
Mai. Sonne. Vögel. Grün. Elektroroller auf Kopfsteinpflaster. Eine verdammte Mücke. Ich habe einen freien Tag und schlage eine Unzahl von Zeit tot. Um mich herum blöken zwei hart stressende Bratzen durch den Freibereich des kiezbekannten Müttergenesungscafés Anna Blume im shitty Kollwitzkiez:
„Ich sag Pipi, du sagst Kacka! Hahahahaha!“
Und nochmal:
„Ich sag Pipi, du sagst Kacka! Hahahahaha!“
Das geht eine ganze Weile so – Pipikacka Pipikacka hahahaha!, von Tisch zu Tisch zu Tisch zu Tisch und von vorne, ohne dass ein Abklingen absehbar wird, und ich sehe die dazugehörige Mutter erst alle Segel streichen und dann mit allen Segeln untergehen. Ihre Kinder sind ihr sichtlich unangenehm, aber sie bringt es nicht, Grenzen zu setzen. Das Unbehagen – sie weiß, dass sie was machen müsste, aber ihr fällt nicht ein, was das sein könnte – kann jeder Volldepp am Gesicht ablesen. Verkniffener Mund, verkniffene Augen, ganz schiefe Optik, Übersprungshandlungen, dabei große Fahrigkeit, Telefon hin, Telefon her, Latte hin, Latte her, dann wieder hin. Aber keine Intervention. Nur derbe gestresste Blicke, die niemand sieht außer mir. Der ich wieder Szenerie atme. Smartphone weg. Dasitzen. Schauen was passiert.
Sie steht für das Dilemma der aktuellen Elterngeneration: Sie müssten was bringen, aber sie bringen es nicht mehr. Sie bringen gar nichts mehr. Sie leben nur noch deshalb, weil noch keiner kam und sie fraß. Und irgendwer noch immer das alles finanziert.
Nach einer Weile des Kampfes mit sich selbst, Schnaufen, Augenrollen, sichtlich schmerzhaftes Lippenzusammenpressen, fasst sie sich ein Herz:
„Kinder, jetzt lasst das doch mal!“
(was eine unbestimmte Anweisung ist. So dass die Kinder gar nicht wissen können, was genau sie lassen sollen. Quäken. Rennen. Existieren. Diese Anweisung ist daher faktisch nicht kindertauglich. Und das ist nicht die Schuld der Kinder. Die landen nur irgendwann als Folge des grenzenlosen Verpamperns verfettet im Kinderzimmer vor einem Monitor, neben dem drei offene Pringlespackungen stehen. Und als Erwachsene dann beim Therapeuten. Mit Taschentuchbox auf einem Beistelltisch. Falls man weinen muss.)
„Ehrlich mal, lasst das mal.“
Die Kinder schauen kurz, wissen nicht, was sie lassen sollen und krähen danach umso lauter:
„ICH SAG PIPI, DU SAGST KACKA! HAHAHAHAHA! ICH SAG PIPI, DU SAGST KACKA! HAHAHAHAHA!“, während ich mich vor Lachen an meinem belanglosen Kaffee verschlucke. Husten muss. Zum Taschentuch greife. Tränen tupfe. Mich einkriege. Mehr Punk gibt’s heute nicht.
