Hirnsudelei 11/21

Friendly reminder: Learn to be okay with people not knowing your side of the story. You don’t have to prove anything to anyone.

Scott


Hi.

Na?

Geht’s Ihnen gut?

Mir auch. Ich bin nicht auf der Intensivstation gelandet. Und auch in keiner Urne. Oder wenigstens im Koma. Ich hatte nur keinen Bock mehr, über den coronalen Crap zu schreiben. War mir über. Wurde mir zu nervig, wie ein Bürokrat mit der staubigen Aufzählung von Symptomen zu langweilen. Irgendwann ist’s auch mal gut. Viel mehr kam ja dann auch nicht. Bisschen Ekelhusten habe ich noch (der Esel, Sie erinnern sich?). Ich schmecke und rieche nach wie vor nichts. Und der Fußballtrainer, den ich immer noch nicht aus der Kontaktliste gelöscht habe, rief an und sagte „Kopf hoch! Schaffstu! Wird schon!“ Das war’s. Rechtfertigt keinen Text. Muss ich niemanden mit belästigen. Keiner will das lesen und ich will es vor allem nicht schreiben.

Ich komme jedoch um eine abschließende Bilanz des Coronaauftritts innerhalb meiner Wehrbefestigungen nicht herum und bedaure jetzt schon, dass dieser Monatsrückblick unüblich monothematisch statt des gewohnt diffusen Kessels an Buntem werden wird. Wenn Sie des quälenden Themas Corona (bargh) leid sind, kann ich das mehr als verstehen. Wischen Sie einfach weiter. Viel mehr kommt heuer nicht. Ich notiere die Dinge hier wie immer nur für mich. Um sie festzuhalten. Mich zu vergewissern, wo ich stehe. Um später nachzulesen was damals war. Was ich dachte. Folgerte. Meinte. Fand. Und ob das in der Nachschau richtig so oder total bescheuert war. Ich lese heute noch manchmal gerne meine süßen, knuffigen, mir heute teilweise zu aufgeregten Dinger von früher, um mich daran zu erfreuen, was mir damals so alles megawichtig war. Was ich dachte. Folgerte. Meinte. Fand. Wie ich drauf war. Und welche Leute ich damit so alles beeindrucken wollte.

Ich leake Ihnen mal vorab meinen ursprünglichen Plan für den Fall einer Infektion: Ein wenig Schnupfen, ein wenig Husten, ein wenig Kopfweh, lalala, dann mit den üblichen Stilmitteln, altbekannten Textbausteinen, gekünsteltem Narzissmus und der gewohnt übersteuerten Rhetorik vom Grabbeltisch ein wenig vor mich hin polemisieren, dass das dumme aufgepumpte Killervirusding so harmlos ist wie ich es vorher wusste. Bisschen Klamauk draus machen, Überzeichnungen, wirre Analogien, absurde Metaphern, eine Prise pipikacka Gossenstreu drüber, der übliche Mist eben. Paar Tage blau machen. Rumhängen. Auskurieren. Scheiße über Scheiße ins Internet blähen. Ende. Abhaken. Arschgefickt. Was für ein Tanz. Viel Lärm. Um Nichts. Haha. Coronner. Lächerlich. Hab‘ ich doch vorher gewusst. Alle doof.

So war der Plan.

Das ging nicht. Weil so war’s nicht. Die Wucht der Nummer hat mich tatsächlich überrascht. Und sie wirkt sogar immer noch etwas nach. Zwei Wochen nach Ausbruch. Der fehlende Geruchs- und Geschmackssinn stört. Auch der räusprige Husten, der tief in die unbestreitbar lädierte Lunge sticht, könnte jetzt langsam mal verschwinden. Auch eine diffuse Schummrigkeit ist noch da. Wie durch einen Schleier. Ich stehe noch ein wenig neben mir. Taumelig phasenweise. Bin sogar zu schlaff zum Kiffen (ich hab’s mit Keksen versucht und bin eingeschlafen). Klar. Der Körper hat gekämpft. Er hat auch gewonnen, aber es gab Verluste in den Reihen, die jetzt langsam wieder aufgefüllt werden müssen.

Je nachdem wo Sie in dem ganzen umgepflügten blutigen Schlachtfeld, das mal der zivile öffentliche Diskurs war, stehen, dürfen Sie jetzt gerne wahlweise triumphieren, höhnen, ätzen oder nicht glauben, aber es war kein leichter Sieg im Ergebnis. Ich habe nicht im Vorbeigehen gewonnen wie ich sonst meistens Keime im Vorbeigehen abräume. Das Teil war schon krass. Durchbrach mir die Deckung. Hat mich aus der Kurve getragen. Um das ganz klar festzuhalten: Ich habe damit nicht gerechnet.

Ich hatte mal einen schweren Verlauf des G-Worts, dessen ebenfalls sehr heftigen und mich nicht weniger überraschenden Symptome mich einmal vor vielen Jahren vergleichbar ausgeknockt haben. War ähnlich derbe damals. Handstreichartig. Krasse Fieberschübe. Atemnot. Röhrender Husten mit Bruststechen. Schleierdumpfheit. Lange nachwirkend. Fiese Sache. Wenn auch ohne Geschmacks- und Geruchsverlust wie jetzt. Heftiges G-Wort. Schweres G-Wort sogar. Was? Kennen Sie nicht? Doch, kennen Sie, G-Wort ist diese saisonale Krankheit, die durch Coronner ersetzt wurde und die man nicht mehr als Vergleich heranziehen kann, ohne als indiskutabler Alumantelhutechsenmensch dazustehen. Also mache ich das natürlich nicht.

G-Wort spielt in der gleichen unmöglichen Liga wie S-Wort. Kennen Sie das? S-Wort? S-Wort ist dieses schöne skandinavische Land da im Norden, das vergleichsweise chillig durch die vierte Welle kommt, aber im Vergleich zu Deutschland alles falsch gemacht hat. Keine Ahnung. Hey, ist Politik. Kenn‘ ich mich nicht mit aus. Ich weiß nicht, was gestern noch galt und morgen schon nicht mehr gelten wird. Was letzte Woche noch anerkanntes Allgemeinwissen war und nächsten Montag schon Nazi ist. So wie S-Wort und G-Wort. Wenn Sie die Dinger bringen, sind Sie raus. Also habe ich sie nicht gebracht. Bringe sie auch nicht. Bringe nie irgendwas. Hey. Yo. Hat jemand zufällig ein Ei? Ich habe Bock zu tanzen.

Hier, kurzer Einschub. Sie sehen, ich bin zumindest wieder fit genug zum Rosettenkleben:

Ob ich was gelernt habe? Natürlich nicht. Ich würde alles wieder so machen wie ich es gemacht habe. Okay, vielleicht würde ich die Angelegenheit nicht mehr so locker als profanen Schnupfen abtun. Ja. Eingeräumt. Ich würde es etwas ernster nehmen. Rein mental. Um nicht so überraschend ausgeknipst zu werden. Sonst nichts. Sonst gilt weiter, dass Angst nie eine Option war und nie eine Option sein wird. Lieber wild und gefährlich. Immer lieber wild und gefährlich. Artur. In der Bude einschließen aus Angst vor dem Leben kann ich mich, wenn ich tot bin. Leben ist potenziell tödlich und ich akzeptiere das.

Das mag Sie jetzt verwundern oder nicht, aber ich beabsichtige weiterhin, nicht vernünftig zu werden. Zum einen, weil ich immer unvernünftig war und weder anders will noch anders kann, vor allem aber, weil ich vom primitiven Dauergefeuer der multimedialen heiligen Krieger so maximal genervt bin, dass ich unwillig geworden bin, ohne vorher prinzipiell unwillig gewesen zu sein. Denn je mehr nölige Influencerclips, geifertriefende Beschimpfungsartikel mit überschnappenden Überschriften, Interviews mit hypertonischen Weltpräsidentärzten und immer diese semilustigen Schenkelklopfpseudosatireportalwitzchen auf Kosten von Andersdenkenden sie mir fast schon täglich aus verschiedenen Richtungen in die Messenger fisten, desto öfter als sowieso schon schalte ich ab. Wische weg. Stelle die Gruppenchats auf stumm, die so lange schon immer nur dieses eine öde Thema haben (den Alarm). Sperre zu. Drehe die Mucke auf. Blende gewissenhaft alles aus. Weil anschwellende Vehemenz eines Begehrs bei mir stets das Gegenteil bewirkt. Das ist wie mit aggressiver Werbung. Je mehr ich damit zugeschüttet werde, desto weniger habe ich Bock.

Die sind aber auch bekloppt. Was denken die sich denn? Wer lässt sich denn permanent beschimpfen und beleidigen und kriecht danach demütig ans Kreuz, um den Beschimpfern und Beleidigern ihren Willen zu geben? Sind die bescheuert? Macht doch keiner. Was glauben die denn, was die damit erreichen? Am Arsch die Räuber, Alder. Nix is‘. No. Ich bleibe genau dort sitzen, wo ich bin. Jetzt nach der überstandenen Infektion mit selbstgeklöppelten Antikörpern sowieso. Und weil sie jetzt mit öffentlichen Beschimpfungen, Herabsetzungen, Prangern und übergriffigen Beleidigungen in Dauerschleife begonnen haben sogar aus Prinzip. Ich will jetzt sehen. Was passiert. Was danach kommt.

Also wieder dummes Homeoffice. Ohne Restaurant, Club, Bar, Einzelhandel oder Kino (egal, war ich eh schon seit Jahren nicht mehr), aber dafür mit dem albanischen Amazonmann, der mir jeden Tag einen anderen Scheißdreck in die Bude liefert. Sitze ich da und kucke, was die nächsten Wochen noch so alles gedroppt werden wird an tollen Ideen. Womit sie noch an den Start gehen werden. Vielleicht ein Hotdog. Mit extra Gurkenscheiben. Ein Doppel Whopper mit Käse. 1.000 Paybackpunkte plus Treueherzen. Oder sie schalten mir den Strom ab. Das warme Wasser. Regeln mir das Internet auf ISDN ohne Kanalbündelung runter. Legen mir ne tote Ratte vor die Tür. In Zeitungspapier eingewickelten Hundekot in den Briefkasten. Rühren mir Östrogene ins Trinkwasser, damit mir Biertitten wachsen. Oder ich darf schon ab nächsten Montag meinen eigenen Balkon nicht mehr betreten. Weil der zu 2Gplus erklärt werden wird. Ma‘ kieken. Der öffentliche Diskurs sprüht ja momentan vor Kreativität in diesen Dingen. Das Zuckerbrot für die Pferdchen ist vorbei, wenn ich sie richtig verstehe. Jetzt kommt die Peitsche. 

Na dann haut mal schön zu.

Was? Ja, ganz klar, es braucht mehr Rosetten, hier, bitte:

Bei einem Borgwürfelgespräch wurde mir die neue Normalität, deren kalt separierende Grunddenke die Meisten bemerkenswert schnell adaptiert haben, greifbar manifest:

„Mark, haha! Sieh’s positiv. Jetzt kannst du einen Genesenenausweis beantragen.“

„Wozu?“

„Na dann kannst du ab jetzt überall rein.“

„Ja, könnte ich. Will ich aber nicht.“

„Warum nicht?“

„Kein Bock. Einfach nur keinen Bock.“

Um’s deutlicher zu sagen: Sie dürfen sich ihren Genesenenausweis gerne tief in den Arsch schieben. Ich mach‘ da nicht mit. Das hat grundsätzliche Gründe. Der Gedanke dahinter ist einfach zu eklig.

Huh.

Bibber.

Kalt geworden, nicht? So insgesamt. Das Klima eisig. Die Wortwahl finster. Wie dieses noch vehementer gewordene öffentliche Markieren von Abweichlern, die es nur noch stumpf zu züchtigen gilt. Politik. Medien. Große Stars. Kleine Sternchen. Wirtschaftslenker. Bosse von Bossen. Große Schreiber. Kleine Schreiber. Beschimpfungen. Wutausbrüche. Irrationale Schuldzuweisungen. Schnarrende Endsiegparolen. Eine letzte Kraftanstrengung vor der letzten Kraftanstrengung vor der letzten Kraftanstrengung. Haltet jetzt euer Maul und krempelt die Ärmel hoch für den Sieg. Und wer nicht mitläuft ist ein Schädling, den man biegen und beugen muss mit allen Mitteln. Was da für ein Reigen kanalisierter Wut aus den Bildschirmen auf die als schuldig identifizierten Brunnenvergifter regnet. Und es funktioniert. Wie immer. Menschen sind so. Vox populi will entmenschlichte Watschenmänner zur Triebabfuhr, die der aufgehetzte Mob durch die Gassen (oder heute ganz modern: durchs Internet) treiben kann. Also bekommen sie welche. Blast die Fanfare. Drängt sie. Treibt sie. Identifiziert sie. Stellt sie öffentlich aus. Hängt sie hin. Fackeln. Mistgabeln. Teer. Federn. Keine Gefangenen. Denn wenn der Jab nicht das bringt, was versprochen wurde, ist das natürlich die Schuld von denen, die ihn nicht nehmen. Ja, super Logik, finde ich auch, aber Logik ist seit fast zwei Jahren sowieso ausverkauft. Nicht mehr im Angebot. Haben sie aus dem Sortiment genommen. Kommt auch nicht mehr rein.

Dabei ist alles an denen da oben an den Mikrofonen so offenkundig unredlich. Die Attitüde. Ihre Worte. Ihre Haltung. Die Bigotterie. Das dort sind dieselben Gestalten, die das Gesundheitsystem neoliberalisiert haben. Es in ein gewinnorientiertes Korsett gesteckt haben, in dem konsequent nach Profit und gegen das ausgelutschte Personal entschieden wird. Über Jahrzehnte machen sie das jetzt schon so und sie haben auch während der ganzen Pandemie nicht damit aufgehört. Haben auch in den letzten anderthalb Jahren nichts zur Verbesserung eingeleitet. Nicht umgesteuert. Gar nichts gemacht. Und das Ergebnis ist, dass ihr nichtsnutziges ausgedünntes gewinnmaximiertes System bei der ersten echten Belastungsprobe zusammenbricht.

Aber anstatt jetzt wenigstens einfach zuzugeben, dass sie Scheiße gebaut haben, dass sie falsch lagen, es jetzt anders machen müssen, und zwar schnell, wird von den Verantwortlichen zur Ablenkung ein dreiköpfiger Affe zum Verkloppen aus dem Hut gezogen. Jemand, der am ganzen Unglück schuld ist: Taraa! Hallo lieber Mob. Bitte sehr. Jagt mich Entscheider bitte nicht vom Hof. Ich kann da nix für. Ich habe von nichts gewusst. Ich weiß nie irgendwas. Nehmt lieber die da. Da hinten. Die freiwillig Ungeimpften. Und auf die wird jetzt eingedroschen. Mit allem was sie haben. Schaum am Mundwinkel. Die Tonart überdreht. Die Sprache aggressiv. Die Vorschriften so unlogisch wie schikanös. Haltet den Dieb! Fangt den Klabauter! Weil das so schön einfach ist. Bequem. Und so deutsch wie irgendwas deutsch sein kann.

Ich find’s billig. Und durchschaubar. Passt ja auch nicht. Der Entscheidungshorizont der meisten Leute inklusive meinem endet an der eigenen Wohnungs- oder maximal an der Bürotüre. Niemand von denen hat je irgendwas Relevantes zum korrupten, zerfledderten und vergurkten Gesundheitssystem entschieden. Meines Wissens sind es immer Minister gewesen, die das alles entschieden haben. Die Kürzungen. Das Sparen. Die Budgetierung. Krankenhausschließungen. Optimierung. Maximierung. Profitorientierung. Das alles waren genau jene Minister, die jetzt völlig unbeteiligten Leuten, die eine selbstbestimmte Entscheidung über ihren Körper getroffen haben, öffentlichkeitswirksam die Schuld für alles geben.

Wow. Echt billig.

Aber klappt.

Klappt immer.

Die auch in meinem direkten Umfeld beunruhigend aufgestachelten Leute, von denen ich diesen Gesichtsverlust in so einem Ausmaß nicht erwartet habe („Mannschaftswagen, abholen, auf die Fresse hauen, durchimpfen und Ruhe is‘ da jetzt mal.“), sind das Ergebnis des dauerhaften Bombardements mit schwarzer Pädagogik, die seit Corona ihre gruselige Auferstehung feiert. Und bist du nicht willig so brauch‘ ich Gewalt ist jetzt endlich wieder eine akzeptierte Option. Nicht mehr überzeugen, sondern verbalknüppeln. Das Fordern von Fressehauen, Abholen, Zwangsbehandeln ist jetzt nicht mehr nur auf Twitter, sondern in Teeküchen, bei Kaffee und Kuchen bis zur Zoomkonferenz meines bescheuerten Arbeitsplatzes ein anerkanntes sprachliches Stilmittel, andere zu etwas zu nötigen, was die nicht wollen.

Fragen Sie mich nicht, was da jetzt noch kommen soll zur Steigerung. Sie haben ja schon fast alles durch. Separierung. Markierung. Finanzielle Nachteile. Schikanen. Suspendierung aller möglichen früher mal unverhandelbaren Abwehrrechte. Sie haben es mit Hohn versucht. Framing. Verseuchtem Labeln. Lächerlichmachen. Mit Gebrülle. Beschimpfen. Anwürfen. Blankem Hass. Aus ihren Lautsprechern. Von ihren Einpeitschern. Ihren Kommentatoren. Ihren Influencern. Dem staatlichen Rundfunk. Sogar ihren Comedians. Kein Plan, was jetzt noch an Eskalation kommen soll. Bleibt nicht mehr viel. Die Bullen an der Haustüre vielleicht. Ding dong. Kommen Sie freiwillig mit zur Impfstraße oder braucht es unmittelbaren Zwang?

Dieser autoritätsbesoffene Umgang mit den Anderen, die die Dinge eben, nun ja, anders sehen, wird lange nachwirken, viele diskursvergiftete Jahre womöglich, unabhängig davon, ob sie die schon längst in eigenen Parallelgesellschaften abgesonderten Dissidenten doch noch an die Nadel gemobbt bekommen oder nicht. Keine Ahnung, wo der Weg enden soll, den sie da gehen, ich weiß es wirklich nicht, aber der bleierne Biedermeier der Zehnerjahre isch auf jeden Fall over, genauso wie der bis 2019 noch halbwegs tragfähige zivile Konsens, der den Umgang miteinander grundsätzlich gewaltfrei zu regeln imstande war. Davon ist nichts mehr übrig. Wir haben Zeitenwende. Li Lu Lackmustest in dieser Dauerkrise. Jahrzehntelang schlumpfig-gurkig und irgendwie jeder wie er wollte, jetzt autoritär. Zügel anziehen. Daumenschrauben auch. Smells like Gleichschritt. Kasernenhof. Maul halten alle. Es läuft jetzt anders. Klingt auch anders. Die Tonart des neuen Geists trieft aus allem hervor. Aus der Sprache, den Texten, den Gesten, den Bildern, die sie wählen, und natürlich den Vorschriften: Es wird wieder durchgegriffen in Niewiederland. Und von dort, wo sie jetzt schon stehen, werden sie nicht mehr einfach so zurück können. Die Erde hinter sich haben sie nicht nur verbrannt, sie haben sie ausgehoben. Hochgejagt. Nichts mehr da, was als Basis für Verständigung zwischen Verschiedenen taugen würde wie früher. Nur noch ein riesiger Graben, über den wechselseitig kotbestückte Jauche geschossen wird. Da wendet man sich doch ab. Als Kevin Normalhonk. Bevor man was davon auf die Jacke bekommt.

(via)

Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sie sich, wenn das alles doch irgendwann mal vorbei sein wird, glaubhaft wieder ihr altes freundliches zivilgesellschaftliches Gesicht aufsetzen wollen. Wie soll das gehen? Dafür haben sie zu viel zertreten, zerschrotet und zerbrüllt. Und alle die, die sie jetzt beschimpft, ausgegrenzt, mit Bosheiten gegängelt und mit Verbalkot beworfen haben, werden ihnen kein Stück mehr über den Weg trauen, wenn sie da oben irgendwann plötzlich wieder mit ihren wohlfeilen Worthülsen anfangen. Wenn sie wieder was von Antidiskriminierung labern. Von Respekt. Mitsprache. Freiheit. Zuhören. Mündigem Bürger. Gleichheit. Diversität. Toleranz. Aushalten anderer Standpunkte. Das ist tot alles. Ihr ganzer alter Konsens ist tot. Ihr ganzes lustiges Theoriegebilde ist tot. Nur noch Papier und nicht mal das wert. Sie haben es geschrottet und durch nichts als giftige Kriegsrhetorik aus der Mottenkiste längst begraben geglaubter pickelhaubiger Zeiten ersetzt. Es ist eine Sprache, mit der ein Feind markiert und erlegt werden soll. Schädlinge. Lager. Einsperren. Aussperren. Separieren. Einlassbeschränkung. Kontaktverbot. Sprechverbot. Demonstrationsverbot. Ausgehverbot. Verweilverbot. Löschen von Videos. Löschen von Postings. Löschen von Meinung. Mit Flatterband abgesperrte Schaukeln. Parkbänke. Die Ausgangssperre. Die Anscheißer. Aufschreiber. Bullenrufer. Die Maske-Auf-Schnarrer. Die berühmten Berliner Knüppelcops. Schilder. Helme. Wasserwerfer. Pack. Leugner. Schwurbler. Allesnazisnazisnazis. Auf die Fresse. Auf die Fresse. Auf die Fresse. Was für ein Bankrott.

Mich wundert die hohe Zahl an diffusen Impfrenitenten übrigens nicht, die sie nun final mit der Eisenstange biegen, beugen und brechen wollen. Ich glaube, dass die Ursache nicht nur die Entfremdung vieler in verschiedene Parallelgesellschaften separierter Milieus ist, die sich von der Mehrheit längst abgeklemmt haben, sondern wohl auch schlicht Abnutzung. Konkret: Sie haben einen signifikant großen Teil der Leute, die sie jetzt nicht mehr erreichen, mit ihrer Vehemenz matschig gejault. Um verständlich zu machen was ich damit sagen will, müssen wir ein paar Jahre zurückgehen. Und zwar die letzten zehn, zwölf Jahre, in denen permanent und pausenlos vor dem Wolf oder besser vor allen möglichen Wölfen gewarnt wurde.

Wir haben all diese ganzen letzten entzündeten Internetjahre lang einen ununterbrochenen Alarmzustand über alles erlebt. Jeden Tag. Jeden Furz. Jeden Kack. Überall. Ständig Alarm. Skandal. Alles maximal schlimm. Und überall nur Nazis, Verderben, Tod und kompletter Meltdown, herbeigefeuert von überdrehten Kurznachrichtendiensten voller wohlstandssatter Endzeitborderliner mit lustvoller Freude an permanenter Eskalation. Wolf! Wolf! Wolf! Wolf! Da! Noch mehr Wolf! Wolf! Wolf! Hülfe Wolf! Wo-holf! Vor lauter sirenengeschwängerter Daueraufregung im Dauerfeuermodus über wirklich jeden Rotz stumpft so ein Publikum halt irgendwann ab. Viele glauben dann irgendwann einfach nicht mehr, dass der Wolf jetzt wirklich da ist. Wenn der schon 68.000 Mal nicht gekommen ist, warum soll der jetzt kommen.

Und selbst wenn er kommt, dann isser halt da. Die Leute machen trotzdem weiter wie immer. Weil der Alarm ja normal geworden ist. Folklore. Weil alle müde sind vom jahrelangen Geschrei. Vom unendlichen Geblöke aller möglichen Blöker, die ja immer blöken. Mir geht’s ja nicht anders. Ich bin so stumpf inzwischen, dass so gut wie gar nichts mehr irgendeine Rolle für mich spielt. Nichts. Keine Warnung. Keine Paniksirene. Kein Ausrasten der üblichen Ausraster. Keine ihrer vielen Hysterien über jenes und dies. Nicht ein einziger Shitstorm interessiert mich mehr. Weil in zwei Stunden schon der nächste kommt. Auch diese neue Variante aus Südafrika, wegen der sie jetzt seit ein paar Tagen alle wieder vollkommen freidrehen, ist für mich nicht mehr als weißes Rauschen. Dengel Dengel. Alerta. Huhu. Achtung, eine Variante. Tod. Verderben. Teufel. Untergang. Jetzt aber wirklich. Und wenn wieder nicht, dann nächstes Mal. Ich bin so kaputtgejault, dass ich inzwischen glaube, es könnte direkt neben meiner Butze in Berlin-Prenzlauer Berg ein Vulkan ausbrechen, in den kurz danach ein Meteorit einschlägt, während am Kraterrand Björn Bernd Bilbo Höcke die kommunistische Räterepublik ausruft und ich würde nur bräsig mit den Schultern zucken. Ach iwo. Dieses Twitter wieder. Dreht wieder ab. Wie bescheuert. Viel Heißluft um Nichts. Kann ja nicht so schlimm sein, wenn Twitter blökt. Twitter blökt ja stündlich. Gähn. Ich lege mich wieder hin. Mal kucken was Netflix so am Start hat. Ah. Eine Coronadoku. Mit Propellerkarl. Der warnt wieder. Ach je.

Keine Ahnung, was die Exit-Strategie von denen ist. Mir kommt es immer noch vor, als haben sie sich in diesem aussichtslosen Kampf gegen diese offenbar mit keinem Mittel der Welt beherrschbare Atemwegserkrankung verrannt und kommen ohne Gesichtsverlust nicht mehr aus dieser Kurve raus. Lockdown, Lockern, Lockdown, Lockern. Wieder Lockdown. Wieder Lockern. Wie stellen die sich vor, dass diese Dauerschleife jemals endet? Gar nicht? Ab jetzt jeden November die Bude dichtmachen? Und ab März wieder auf? Dann jedes Vierteljahr den Jab dazu? Als Abo? Mit der kompletten Mobberei der Unwilligen? Für immer? Echt? Ist das die Idee?

Und da stehe ich, als kleiner Honk fassungslos kopfschüttelnd im Raum und blicke auf die seit knapp zwei Jahren rotierende surreale Gruppendynamik. Eigene Betroffenheit mit dem Virus hin oder her, aber ich bin immer noch nicht bereit, mich von ihrer Dauernervosität anstecken zu lassen. Es ändert auch nichts an meinem Unwillen, wenn die Sirenenkurbler ihre eh schon ohrenbetäubende Sirene noch lauter drehen, sie noch länger – bis in die Nacht hinein wegen mir – laufen lassen, neue Kanäle, alle verbliebenen Vertriebswege damit zukleben, mir jeden Tag von verschiedenen Seiten mehrere verschiedene Influencersirenen in den Messenger schieben. Es bleibt nur Rauschen. Sattheit. Hirnparalyse erreicht. Hinter mir kommt nur noch der Puffer, hinter dem gar nichts mehr kommt. Nur ein Abstellgleis vielleicht. Komplette Lethargie. Keine Sirene bewirkt bei mir mehr irgendwas. Nur noch Gähnen. Fuck den Meteoriten. Und den Vulkan. Und den Bilbo. Ich geh‘ in die Kloschüssel reihern, Artur. Das hat mehr Substanz als jeder tägliche Klickmichclip eines keifenden werbegelderabräumenden Influencers.

Dabei – und jetzt kommt der größte Treppenwitz aller Zeiten, ehrlich, schwöre, Sie werden gleich komplett ausrasten, egal auf welcher Seite der Barrikaden Sie stehen – bin ich gar kein Impfgegner. Null. Mir ist Impfen oder Nichtimpfen scheißegal. Ich besitze sogar Impfungen. In dem dummen gelben Ausweis. Die letzte vor vier Jahren. Tollwut. Wegen eines Kurztrips in ein Tollwutgebiet. Buhu. No shit, Sherlock. Und wer weiß, ich wär‘ wahrscheinlich gar nicht so unwillig, wenn sie mich nicht so entsetzlich nerven würden. Und ich die alle mit ihrer totalitären Attitüde nicht so eklig, hässlich, abstoßend, schlicht zum Wegrennen finden würde. Nee, tut mir ja auch leid, aber ich habe gar keine Agenda. Ob Sie sich impfen oder es bleiben lassen ist mir vollkommen egal. Geht mich auch einen Mist an. Machen Sie was Sie wollen. Impfen Sie. Impfen Sie nicht. Impfen Sie halb. Oder dreifach. Zehnfach. Alle zwei Monate. Jeden Tag von mir aus. Stündlich. Mir Wurststulle. Your call. Not mine. Wägen Sie ab. Treffen Sie eine Entscheidung. Und ziehen bitte durch, ohne danach zu jammern. Ich tu’s auch. Bonne chance.

Eine Sache noch zum Abschluss der Elegie, weil es mir kürzlich auffiel: Können Sie sich noch an den ganzen Coronakitsch vom Anfang dieser gestörten Pandemie erinnern? Diese supilustigen Tanzbären, Amateursängerinnen und gelockdownten Zahnärzte, die pseudowitzige antimusikalische Compilations auf YouTube stellten und sich dafür feiern ließen. Für diesen ganzen versammelten und natürlich monetarisierten Müllcontentmist. Diese ganzen schlimmen extrovertierten Homeofficeclips unter der Beigabe von Bongotrommeln, Klarinetten, Klopapierrollen und dem Essensbesteck aus der Vitrine des heimischen Flurs. Die vielen Arien vom Balkon. Die Geigen aus der Küche. Gitarren. Saxophone. Panflöten von der Maisonettetreppe. Hunderte über hunderte von Pantoffelmanfreds und Birkenstocksonjas mit eigener Video-App live und direkt vom Selfiestick.

Vorbei. Das alles ist weg. Mitbekommen? Fort. Ausgelöscht. Der ganze infantile Kitsch. Da kommt jetzt gar nix mehr. Lange schon nicht mehr. Alles fortgespült. Die bestecktrommelnden Zahnärzte. Die trällernden Hausmütterchen mit ihren Blechkuchen. Tapfere Kinderchöre auf Balkonen. Gelockdownte Grafikdesignerinnen mit Xylophon. Die Oma mit Windspiel. Tanzende Schamaninnen. Ein Typ mit Leguanen im Terrarium, der ironische Gedichte über Eichhörnchen in Quarantäne vorträgt. Schluss. Niemand dichtet mehr. Niemand singt mehr. Niemand macht mehr Witze nach fast zwei Jahren Pandemieblei. Niemand macht mehr superkreative Compilations mit Schaumkelle, Blumenkübel, Gartenschere, Hühnerbein, nichts mehr zu sehen von all dem megawitzigen (bargh) Viralmüll, der mir damals in der Anfangsphase von Corona fünfmal jeden Tag den Gruppenchat verklebt hat. Im Gegenteil, Schluss mit Leichtigkeit. Die eiternde Gesellschaft hat jetzt offene Tuberkulose. Und kotzt Blut. Gift. Galle. Gedärm. Ist verbiestert. Verknöchert. Verhärtet. Ich sehe nur noch waidwunde Fratzen am Ende aller Nerven, die dünnhäutigen jähzornigen Content in ihre Kameras plärren. Keiner mehr lustig. Keiner mehr ironisch. Keiner mehr leicht. Flockig. Nicht mal mehr einer infantil. Wer jetzt noch Witze macht wird filetiert. Witze werden nicht mehr gemacht. Schon gar nicht über irgendwas. Das ist Deutschland hier. Mehr denn je. Wer Witze macht ist Nazi.

Darauf eine letzte Rosette …

… und jetzt reicht’s auch. Wirklich. Mir steht’s bis hier. Alles. Lange schon. Corona. Quarantäne. Eselhusten. Gelalle. Getröte. Ich geh‘ kaputt. Tschö mit ö. Das war der monothematische November. Mehr war nicht.


Grüße.