Jetzt ist sie weg

Ein Mensch, der allen Ernstes daran glaubt, dass er durch die Wahl einer korrupten, oligarchisch organiserten politischen Partei seine Lebensumstände verbessern könne, ist wie ein Fisch, der auf den Angelhaken zuschwimmt und sich vom Beißen eine Verbesserung seiner Lebensumstände verspricht. Der einzige Unterschied: Der Köder am Angelhaken ist meist glaubwürdiger als die Versprechungen der Parteien.

Lumières dans la nuit


Okay. Hat mich kalt erwischt. Ich habe damit nicht gerechnet. Ich habe gedacht, sie würden sie wiederwählen. Weil sie sie immer wiedergewählt haben. Die SPD. In die Sessel. An die Tröge. Dieser Stadt. Haben sie immer gemacht.

Ich fand‘ den Wowereit damals gut. 2001. Ich habe den gewählt. Als Grünohriger. Kleiner. Naiver. Dummer. Wowi war klasse. Der hat den Muff aufgebrochen, der war verwegen, keck, forsch, lustig. Und schwul. Der erste Spitzenkandidat, der offen schwul war und das sagte. Wowereit hat uns das Fenster aufgemacht. Den Nischenkindern die Normalität gegeben, die nötig war. Wenn der, dann wir auch. Ich habe noch ein paar Jahre gebraucht, um aus mir rauszugehen, war da noch nicht so mutig wie Wowi, der sich da oben hingestellt hat, es gesagt hat, ihnen, allen, die schon zum Kotwerfen aus dem Kotzekübel angesetzt hatten. Wowereit hat den alten CDU-Landowsky-Muff der Zehlendorfer Ekeleminenzen weit raus zurück in die Gruften ihrer vermoosten Villen vertrieben und plötzlich wurde die Stadt sexy. Arm, klar, aber sehr sexy, denn hey, wir hatten Wowi. Den über alle Landesgrenzen hinaus bekannten Partymeister. Und das war ganz eindeutig gut so.

So waren die Nullerjahre. Ich in den Zwanzigern. Die Welt offen. Die Möglichkeiten da. Nächte lang. Leute geil. Die Stadt der Hammer. Und doof wie ich nun mal bin, dachte ich, das bliebe jetzt so.

Der Rest ist Geschichte. Wowereit wurde fett und wurstig und zynisch und ignorant. Stellte sich den fürchterlichen Sarrazeng an die Seite. Verödete die Verwaltung, verschlumpfte den Flughafen, ließ die Clubkultur durch Nichtstun absterben, privatisierte die Wohnungsbaugesellschaften, bolzenbeschoss den sozialen Wohnungsbau und übergab dann in einer Art Erbfolge an einen dürren Technokratenmüller, der dieser Stadt vorstand wie der Kassenwart einer Laubenpieperkolonie. Und was mal sexy war, wurde zur bundesweiten Lachnummer, über die man sich sogar in Unstädten wie Gießen, Essen und Recklinghausen lustig tat. In der Gewinn- und Verlustrechnung die Spiegelstriche des Versagens. Zerrüttete Verwaltung. Zerrüttete Straßen. Zerrüttete Schulen. Zerrüttete S-Bahn. Wohnungsmangel meets Mietenexplosion. Und ein Milliardengrab von Flughafen als ewiges Zuschussgeschäft. Dafür Gender. Kliehmer. Parklets. Pop-up-Radwege. Diagonalsperren. Rote Welle auf der Seestraße. Jede Menge neue Pöstchen für zu versorgende Parteimumien. Versiffende Stadtmöbel auf der Schönhauser. Verrottete Parks. Abgeschaltete Brunnen. Spreadende Kriminalitätsschwerpunkte aus ein, zwei, drei vielen Clanspots. Die Favelas unterm Magistratsschirm. Die Junks auf der Oberbaumbrücke. Die verlorenen Krakeeler auf der Greifswalder. Die Gruppen aus aggressiven Antänzern im Wrangelkiez. Um die sich im Lichte der allgemeinen Berliner Verantwortungslosigkeit niemand kümmert. In der Nase der Dunst der immerwabernden Pisse, der Kacke, der Kotze in den mülligen Gassen.

Und trotzdem haben sie sie immer wieder gewählt hier. Sogar die Gyffy haben sie einmal gewählt. Obwohl man der vorher wegen Beschiss‘ den Doktor abgenommen hat. Egal. Gewählt. Sogar die. Unsere SPD. Kann Scheiße bauen wie sie will und nimmt trotzdem oben auf dem Sessel Platz. Stumpf bis zum Erbrechen. Nie war das anders. Da oben saß die Tante immer und hat runtergegrient. Bis neulich. Jetze. Vor ein paar Tagen. Jetzt ist’s wohl vorbei. Für mich überraschend. Abgewählt. Und das ist eine Leistung. Denn wenn man in einer strukturell kreuzlinken Stadt wie Berlin die Pole Position mit knapp zehn Prozentpunkten Differenz an die moddernden Mottenkugeln von der muffigen Dahlemschmargendorfspandau-CDU verliert, heißt das wohl, dass man’s echt hart verkackt haben muss. Wenn einen selbst Berlin nicht mehr wiederwählt.

Was bleibt ist Würdelosigkeit bis zum Schluss. Sogar noch nach der Klatsche. Kein charaktergroßes Einräumen der Niederlage und würdereiches Hutnehmen, sondern abstoßendes Kleben am Amt zum Hochtreiben des Preises für die künftige Juniorpartnerschaft. Was ein weiteres toxisches Phänomen dieser Zeit ist: Niemals gehen sie mehr freiwillig, nicht im Zuge irgendwelcher Skandale und auch nicht nach klar deutlichen wählerwilligen Ohrfeigen. Früher undenkbar, dass man so dreist klebt, jetzt inzwischen geübte Praxis. Die gehen einfach nicht. Egal was sie gemacht haben, egal was sie verloren haben, die gehen einfach nicht mehr, Klebstoff auf zwei Beinen, den man mit dem Presslufthammer vom Chefsessel meißeln muss, nicht mehr imstande, Verantwortung zu tragen und den Platz am Trog zu räumen, in der Einsicht, dass einen keiner, der nicht davon profitiert, da oben noch sehen will.

So endet das jetzt also mit der SPD nach all den Jahren, seit ich sie 2001 mit- und dann nie wieder wählte, nach den ganzen Jahren, in denen sie immer da war, auch als ich längst gar nicht mehr wählen ging. Zwei Dekaden verantwortungslos vor sich hin dilettiert und es geschafft, dass jetzt wieder die keimige Frontstadt-CDU, die den Niedergang zum Millennium mit dem längst vergessenen Bankenskandal erst eingeleitet hat, den Puff ausgerechnet als Ausdruck des Protests gegen das abgewirtschaftete Establishment wieder übernimmt. Ja Knaller. Glückwunsch allen. Jut jemacht. Und jetzt haut ab.