Gefällt mir nicht: Hauptstadtrestaurant Gendarmerie

Wenn irgendwas Hauptstadt im Namen trägt, dann nehme ich normalerweise schnell Abstand davon. Hauptstadtfriseur. Hauptstadtdöner. Hauptstadtwodka. Hauptstadtgin. Hauptstadtrocker. Weil das Teilwörtchen „Hauptstadt“ impliziert, dass es ungeil ist und zu viel kostet. Einzig für Touristen erschaffen wurde. Aufgesetzer Blödsinn. Zum Wegrennen. Und Abgewöhnen. Und ich mich dann ärgere.

Hier bin ich nun. In einem Ding, das sie Hauptstadtestaurant genannt haben. Hauptstadtrestaurant. Really? Echt jetzt? Steht es so schlimm? Und ich geh‘ da hin?

Na klar geh‘ ich da hin. Es ist wieder ein Geschäftstermin, bei dem ich mich jedes Mal frage, weswegen es immer Berlin-Mitte sein muss. Als ob es anderswo keine angemessen teuren Lokale mit dummen weißen Tischdeckchen für abgefuckte Spesenritter wie mich und diesen … was ist das … Controllinghorst gäbe, in denen wir flaschenweise Mineralwasser auf die Rechnung buchen lassen können, stattdessen aber Old Fashioned trinken. So wie wir das immer machen. Bisschen tricksen. Bisschen bescheißen. Bisschen mittags schon einen ansaufen. Beim Essen Stuss labern. Das dann abrechnen. Alte weiße Männergrütze. Weil die Spaß macht. Wir tun zwar jetzt immer so, als würden wir es nicht mehr machen, aber wir machen trotzdem so weiter wie immer. Nur anders. Nicht mehr so auffällig. Weil sie jetzt spröde verhärmte Buchhalterinnen eingestellt haben, die mit so einer Gülle wie Vier-Augen-Prinzipien kommen. Und Stichproben. Plausibilitätsprüfungen. Buhu. Was dazu führt, dass wir uns mit dem Unterlaufen der Kontrollroutinen der Matrixagenten mehr Mühe geben müssen und deshalb nur noch Dinge auf dem Spesenbeleg stehen haben, bei denen einem die Buchhalter, die die monatliche Abrechnung jetzt plötzlich ganz genau gegenprüfen, nicht eine ihrer Rügen an den Arsch tackern können. Mineralwasser. Perrier. Vier Flaschen. Zu acht Euro das Stück. Wir hatten halt Durst. War ein langes Gespräch. Oder sechs Flaschen statt vier, meine Güte. Kam noch einer dazu, der gar nicht dazu kam. Gnarf Gnarf. Bei Mineralwasser kann uns kein Buchhalter irgendwas. Und vier Flaschen Perrier reichen für zwei, drei von Don Draper abgepauste Old Fashioned. Weil der uns nach vorne bringt.

Hier heute geht das natürlich nicht. Ich habe den Controller da sitzen. Und Controller sind fast so freudlos wie Buchhalter. Und noch langweiliger. Also wird es Cola. Wie öde. Aber heute muss das reichen.

Mich fröstelt. Dem ganzen Gendarmenmarktkarree um die zwei Dome herum hängt jetzt endgültig nur noch eine gruselige Atmosphäre des abgelegten Vergangenen an, dessen Fassade nur noch aus Gewohnheit aufrechterhalten wird. Wie ein alter durchgelatschter Kaisersaal, dessen abblätternden Kitsch bis auf Pauschaltouristen jeder satt hat. Aber auch das wird weniger jetzt. Die Touristen fluten den Ort, ja die ganze Stadt, nicht mehr so penetrant wie früher, gehen lieber anderswo hin, Rom, Prag, Wien, Amsterdam, und wenn doch Berlin, dann wieder in die Kieze, Torstraße, Schönhauser Tor, oder City West; die Leute gehen zudem wegen der Galoppinflation nicht mehr so gerne teuer essen und wenn, dann nicht hier, in diesem Potemkinpuff Berlin-Mitte zwischen Hausvogteiplatz und Lafayette, der mehr denn je nur Bluff ist und mit dem der normale Hauptstadtbewohner, der nicht gerade in der feisten Ampelregierung, den ihr am Arsch klebenden Hauptstadt(grunz)redaktionen oder einem der widerlichen Lobbyistenkaminzimmern sitzt, inzwischen gar nix mehr zu tun hat. Ödnis at its best. Ein konzeptioneller Fail. Leere Straßen, selbst im Sommer, gähnend verlassene Touristenfangbuden wie der sinnfreie Ampelmannladen, die viel zu teuren Schokoladentafelschöpfer, die unvermeidlichen belgischen Pralinenverticker und natürlich der dekadente blattvergoldete Currywurststand mit der blattvergoldeten Currywurst, die Touristen fressen, um für den Rest ihres Scheißlebens erzählen zu können, dass sie in Berlin mal Blattgold gefressen haben.

Und jetzt halt dieses absurd überladene zerkitschte Restaurant. Hauptstadtrestaurant Gendarmerie. Ein riesiger Raum. Vollkommen leer wie der Gendarmenmarkt draußen. Nur zwei Menschen anwesend und die auch nur für ein Geschäftsessen, endlich mal ungestört und alleine. Dafür taugt der Ort tatsächlich. Auf jedem Friedhof ist mehr los als hier. Dort kommen wenigstens welche und gießen Blumen. Hier kommt nur irgendwann mal einer und fragt, was es zu essen sein soll.

Der das Land heimsuchende Versorgungsengpass findet sich auch hier ein. Die Foie Gras ist aus. Gibbet nich‘. Keine zwangsgestopfte Gans zum aufs Brot schmieren mehr vorhanden. Für Berlin-Mitte und den Anspruch, den sie hegen, natürlich ein Armutszeugnis. Keine Ahnung, vielleicht steckt der Frachter mit den Containern voller Stopfgansleberdosen aus Frankreich auf dem Mittellandkanal fest. Quer. Weiß man ja nicht. Kann ja sein. Alles kann sein. Nichts ist mehr sicher. Und die Gewissheiten fluide. Was heute noch ging, geht morgen schon nicht mehr. Warm duschen. Bude heizen. Strom haben. Ficken sagen. Foie Gras in Berlin-Mitte essen. Da geht er hin, der Ruhm der Welt.

Ich bestelle aus Verzweiflung Steak Tatar. Für 22 Euro. Ein winziges Ding kommt. Looks like straight outta Cappuccinotasse. Einmal voll mit Mett. Umkippen. Petersilie drauf. Cornichong. Knick Knack. Bitte sehr. Brot dazu kommt erst mal nicht, hierfür muss ich winken, nochmal winken, dann kommt jemand, nach dem dritten Winken, Brot, kann ich etwas Brot haben, er nickt blasiert, ich meine, ich habe ihn den Kopf schütteln gesehen. Mortimer, der Herr an Tisch 72 hat Brot zum Tatar bestellt, mon dieu, wie kann er denn, was soll das denn, was meint er denn … wer nimmt denn Brot zum Tatar. Fragezeichen. Was für ein Kretäng. Der hat doch Pommes gekriegt.

Wenigstens servieren sie Tabasco und – wie wir im Osten sagen – Wustersoße zum rohen Fleischgedrehe. Weil Sie damit diesem Gericht, bei dem eigentlich niemand – außer der wie hier servierten kümmerlichen Menge für 22 Euro – irgendwas falsch machen kann, wenigstens etwas Geschmack und Raffinesse zukommen lassen können.

Weil die Pommes so enttäuschend wenige sind, bestelle ich mir eine Extraportion davon dazu, was die Rechnung um harte Vierfuffzig erhöhen wird. Dafür haben die Pommes Imbissbudenniveau, aber nicht gutes Imbissbudenniveau, sondern übles. Mehlig. Brackig. Teils keksig. Klar zuviel Salz. Ein kulinarischer Trauerflötenchor. Ich hätte mich sowas nicht getraut, aber ich bin ja auch kein Hauptstadtrestaurant.

Sehr zu empfehlen hingegen ist die Cola. Die kriegen sie wirklich sehr gut hin hier. Perlig. Spritzig. Nicht abgestanden. Angemessen temperiert. Das schaffen viele ja nicht ordentlich, hier gelingt es. Danke dafür.

Der Controller freut sich derweil über banalen, way to wässrigen Kartoffelsalat, der die Panade des technisch durchschnittlichen und größenmäßig mickrigen Wiener Schnitzels für 28 Euro komplett durchweicht und ablöst. Dafür ist wenigstens das Fleisch trocken, was ich konsequent finde und das auch sage, was der Controller aber nicht witzig findet, weil der Controller wie alle Controller keinen Humor hat, deswegen ist er ja Controller. Außerdem findet er selber diesen Laden, den er ausgesucht hat, was ihn in unserer Welt für dessen Performance mitverantwortlich macht, nicht witzig und ist deswegen ein verknuster humorloser gesichtsverlorenhabender Controller.

Und dann macht noch einer Witze übers fade Fleisch.

Dreht das Messer nochmal in der Fleisch … haha … wunde.

Würde mich auch nerven.

Es raucht aus seinen Ohren.

Er ist nicht gut drauf.

Das wird auch heute nix mehr.

Der Höhepunkt dieses für konsequente Durchschnittlichkeit eine Rechnung in dreistelliger Höhe fabrizierenden Restaurants ist die Chuzpe, die einzigen Gäste im gesamten Raum nach dem nicht gleichzeitigen Servieren völlig sich selbst zu überlassen, so dass ich mir irgendwann nach … ich habe keine Ahnung, zehn Minuten, fünfzehn Minuten sitzend vor leergefressenen Tellern ein Herz fasse, aufstehe, zu dem Blasierten gehe, der gerade pikiert hinter einem Tresen ein Glas poliert, zahle, den Bewirtungsbeleg einstecke und endlich gehe.

Untergang. Alles riecht hier nach Untergang. Siechtum. Paralyse. Ich hätte gerne getestet, ob sie den Hummer vorrätig haben, der auf der Karte steht, aber den hätte ich nicht am Buchhalter vorbeigekriegt. Den Posten für den Hummer hätte der mir mit einem Fickfinger und endlich einem Lächeln im Mundwinkel ins Gesicht geschmiert. Auf seinem PDF-Editor unter diebischer Freude mit Minuszeichen durchgestrichen. Keine Erstattung, never ever, diesmal nicht, Lackaffe. Auf sowas wartet der ja. Buchhalter sind so. Die freudlosesten Menschen der Welt, wie solche, die früher im Sandkasten die Burgen der anderen Kinder zertreten haben, wartet der drauf, mir endlich mal was aus der Abrechnung streichen zu können. Einen Old Fashioned. Grappa. Eine Wasserpfeife. Die Escortlady aufs Zimmer. Oder eben den Hummer.

Sie ahnen es. Dieses Restaurant ist überflüssig. Alles hier ist überflüssig. Ein irrlichterndes Teil des komplett irren Raumschiffs, das da durch Berlin-Mitte gurkt. Borchardt. Fischers Fritz. Hinter der Spree das fürchterliche Grill Royal. Und jetzt das hier. Ich will das nicht, muss das nicht, mag das nicht. Ein Ödland in seiner Parallelwelt, dessen einziger Lichtblick (okay, abseits der Cola) der Bewirtungsbeleg ist, der mir am Ende des Monats zumindest das Geld für diese Zeit-, Geduld- und Nervenverschwendung wieder einbringen wird. 


Gefällt mir nicht: Juliette