. Spielt jetzt schon kaum noch eine Rolle. Werden sie sich wohl schon nächstes Jahr nicht mehr leisten können, den Popanz. Haushaltszwänge. Sparrunden. Löcher über Löcher. Und die ersten, die es immer trifft, sind solche Wohlstandseiterpickel. Die werden zuerst ausgedrückt und spritzen an den Spiegel. Die Beauftragten für alles mögliche. Die überbezahlten seiteneingestiegenen Selbstverwirklichungstulpen in den Führungsetagen über mir, die vor mehr als fünf Leuten keinen ganzen Satz geradeaus sprechen können. Die fetten Genderetats an den Unis, in den Behörden, oben in der Regierung. Die aufgeblähten Stäbe. Die abartigen Beraterverträge. Fördertöpfe über Fördertöpfe. Die in obszönen Stiftungen versenkten Parteifreund*klick*innen. Der ganze Speck.

Wump.

Weg.

Abgesaugt. Der Biermeier im Überfluss geht nicht nur zu Ende, er ist längst weg, auch wenn fast alle so tun, als wäre der noch da, dabei ist das hier in diesem Dezember 2021 nur die Zwischenphase. Die unwirkliche Zwischenphase einer Zeitenwende, deren Hammer gerade in Zeitlupe in der Luft Anlauf nimmt, bevor er aufschlägt. Ich arbeite selber im Moment so. In diesem diffusen Schwebezustand. Alle machen irgendwie weiter. Untauglich von zuhause vorm kleinen Monitor des zur Verfügung gestellten Geräts. Halbe Kraft. Wenig Nachfrage. Viel Kreisgewichse. Null Vision, dafür stundenlange Zoommeetings über wenig Greifbares. Zunehmend unmotiviert. Doch Geld fließt immer noch von irgendwoher. Irgendwie wird die Miete bezahlt. Keiner weiß, wer den Mehrwert eigentlich erschafft, der da fließt, aber alle wissen, dass das knallen muss. Volkswirtschaftlich. Weil nichts von Substanz nachwächst. Dort hinein in den Kreislauf der von allen erwarteten Rezession, deren mutwilliges Hinauszögern auf Pump mich, würde ich ein Unternehmen besitzen, wegen Insolvenzverschleppung in den Knast bringen würde.

Es wird was passieren. Ein Einschnitt. Da rollt was an. Menschen spüren das. Und viele kommen immer weniger drauf klar. Deswegen gibt es im Moment auch so viele Verstrahlte, die eine nicht geringe Menge anderer Verstrahlter mit sich reißen. Andere werden kadaverstaatsgläubig. Andere oppositionell. Wieder andere verkriechen sich. Schließen sich ein. Wollen erst wieder rauskommen, wenn der Krieg vorbei ist. Vielleicht wird es als Scholzens Spirale des Jahres 2022 in die Geschichte eingehen: Lieferkettenriss. Inflation. Weniger Konsum, weniger Gewinn, weniger Steuern, größeres Haushaltsloch, weniger Staatsausgaben, noch weniger Konsum, noch weniger Gewinn, noch weniger Steuern, noch größeres Haushaltsloch. Aktiencrash. Immocrash. Explodierende Sozialausgaben. Wegbrechende Steuereinnahmen. Und das beginnt, sobald sie sich ehrlich machen müssen. Konsolidieren müssen. Karten auf den Tisch. Ta. Bu. La. Rasa. Wann auch immer das sein wird. März. Spätestens März. Sagt mir einer. April, spätestens Sommer, sagt ein anderer. Schon im Januar. Wieder jemand. Dann macht’s Boom. Freunde raten dazu, das Depot bald zu räumen. Weil es crasht. Weil die aktuelle Mischung übler Vorzeichen ein zu perfekter Sturm ist, um noch drin zu bleiben. Folgen noch ein paar mehr Monate mit vier, fünf, sechs monatlichen Prozent Preisanstieg, werden die ersten die für den laufenden Betrieb fehlende Kohle wieder aus der Coronablasenbörse abziehen. Dann wird was ins Rutschen kommen. So schnell, dass Sie die völlig überbewerteten Aktien gar nicht mehr schnell genug abgestoßen bekommen. Eine Kettenreaktion. Börse. Immobilien. Lebensversicherungen. Festverzinster Sparbrief für die Kinder. Drecksriester. Boom. Alles ein Knall. Rekordwerte vernichtet. Insolvenzen. Freistellungen. Der Bundeshaushalt rasiert. Kein Löschwasser mehr im Teich. Die Ampel noch während der ersten Halbzeit platt. Scholz hinüber. Chancenlos von Beginn.

Kein Wunder, dass die CDU mit so viel Absicht die Wahl verloren hat. Die wissen sicher schon lange, was kommen wird, und übernehmen erst wieder nach des Scholzens Scherbenhaufen. Wenn der Rest noch dampft, vor lauter Schwefel, Schwarzpulver, Blut, kommen sie als Knight. Geritten. Der eklige Merz. Mit shiny armor. Na was ist denn hier los? Au weia. Das hat ja keiner ahnen können. Was die SPD hier angerichtet hat. Jetzt aber Ärmel hoch. Alles wieder aufbauen. Keine Experimente. Küßchen. Ihre CDU.

Und die werden den wählen. Den pilzköpfigen Merz. Nach dem Knall. Baut auf, baut auf. Wollen wir wetten?

Vielleicht passiert aber auch gar nichts. Knallt nicht. Geht immer so weiter. Pump Pump. Pust Pust. Der Ballon immer dicker. Vollgepackt mit Notenpressenpapier bis in alle Ewigkeit. Hot air anyone? Noch jemand ohne Fiatmoney? Bedingungslos? Geht das? Dass es gar nicht knallt? Keine Ahnung. Ich weiß wie immer nichts. Wüsste ich was, dann wüsste ich auch, was ich heute, an diesem Tag vor Weihnachten, verkaufen und woanders hinschaffen würde. Schaffen, schaffen, zur Seite legen, wie das andere machen, die planen, wie der Knall gut genutzt werden kann, die ihn Volley nehmen wollen, um sogar mit einem Schnitt aus ihm rauszukommen. Ich schaue auch. Wie ich rauskomme. Und dann halt mal sehen. Wo wir bleiben.

So haben wir am am Ende wieder viel geschrieben und wissen nichts. Gurken dahin. Auf den Autobahnen. Den Feldwegen. ICE-Trassen. Auf dem S-Bahn-Ring. Ich und die anderen Pestmenschen, die es auch nicht besser wissen und sicher wie ich genauso wenig Lust haben, in diesen rollenden Büchsen voller inadäquat stinkender Menschen mitzufahren. Berlin macht das, was Berlin immer macht. Ein Radfahrer wischt seinen nassen Reifen an mir ab. Irgendeiner trinkt sein ekliges Bier verschämt unter seiner verdreckten Maske geklemmt. Ein anderer Affe dreht sich im Raum umher und streift mir seinen Rucksack, den er in der kreuzvollen Bahn aus irgendeinem Grund auf seinem Rücken tragen muss, immer wieder (und immer wieder) über die Brust. Hinten brüllt einer lauter als meine Musik. Es ist ein Glatzköpfiger im Muscleshirt bei diesen eisigen Temperaturen. Er gestikuliert. Geifert. Irgendwas mit Merkel. Und Uckermark. Schon wieder. Ein Reigen voller Gestörter. Und ich habe mir ein Shirt bestellt, für den nächsten Sommer, auf dem in einem Satz alles steht woran ich glaube: „Ich hasse Menschen, Tiere und Pflanzen – Steine sind okay.


Vehemente Grüße nach Hamburg