
Ich finde es sehr wichtig, ab und zu ein astreines Touristenlokal zu besuchen, um zu sehen, was die da machen. Um mich zu erden. Ihnen nicht immer auszuweichen. Vor ihnen zu flüchten. Sondern mich zu konfrontieren. Der Erkenntnis wegen. Ob sie wirklich so schlimm sind. Und hey, inzwischen ist es kein Geheimnis mehr, Marco Polo, TUI, Lonely Planet praise the Lord, denn jeder Depp zwischen Pforzheim-Buckenberg und Pocatello/Idaho kennt inzwischen die Hostaria in Kreuzberg. Versteckt im zweiten Hinterhof ohne jeglichen Wegweiser von der Mittenwalder Straße hält sich nach wie vor die Mär, die Hostaria sei ein Geheimtipp. Ja, das war mal, früher, aber auch nur ganz kurz. Irgendwann stand der „Kult-Italiener“ (ich weiß, „Kult“ ist ein Unwort geworden. Wird inzwischen irgendetwas Kult genannt, ist das eigentlich ein Indikator dafür, dass der Zenit überschritten ist und Sie nicht mehr dorthin gehen sollten) das erste Mal im Reiseführer, dann in allen Stadtmagazinen und als Allerletzter von allen Allerletzten berichtete sogar der bräsige RBB, Berlins Zumutung von Regionalsender, live und direkt aus dem Kreuzberger Hinterhof.

Die Hostaria hat ein klares und potenziell für jeden begreifbares Konzept: Es gibt ein feststehendes, monatlich wechselndes Menu mit acht Gängen für 56,- Euro, das um 19.00 Uhr mit Antipasti beginnt, ungefähr um 23:30 Uhr mit Espresso nebst Schnaps endet und nicht verhandelbar ist. Wein und Wasser dürfen Sie dabei trinken, so viel Sie wollen. Rockin‘.

Vollidioten, die in leider nicht geringer Zahl in der Hostaria aufschlagen, erkennen Sie an folgenden Verhaltensmustern:
- Sie treffen erst um 21 Uhr ein, wenn alle anderen schon beim vierten Gang sind, wundern sich dann zuerst, dass alle anderen im Lokal nicht auf sie gewartet haben und beschweren sich hernach über die Tatsache, dass man hier nicht kommen kann, wann man will ohne etwas zu verpassen,
- sie sind völlig überfordert mit der Tatsache, dass es nur Wein und Wasser gibt und keine Molle, Coke Zero, Chai Latte Wocchochino Cheerio Cinnamon Flavour, Prosecco oder Pastis,
- sie echauffieren sich darüber, dass sie nach dem letzten Gang unaufgefordert die Rechnung bekommen und spätestens um Mitternacht aus der Hostaria rausgekehrt werden, da Mama, die die Küche fast im Alleingang schmeißt, nach sechs oder eher mehr Stunden Schwerstarbeit auch mal gerne schlafen möchte,
- sie nutzen das Flatrate-Weinfass dazu, sich komplett abzuschießen und verlieren nachheinander Haltung, Contenance, Gleichgewichtssinn und die Beherrschung über ihre Gesichtszüge. Ich habe hier schon eine Horde zugedröhnter Sachsen erlebt, die völlig von Sinnen Soldatenlieder gegrölt und auf Deutschland angestoßen haben, was bei allen anderen im Raum wahlweise den Wunsch nach stundenlangem Duschen oder unverzüglicher Entleibung nach sich zog. Sachsen. Ausgerechnet. Dass Pommern und Schlesien und nicht dieser Landstrich vom Reich abgetrennt wurde, ist zwar aus Sicht derer verständlich, die ihn hätten integrieren müssen, aber dennoch generell schade.
- Ganz besondere Schnösel erwarten für 56,- Euro acht Gänge formvollendeter Guide-Michelin-prämierter Sterneküche und kündigen beim Bezahlen an, deren Fehlen in einem der hundert bedeutungslosen Bewertungsportale oder – ganz besonders schnöselig – in einem eigenen bedeutungslosen Blog im Internet der Nachwelt zu hinterlassen.
- Und dann gab es noch den Typen, der auf der Durchreise zu seinem eigenen Stern hinter dem Jupiter rechts ab in der Hostaria eine Pizza haben wollte und von diesem Vorhaben von niemandem abzubringen war, bevor er unter wilden Flüchen und Verwünschungen schließlich doch das Feld räumte. Herzlichen Glückwunsch, das war ein Honk. Die Stadt ist voll davon.
Ganz kurz zu den Fakten, ich kann es Ihnen nicht ersparen, denn das gebietet mir der Respekt vor der Kochkunst dieses Hauses: Das Menu beginnt mit einem Teller Antipasti, in der Regel eingelegtes Gemüse wechselnder Art, begleitet von einem kleinen Salat.

Hiernach folgt ein Teller mit italienischen Wurstwaren, kurz darauf einer mit Schinken.

Die Gänge 4 und 5 bestehen in der Regel aus kleineren Vorspeisen, Gang 5 dabei gerne aus Pasta oder Gnocci, die Gänge 6 und 7 stellen die eigentlichen Hauptspeisen dar.


Zuletzt folgt noch der Nachtisch, unmittelbar darauf der Espresso nebst Schnaps, wobei Sie hier den Grappa (es ist ein dreifacher, keine Sorge) nehmen sollten, denn den bekommen Sie selten von solch Qualität und Geschmack in einem Lokal, zumal in Berlin.
Fassen wir einen Besuch hier also wie folgt zusammen: Vergessen Sie Balsamicoschaum auf Zuckererbsenjus mit mikroskopisch frittierten Holunderblüten-Spuren, her mit den selbstgemachten Rosmarin-Spaghetti in Olivenöl. Mama kocht zu 19 Uhr. Unverhandelbar.
tl;dr:
- Pfeif auf die Touristen, es ist ein wirklich gutes Lokal.
- 56,- Euro – 8 Gänge.
- Monte Croce heißt Kreuzberg. Kein Scheiß.
- Sie sollten pünktlich sein.
- Ja, 19:00 Uhr.
- Ehrlich, ich meine es gut. 19:00 Uhr.
- Nein, es gibt keinen Nachschlag.
- Nein, auch keinen zweiten Espresso.
- Und auch keinen zweiten Grappa.
- Ja, die Rechnung kommt direkt nach dem Digestiv.
- Spätestens Mitternacht fliegen Sie raus.
- Sie sind Veganer? Nehmen Sie Abstand.
Und sind die Touristen so schlimm wie man sagt sie kennt? Nun, vor mir saßen heuer zwölf rotweinbeseelte Schwaben mit Wollwesten über Karohemden, die zwischen den Gängen irgendwelche mit Zischlauten versehenen Wanderlieder zum Besten gaben, eingehakt und schunkelnd – offenbar ein sadistischer Gesangsverein, bestehend aus lauter Werners und Gudruns (Leute, die in der Öffentlichkeit Wanderlieder singen, Wollwesten mit Karohemden tragen und aus Süddeutschland kommen, heißen immer so, echt). Und hinter mir saß Bernd Riexinger von der Linkspartei mit Entourage. Ist das schlimm? Entscheiden Sie das bitte. Ich bin noch völlig paralysiert.
Hostaria del Monte Croce
Mittenwalder Straße 6
2. Hinterhof
Kreuzberg
http://www.hostaria.de (Vorsicht 90er! Seite spielt Musik!)