Meinungsgeiger

Zugezogene haben mit mehreren Berliner Eigenheiten gerne mal ein massives Problem.

Da ist zum einen das Wegbier.

Das Wegbier gehört zum Stadtbild. Der Berliner trinkt es überall im Gehen und Stehen und der Tourist macht es nach. Nur Anfänger glauben, der Berliner würde das nur in der U- und S-Bahn machen und verziehen dann das Gesicht ob des Biergünthers, der aus der Fresse irgendwelcher rülpsenden Mettigelgesichter in die Fresse bornierter Zugezogener weht. Das ist mitnichten so, denn der Berliner trinkt das Wegbier auch im Park während seine Kinder mit den Kronkorken spielen, auf dem Weg zu Bekannten, wenn zwischendrin kein Späti kommt und rülpst genau auf der Höhe der Kinderwägen (nur mit ä, immer mit ä, zumindest dort, wo ich wohne), beim Beachvolleyball an einer der kaum mehr zählbaren pseudoprekären Bretterbudenverschläge (vulgo: Hipstersammelställen), wenn der Zugezogene mit den Kindern Picknick macht, oder auch im Foyer vom Theater umme Ecke, gulp, schnell noch ein Schluck Sterni und dann ab zum Ausdruckstanz in die Neuköllner Oper, kein Kaugummi, kein Fishermans und schon gar kein Mundspray, nur der reine Biergünther. Braaaaaatz. Smell this. Und wer zuerst heult, der hat verloren.

Auch der Sperrmüll im öffentlichen Raum ist eine Berliner Spezialität, an der sich die Konfliktlinie zwischen denen auftut, die das schon immer so gemacht haben, und denen, die so etwas von Zuhause aus Bad Bevensen nicht kennen, die Dinge, die hier rumliegen, die Regelböden, der ausgeschlachtete Computermonitor, die Waschmaschine, das Sofa, die zu Fasern zerfickte Matratze, die hundert Jahre alte Kabelsammlung im vom Regen durchgeweichten Commodore-Karton, auf den der Gönner gönnerhaft ganz groß „Zu verschenken!“ geschrieben hat, weil das ja bestimmt noch jemand brauchen kann (unter uns: Nein. Ihr Nuttenkinder. Den Rotz braucht niemand, nicht einmal die kosovarischen Sperrmüllsammler, die bei uns im Hof die Tonnen nach verwertbarem Elektroschrott durchwühlen, im Zweifel nicht mal einer der Metall-, Altpapier- oder sonstiger Rohstoffsammler, von denen ich bisher immer im Geschichtsunterricht gelesen habe, wenn die 30er-Jahre durchgenommen wurden, und die heute wieder in zunehmender Zahl durch Berlins Straßen schleichen – auf ihrer Suche nach Wertstoffen, die sie weiterverticken können.)

Es ist eine Mentalitätsfrage. Stellen Sie doch in meiner Hood, meinem bräsigen Prenzlauer Berg, dem Brennglas der sozialen Kontrolle, einmal eine Pfandflasche neben den Mülleimer, weil Sie entweder vergessen haben, bei welchem Laden Sie die Minderheitenbrause gekauft haben oder weil Sie zu faul zum Zurücklaufen sind und dem, der sich das Pfand dafür krallt, weil er damit seine Stütze aufpoliert, wenigstens ein Zubrot überlassen wollen, ohne dass er dafür in den siffigen Mülleimer fassen muss.

Machen Sie das, findet Sie sofort jemanden, der Sie dafür ankackt. „Müll gehört in den Mülleimer!“ ruft dann das Jutebeutelgesicht und fühlt sich mächtig gut, nur weil er hier mit seinem altbackenen Blockwarthabitus, der zuerst im Internet und jetzt auch in meiner Nachbarschaft seine gruselige Wiedergeburt feiert, inzwischen in der Mehrheit ist.

Prenzlauer Berg ist wie Twitter an der frischen Luft: Es findet sich immer jemand, der Sie für irgendwas ankackt.

Nur gegen den Sperrmüll sind die Bad Bevenser Blockwarte machtlos, denn niemand, der in dieser Stadt geboren ist, bringt den Scheiß zur BSR. Die meisten wissen nicht mal, dass es eine Stelle gibt, die das alte sperrige Zeug entgegen nimmt, und wenn sie es wissen, verstehen sie denn Sinn nicht, weil wir das Zeug doch auf die Straße stellen können, von dort sich das jemand nehmen kann, der das braucht. Oder niemand. Oder die BSR kommt irgendwann und holt das Zeug. Win-win. Wir haben nun einmal keine Sperrmülltage wie die Auswärtigen zuhause. Wie jede vernünftige Stadt. Wir sind Berlin. Wir können auch das nicht. Deswegen sehen wir auch aus wie wir aussehen.

So weit zu den sozialen Verwerfungen zwischen Neubewohner und Altbestand. Bei mir im Block. Ein paar alte Zöpfe. Neue Saubermänner. Neue Zöpfe. Alte Saubermänner. Und andere mittendrin. Trinker trinken immer noch wie zu DDR-Zeiten an den Tischtennisplatten auf dem Helmholtzplatz und blasierte Mütter gründen eine Bürgerinitiative dagegen. Clubsterben trifft auf Nachtruhe. Mülltrennungsfetischismus küsst Sperrmüll auf dem Bürgersteig. In Bionadeland nichts neues. Doch es färbt ab. Langsam. Kaum bemerkbar. Unterschwellig. Oder ich werde alt. Denn neulich habe ich einen stinkenden Brei Hundescheiße unter den kleinen spießigen Lloyd-Anzugschuhen ins Büro geschleppt, den ich auf dem noblen hellen Teppich verteilt habe, und der kleine Bad Bevenser in meinem Kopf bekam spontan Lust, kleinen süßen bürgersteigvollscheißenden Kackterriern den Hals umzudrehen und sie im Mixer zu Hundemett zu verarbeiten. Für die anderen Dämlacktölen im Block. Statt Pansen. Dann habe ich mich wieder besonnen. Bin ich doch Berlin, Berlin und nochmal Berlin und Hundescheiße ist der Duft, der unsere Straßenschluchten adelt. Zusammen mit dem Brandgeruch weißrussischer Stahlwollekippen. Lecker Cannabis. Dem Fleischrestdöner. Stinkenden Kanaldeckeln. Und der Touristenpisse an meiner Haustüre.