Supermarktkassendelirium

I’ve got 99 problems but a bitch ain’t one. An der Kassenschlange jedes beliebigen Supermarkts, in der ich stehe, passiert alles – nur voran geht es nicht.

Da geht in loser Reihenfolge die Kassenrolle leer oder der Scanner kaputt, irgendein Arsch zählt mit der Geschwindigkeit eines ersoffenen Tiefseetauchers quälende Minuten lang Centstücke ab (um dann festzustellen, dass er nicht genügend hat) oder füllt umständlich und mehrmals falsch einen Scheck aus (jaja es gibt noch Schecks, aber nur an den Kassen, an denen ich stehe), reihenweise EC-Karten funktionieren nicht und werden endlos immer von Neuem ausprobiert oder der Gemüsecode ist falsch und muss mühsam mit kriminalistischer Akribie ermittelt werden. Und ganz neu: Ihre Superidee, jetzt das Smartphone zum Bezahlen irgendwo ranzuhalten, geht komplett den Bach runter, weil die Technik natürlich abkeimt, piep piep piiiieeeep, blep blep, rien ne va fuck you.

Ja, dieser Gemüsecode, also der Barcode auf dem Aufkleber (Bepperle, Frau Nachbarin, Sie nennen das Bepperle) für das Gemüse, stimmt wirklich selten, zumindest bei mir. Wahrscheinlich habe ich immer irgendein uncodiertes reingeschmuggeltes Aliengemüse vom Kometen Hyakutake oder die verstrahlte genmanipulierte Kartoffel „Erna aus Angermünde“ von irgendeinem weißrussischen Ex-Monsantofeld, die eigentlich gar nicht verkauft werden darf und sonst nur unten im Keller des Supermarkts an illegal eingewanderte Puertoricaner verfüttert wird, um herauszufinden, ob man davon Wundbrand am Arsch, Antennen auf der Stirn oder einen zweiten Penis zu den drei Eiern bekommt.

Und überhaupt: Storno! Storno hier, Storno da, Storno erschieß mich bitte. „Fünfhundertdreizehn an Siebenundsiebzig-Vierzig-Zehn, Stornooo!“ kräht es immer genau an der Kasse, an der ich stehe. Nirgendwo sonst. Immer meine Kasse. Und egal welcher Supermarkt. Immer storno. Ich träum‘ da schon nachts von und brülle im Schlaf immer wieder „Viertausendachthundertdreizehnkommafünf an Fünfundsiebzigtausend: Stornooooo!“, bis die Biopastinake von Nachbarin gegen die Wand bollert.

Nun mag sich mancher fragen, warum ich als lange schon ausgemusteter Mittelstürmer nicht eine Kasse antäusche und dann ganz schnell eine andere nehme. Habe ich probiert, allein die „Nix geht mehr“-Seuche wandert mit, egal wohin ich mich verpisse – Kasse 1, 2, 7, zu Obi, Netto, Orion Sexshop: Die Seuche ist immer dabei. Bei mir geht nix. Ich zahle als letzter von allen.

Und als ob sie mich so richtig fertig machen wöllten, kriege ich jede existierende Rabattscheiße dieser Erde um die Ohren gehauen: Treuepunkte, Paybackkarten, DeutschlandCard, irgendwelche dümmlichen Punkte auf irgendwelchen Einklebebögen oder sonst einen grottigen Rabattkäse aus der Hausfrauengruft. „Haben Sie eine Paybackkarte?“ „Nein.“ „Wollen Sie eine Paybackkarte?“ „Nein.“ „Warum nicht?“ „Fragen Sie mich noch einmal irgendwas und Sie begeben sich ins Reich der Schmerzen.“ „Aber…“ „Ins Reich der Schmerzen.“

Noch so ein Ding, das mich irgendwann ohne Umwege in die Geschlossene hoch nach Reinickendorf bringen wird: Der Bon. Ich kaufe für 79 Cent eine Müllermilch Schoko. Und was kriege ich um die eh schon vom ganzen Gesabbel blutenden Ohren geballert? „Brauchen Sie den Bon?“ Wäh? Was? Bon? Für 79 Cent? Wieso? Kann ich die Müllermilch Schoko jetzt von der Steuer absetzen? Wie muss ich mir das vorstellen? „Guten Tag Finanzamt, haha, en garde, mein Arbeitszimmer haben Sie nicht anerkannt, aber an meiner Müllermilch Schoko kommen Sie nicht vorbei. Ich habe sogar einen Bon, hier ist er. Hohoho! Friss das!“

Oder ich bringe den Bon ganz stolz nach Hause: „Kuck mal, Mausipausi, eigentlich wollte ich dir einen neuen Dildo schenken, aber ich dachte ich bringe dir lieber diesen tollen Bon von meiner Müllermilch Schoko mit. Haha, statt Blumen, Bussi, kannst du vielleicht auf Arbeit tauschen – gegen einen Bon für Gleitcreme, so einen haben wir noch nicht.“

Was denken die Supermarktfreaks, was ich mit dem Bon mache? In mein Bon-Sammelalbum kleben und später ganz stolz meinen Kindern zeigen, die mich daraufhin noch am selben Tag entmündigen lassen? Oder, na klar, ich tausche mit meinen Kumpels abends beim Bier: „Ey Kalle, ick hab‘ hier zweimal nen Bon mit Milram Frischkäse. Ick würde gegen deine Kinder Schoko Bons tauschen. Machse machse machse?“

Die Wahrheit ist bestimmt wieder ganz profan: Wahrscheinlich hat irgendein profilsüchtiger Kleingeist Edeka, Rewe oder Real verklagt, weil er nicht an der Kasse nach dem Bon gefragt wurde und in der Folge sein Scheißhauspapier nicht bei der Steuererklärung absetzen konnte. Und weil jeder Honk bei Gericht immer mit so einem Hirnblähgewichse durchkommt, wird jetzt jeder, aber auch wirklich jeder arme Irre, der auch nur einen winzigen Centartikel kauft, gefragt, ob er den Bon dazu möchte. Erschießt mich bitte. Knallt mich ab. Notschlachtung. Zu viel Kommunikation. Ich verstehe das alles nicht mehr. Ruhe. Silence. Bitte Fresse halten. Wieso geht das nicht mehr?

Mein Rewe umme Ecke schlägt diesem ganzen kranken Shit noch den Boden aus und möchte momentan in einem Feldversuch testen, wie lange es dauert, bis einer der unzähligen Neurosepatienten dieser Stadt in der Kassenschlange Amok läuft und einen letalen Beitrag zur Senkung der Erwerbslosenquote leistet.

Eigens zu diesem Zweck hat der Rewe eine ganze Armada ungelernter Hilfskräfte im Teenageralter für die Kassen eingestellt, die bei jedem anderthalbten Kunden irgendetwas derart vergeigen, dass alles zum völligen Stillstand kommt. Das wäre gar nicht so schlimm, wenn nicht jedes mal umständlich eine volljährige Aufsichtsperson zur Bergung der Lage gerufen werden müsste. Und dann stehen Sie da. Und stehen.

Lange.

Stehen Sie.

Meine Güte.

Kommt die Torte endlich mal?

Ick werde wahnsinnig.

Tippel. Tappel.

Wieso passiert hier nix?

Bimmel Bimmel. Tuuuut Tuuuut.

„Fünfhundertdreiundsiebzigtausend an Null-Null-Hirntod: Stornoooooooooooo!“

Bitte? Voran. Ja, Herr Doktor, voran muss es gehen, ich will das so. Voran. Weitergehen. Die Dinge müssen weitergehen. Zack. Fump. Weg. Ohne sinnlose Kommunikation. Schnauze halten. Voran. Einfach nur voran. Und ich weiß, das geht tatsächlich überall, die ganze Stadt ist in Bewegung, alles fließt, nur bei mir geht nichts, nie. Geht irgendwas voran. Immer nur bei mir. Schwöre. Bitte? Pillen gegen Verfolgungswahn? Au, Drogen sind gut, ja, gerne, sehr gerne…