Herzlichen Glückwunsch, es ist ein Honk (47)

Ich find’s gut, dass wieder mehr von ihnen unterwegs sind. Von den Honks. Immer neue. Geht einer weg, kommt ein anderer. Würde es nicht auf Dauer fad werden, könnte man inzwischen wieder jeden Tag über sie schreiben, einen ganzen Blog füllen mit ihnen, Bücherwände, Youtubekanäle zuscheißen mit ihnen und vor lauter Klickiklickgeld reich werden. The Daily Honk – Support me on Patreon. Und vergesst das Abo und die Glocke nicht (buäh).

Der heutige Honk steht auf dem Bahnhof der U2. Senefelder Platz. Neben mir. Und einer Bank, auf der jemand die Reste eines Döners verteilt hat, was ausnahmsweise nicht ich war, denn ich verteile die Reste meiner Döner nur noch auf Fahrradsatteln. Weil Fahrradfahrer das verdient haben.

Ich habe heute keine Kopfhörer dabei, weil ich mit dem Kind unterwegs bin, und wenn man als Vater mit Kind unterwegs ist, sind Kopfhörer, während das Kind womöglich während des Smartphonedaddelns Kommunikation betreiben will, erziehungstechnisch eher unschön, weil mir das spätestens dann auf die Füße fällt, wenn das Kind irgendwann spät im verpfuschten Leben beim Privattherapeuten am Kollwitzplatz das kommunikative Versagen der eigenen Eltern aufarbeitet und mir die Schuld gibt an Fingernägelkauen, abseitigen Musikvorlieben oder dem Mörsern kleiner niedlicher Feldmäuse, um die Feldmausmatsche auf eine Pizza zu legen und mit Käse zu überbacken.

Der Aufenthalt in Berlins öffentlichem Raum ohne Kopfhörer mit fett Mucke drauf ist bekanntermaßen fahrlässig. Sie müssen sinnlosen Gesprächen sinnloser Menschen zuhören, den übergriffigen Telefonaten tratschiger Tratschen (die tratschen), Scheißmusik aus der Scheißboombox eines degenerierten Arschlochs oder irgendeinem Beller, der eingeschissen hat und ohne Zähne im Gang stehend Angela Merkel (regiert die noch? Ja? Puh. Sehr gut, nicht auszudenken wenn nicht) anklagt. Uckamaaaaaak!

Das Schlimmste ist aber: Ein Honk spricht Sie direkt an. Will mit Ihnen kommunizieren. Weil Sie keine Kopfhörer tragen und er weiß, dass Sie ihn deshalb nicht ausblenden können.

So wie der hier mich.

„Kann ja auch laufen.“

„Bitte?“

Fuck. Fehler. Ich habe auf ihn reagiert. Wie ein Anfänger. Das kommt davon, wenn man nur noch mit Musik im Ohr unterwegs ist. Man verlernt das Ausblenden der Honks, wenn man doch mal ohne sedierende Musik am Start ist. Ist angreifbar. Gerät in ihr Schleppnetz. Und muss mit ihnen reden.

„Der kann ja auch laufen.“

„Wer?“

„Der kann ja auch laufen.“

„Ich verstehe kein Wort.“

Ja nee. Weil es so schön ist, kann ich ja auch den selben Fehler, einem Honk zu antworten und ihm somit die so wichtige Aufmerksamkeit zu geben, gleich zwei Mal machen. Drei Mal sogar. Du Heldenkind. Das ist schon kein Anfängertum mehr, das ist Schwachkopftum. Ich bin debil. Man redet nicht mit Honks und eigentlich weiß ich das auch.

„Der da! Kann doch laufen. Wieso läuft der nicht. Heh! Du kannst auch laufen! Ja! Du! Laufen! Laufeeeeeen!“

Ich schaue an ihm vorbei. Ja. Den da meint der. Einen Typen vor dem Aufzug, der gedrückt hat und einfach nur wartet, dass der Aufzug kommt. Mehr tut der Typ nicht, aber das reicht schon, um den Honk zu triggern. Ich weiß nicht, was der sich davon verspricht, den Aufzugmann für sein Tun anzubrüllen, wohin er damit will, wem das nutzt, möglicherweise ist er ein Treppenfan und lehnt Aufzüge aus weltanschaulichen Gründen ab. Bewegt lieber seine Beine statt dass er sich vom Aufzug fahren lässt. Und möchte, dass andere es ihm nachtun. Kommt nicht damit zurecht, dass das nicht so ist. Dass andere Leute andere Entscheidungen treffen. Dass immer noch Leute mit diesem Aufzug fahren. Und deswegen muss er eingreifen in die Geschehnisse. Das passt in die Zeit. Niemand kann mehr Entscheidungen anderer einfach hinnehmen, ohne irgendwas zu kommentieren, irgendwen zu gängeln, einfach zu intervenieren. Zu versuchen, die Welt nach der eigenen Vorliebe zu formen. Packen sie nicht mehr. Halten das nicht mehr aus. Ganz klar: Der Honk ist der Zeitgeist.

Oder einfach besoffen. Das kann man schwer auseinanderhalten dieser Tage.

Ich habe endlich kapiert, dass er nur ein Honk ist, und reagiere nun gar nicht mehr auf sein Geseier, drehe mich um zu meinem Kind, das Candy Crush auf dem Smartphone spielt. Mein Kind hat alles richtig gemacht. Den Honken ignoriert. Nicht die geringste Interaktion betrieben. Ausgeblendet. Berlintypisch nicht mal aufgeschaut. Ich bin sehr stolz. Mein Kind wird ein echter Berliner. Weiß schon Bescheid. Über die Stadt. Die U-Bahn. Den öffentlichen Raum. Die Döner. Die Verstrahlten. Die Irren. Und die Honks. Herzlichen Glückwunsch.


Herzlichen Glückwunsch, es ist ein Honk (46)