Hupsa

Kennen Sie Hupsa? Nein? Noch nicht? In Berlin ist Hupsa das neue Entschuldigung. Und Sie wissen ja: Was bei uns ist, ist zeitversetzt auch bald bei Ihnen. Auch Hupsa. Das kommt zu Ihnen. Denn bei uns ist es schon.

Ein dicker schwitzender Schlipsträger mit Besenreißern auf den feisten Wangen haut mir im Flugzeug nach Frankfurt seinen viel zu großen Rollkoffer, den er aus irgendeinem Grund im Handgepäck mitführen muss und unverständlicherweise auch darf, direkt aus dem Gepäckfach gegen den Kopf. Na? Was passiert?

Er sagt Hupsa.

Ein Prenzlauer Berg-Fahrradnazi säbelt mich zusammen mit meinem Kind an einer Hausecke um. Na? Was sagt auch der?

Hupsa.

Von hinten umgerempelt? Einkaufswagen in die Hacken gerammt? Kaffee über die Hose geschüttet? Oder mir mal wieder einen dieser riesigen Rucksäcke, die immer unbedingt auch in einer vollen S-Bahn auf dem Rücken getragen werden müssen, in den Bauch gerammt und mir mit der Verschlussschnalle die Kopfhörer aus den Ohren gezogen, aus dem gerade sehr passend Metallicas Album „Kill ‚em all“ dröhnt? Was sagt man hier in Berlin bei so einer Gelegenheit? Na?

Klar: Hupsa. Mit Hupsa ist alles wieder gut. Um Entschuldigung zu bitten ist was für Ewiggestrige. Opa Kowalkes. Rasentrimmer. Kinder-vom-Fensterbrett-Anmotzer. Knigge-Ficker, die Manschettenknöpfe tragen. Und Budapesterschuhe. Alte Kameraden. Kaiserreich. Max von Baden. Ufftata. Wer dergestalt altmodisch um Entschuldigung bittet, ist quasi ein Nazi. Machen wir nicht mehr. Wir sind Berlin, wir sagen nur noch Hupsa und dann ist es auch wieder gut. Soll er sich bitte nicht so haben, der Schmerzensmann, die Schmerzensfrau, das Schmerzenskind, kann doch wohl mal passieren, das wird man doch wohl mal machen dürfen ohne dass einem gleich der Kopf abgerissen wird, die haben sich aber auch affig hier, die Leute, außerdem gibt es Wichtigeres auf der Welt, lassen Sie mich durch jetzt, ich habe einen Termin mit dem Bewerbungscoach, der mir beibringt so zu sein wie ich nicht bin. Nämlich nett.

Ja. Das war’s eigentlich schon. Herzliche Grüße aus Berlin. Das ist meine Stadt. Hier ist nur noch Hupsa. Mehr können sie nicht mehr. Bringt ihnen keiner mehr bei. Oder sie vergessen es alle, keine Ahnung, alles das, was es mal gab, Verzeihung, Entschuldigen Sie bitte, Pardon meinetwegen, das dumme nasale Schnösel-Sorryyy von Germanistik-Studentinnen im 28. Semester, die alle immer zwei entsetzlich nervende Katzen zuhause haben und Mareike heißen, nehm‘ ich zur Not auch, gibt es aber auch nicht mehr, alles weg, ausgestorben, untergegangen, ausgerottet. Das Allwetterwort für den Selbstfreispruch für alle Gelegenheiten und gegen jeden Unbill ist jetzt allgemein anerkannt und von allen genutzt nur noch Hupsa, was immer noch besser ist als gar nichts, so wie bei Rentnern, die wortlos von der Seite in Warteschlangen gleiten und empört aufschreien, wenn ihr erbärmliches Vorgedrängel, das sie aufgrund ihres Alters für sakrosankt halten, von einem Unwilligen wie mir mit dem zuckersüßen Wunsch nach einem baldigen Hirnschlag geoutet wird. Nee. Rentner schaffen nicht mal Hupsa, die schaffen gar nichts. So gesehen muss ich schon froh sein, wenn in dieser Stadt nach dem Scheißebauen überhaupt irgendwas kommt und wenn es nur Hupsa ist.

Und natürlich finde ich die Entwicklung gut. Da mache ich voll mit. Ohne Anstand in den Untergang. Schmeißt die Konventionen über Bord. Super Sache. Ich fange jetzt auch damit an. Keinen Trend lasse ich aus. Gestern früh bin ich dem Klappergestell von Projektleiterin im Borgwürfel, dem Vorreiter an Menschenfreundlichkeit und bestem Arbeitsplatz der Galaxie, im Fahrstuhl auf den knochigen Fuß getreten (hupsa), den Paketboten hab‘ ich im Hausflur über den Haufen gerannt (nochmal hupsa) und den kunterbunten Wonderwomanfußball des verzogenen nonbinären Biokinds dieser butterweichen mülltrennenden Dachgeschossbonzengrünwähler, die über mir wohnen und die ich hasse, habe ich mit Absicht die Treppe runtergekickt (triple hupsa). Und morgen renne ich einen der fünftausend durchgeknallten Gehwegradfahrer bei meiner Laufrunde über den Haufen. Von der Seite. Zack. Boom. Oh! Hupsa! Werde ich brüllen, wenn er da liegt. Hupsaaaaaaa! Du Fahrradaffe! Und jetzt hab dich nicht so. Ich hab‘ doch schon Hupsa gesagt! Muss doch reichen! Was willst du noch? Mit Hupsa ist alles wieder gut. Und jetzt lass mich durch, ich muss hier weg. Ich hab‘ Bewerbungstraining.