Verarsch mich doch (37)

Da mein Spitzenmobilfunkanbieter mich genervt hat, möchte ich kündigen. Der alte Vertrag ist eh zu teuer, also in die Tonne damit.

Sie haben für die Erledigung der meisten Dinge eine App entwickelt, die „MeinYogafone“ heißt. Die entsperre ich mit dem Daumenabdruck und kann da alles drin lesen, was ich lesen will, Datenvolumen, Bonusvolumen, Kosten und was ganz wichtig ist: Die Vertragslaufzeit und die daraus folgende Kündigungsfrist. Klick. Oho. Nur noch vier Monate Laufzeit, da wird es Zeit zu kündigen, sonst hänge ich wieder zwei Jahre teuer im Schleppnetz rum. Wo ist der Button dafür? Hier. Klick.

Ein Popup.

„Geben Sie Ihr Kundenkennwort ein.“

What the fuck is Kundenkennwort? Hey Google?

Dein Kunden-Kennwort hast Du festgelegt, als Du Deinen Vertrag mit uns abgeschlossen hast. Es schützt Deine persönlichen Daten. Gib deshalb Dein Kennwort bitte nicht weiter. Du findest es auf Deinem Vertrag. Dieses Kunden-Kennwort brauchst Du zur Identifikation bei unserer Kundenbetreuung.

Grmpf. Sie duzen mich. Und verwenden einen Deppenbindestrich zwischen zwei Hauptwörtern. Da ist sie wieder, die Bildungsmisere, gepaart mit der allgegenwärtig gewordenen Infantilität. Im Ergebnis wieder sprachliche Rapeculture, die sie so lieben und ich so verachte. Dumm auch, dass auf meinem Vertrag gar kein Kundenkennwort steht. Er ist halt auch nicht mehr ganz frisch. Der Vertrag. Möglich, dass er einfach zu alt ist. Zu alt jedenfalls für ein Kundenkennwort. Call me maybe. Egal. Telefonieren wir halt. Ich kenne das ja. Im Zweifel klappt irgendwas online nicht und ich hantiere zusätzlich zu den im Onlinestruggle verlorenen Nerven mit Telefon, Zettel und dem guten alten abgekauten Bleistift. Antidigitalisierung plus Umständlichkeit plus hirntötende Bürokratie gleich Deutschland. Ich weiß nicht, wer dieses Land 2021 immer noch als effizient, präzise und modern hinstellt. Wahrscheinlich nur noch einzelne in ahnungslosen Tälern hausende Bewohner dieses Landstrichs selber und das auch nur, weil sie noch nicht die papierlose Effektivität der Geschäftsprozesse und das schnelle Internet von Moldawien, Aserbaidschan und Gabun kennengelernt haben.

(ring)

„Herzlich Willkommen beim Yogafone Kundenservice. Wenn Sie kein Goblin sind, dann drücken Sie die 3 …“

Drück.

„Wenn Sie in der Bundeshauptstadt wohnender blauäugiger Rechtshänder sind, dann drücken Sie die 7 …“

Drück. Drück. Drück.

Drück.

Drückdrück.

Didumm.

(Fahrstuhlmusik)

Pfeifen im trübtauben Musenginst.

(…)

(eine halbe Stunde vergeht)

(…)

(Hirnzellen sterben)

(…)

„Yogafone Kundenbetreuung, guten Tag, was kann ich für Sie tun?“

„Ja, guten Tag, ich möchte gerne meinen Mobilfunkvertrag kündigen.“

„Das müssen Sie in der Yogafone-App machen.“

„Habe ich versucht. Das geht nicht. Dazu brauche ich ein Kundenkennwort.“

„Das finden Sie auf Ihrem Vertrag.“

„Ja, das weiß ich. Und nein, da ist keines.“

„Das muss aber.“

„Ist aber nicht.“

„Muss aber.“

„Ist aber nicht. Ischwöre. Der Vertrag ist uralt. Macht aber nix. Ich kann doch hier jetzt bei Ihnen mündlich kündigen?“

„Das geht nicht.“

„Warum nicht? Ich kann bei Ihnen ja auch mündlich einen Vertrag abschließen, verlängern oder ändern. Gerade erst vor ein paar Wochen habe ich bei einem Ihrer Kollegen einen Vertrag einfach so per Telefon mündlich verlängert. Rechtswirksam als Audiofile aufgenommen. Geht also.“

„Nein, aber kündigen geht so nicht.“

„Okay. Traurig, aber nicht zu ändern. Geben Sie mir dann bitte ein neues Kundenkennwort? Damit ich das selber machen kann?“

„Das geht nicht. Für Vertragsangelegenheiten brauche ich das Kundenkennwort.“

„Was?“

„Das Kundenkennwort brauche ich.“

„Um mein Kundenkennwort zu ändern?“

„Ja.“

„Hören Sie selber wie das klingt?“

„Ja, aber ich kann nichts machen.“

(Es ist wie immer. Er kann nichts machen. Sie können nie was machen. Das ist mein Leben. Niemand kann je irgendwas machen. An gar nix.)

„Okay, was kann ich tun, wenn ich meinen Vertrag kündigen will, aber kein Kundenkennwort habe?“

„Gehen Sie mit Ihrem Ausweis in die nächste Yogafonefiliale und kündigen da.“

„Wir haben Lockdown. Die Filialen sind zu.“

„Nicht alle.“

„Welche sind denn auf?“

„Das kann ich nicht sagen.“

„Was muss ich tun, damit ich kündigen kann, ohne jetzt aufwändig nach einer offenen Filiale zu suchen?“

„Sie müssen schriftlich ein neues Kundenkennwort beantragen.“

„Okay, geht das per E-Mail?“

„Nein, wir haben keine Kontakt-E-Mail.“

„Verstehe ich nicht. Jeder hat eine E-Mail. Wieso Sie nicht?“

„Wir haben keine E-Mail.“

„Damit ich nicht per E-Mail kündigen kann, was? Haha.“

„Wir haben keine E-Mail.“

„Was machen wir jetzt? Ich will kündigen.“

„Sie müssen schriftlich ein neues Kundenkennwort beantragen.“

„Wie? Per Post? Per Brief? Also in Papier?“

„Ja, mit Briefpost.“

„Dann kann ich doch gleich per Brief den Vertrag kündigen anstatt per Brief ein neues Kundenkennwort zu beantragen, um dann den Vertrag online zu kündigen.“

„Das können Sie tun.“

(Guten Tag, ich bin der Mark und habe das Gefühl, dass ich in einer Parallelwelt lebe, die von Schlümpfen bevölkert ist, die wissen wollen, wann ich endgültig wahnsinnig werde.)

Ach egal. Guess what? Ich werde es tun. Einen Brief schreiben. In Papier. Auf getrocknetem Totholzmatsch. Auf dem stehen wird: „Jetzt reicht’s. Ich kündige!“ Sobald ich herausgefunden habe, wo man heute noch so etwas Komisches wie Briefumschläge kaufen kann. Wahrscheinlich im Kolonialwarenhandel.

Das ist mein Mobilfunkanbieter im Jahr 2021. Ein Auftritt wie 1913. Und deshalb muss ich auch Briefe schreiben wie 1913. Frankiert mit Briefmarken. Für die Feldpost. Auf dass ich möglichst viel arbeiten muss, um einen Vertrag zu kündigen. Endlich Haftentlassung bekomme. Aus dem Irrenhaus. Bitte. Danke. Verarsch mich doch.


Verarsch mich doch (36)