Retrospektive: Tacheles

Berlin-Mitte. Die architektonische Schändung des Tachelesareals ist nahezu abgeschlossen. Eine Machtdemonstration. Schießscharten. Qualbeton. Tropfnasser Investorentraum. Neofaschistische Blockarchitektur. Ein Bunker. Fortress. Die Bastarde veröden die Stadt.

Zahnweiß. Totschwarze Fensteraugen. Rechtwinkelflut. Längst sind andere hier. Es zieht. Ich streife das Ekelpaket hier nur. Termine Termine. Erinnerungsfetzen im Vorbeigehen. Die vergorenen Treppenhäuser. Das Café Zapata. Rost. Rohre. Farbe. Werke. Installationen. Freigelegtes Mauerwerk. Electrobeats. Diese endlosen Nächte mit 20, in denen immer alles gut ist. In denen der Morgen nie eine Rolle spielt und die lila Wolken noch nicht erfunden waren. Die Nutten hinten Richtung Hackescher Markt. Olli aus dem räudigen Dachgeschoss der Linienstraße, der bei Segafredo Kaffee brühte und den alle nur den Cappumann nannten. René der Barmann, der mir erzählt hat, wie eklig damals schon Burger King hinter den Kulissen der düsteren Tempelhofer Nachtschichten war. Danny der Mutige, der bei den Nazis in der Lichtenberger Weitlingstraße gegen diese Nazis Spuckis kleben ging. Sabine, die so gut küssen konnte, vor allem wenn ihr Typ dabei war, der bei sowas gerne zusah. Manchmal war Schlingensief da. Aber mit dem sprachen wir nicht, weil wir lieber so cool taten als würde er uns nicht interessieren, dabei interessierte er uns sehr. Christoph. Kuck mal, der Christoph. Abwink Abwink. Ist nur der Promi und seine Blase aus den Satelliten, die wir nicht sein wollten. Promis lehnten wir ab, weil wir so cool waren. Lieber raus in den Skulpturenhof, wenn es zu viel Creativecrowd wurde. Bier in der Hand. Mond. Sterne. Die Brise eines weiteren endlosen Sommers. Der Freiraum. Die frische Luft. Rüber. Runter. Die vielen verlaberten Stunden unten im Silberfisch, der heute abstoßenden Pub Crawl-Fressen aus Hochpreisalkoholstaaten als Kotzeimer dient. Oder im Aufsturz, das es gleich gar nicht mehr gibt. Alle Wegbegleiter dieser kurzen frühen Episode längst zerstreut in alle Winde. Die Oranienburger heute ein glattgefönter nobler Touristenstrich. Designergewürm. Vernissagen. Sausalitos. Vino & Basilico. Sushi Lounge. Das drecks Espresso House. Vintage Bikes. Vintage Clothes. Vintage Brains. Und Lawrence Berlin-Mitte sagt: Lecker schlemmen und genießen. Ein Ödland. Selbst die Nutten sind weg.


Kleine Rückschau 2012 mit Bildern


Retrospektive: Odessa / 2018