
Herbsturlaubsplitter. Nochmal raus aus dem Puff. Der Flughafen BER. Irgendeine Jetzt-nicht-mehr-Urlauberin hat den Reisepass vergessen. Sodann folgt Gezeter. Nicht über ihre eigene Dummheit, sondern über die Unflexibilität des Reisegewerbes. Kurz: Der Flieger müsse warten. Warten muss der. Sie hätte bezahlt. Das kann doch nicht sein. Der müsse warten. Sie hat bezahlt. Also wartet der bitte, hallo? Sie fährt jetzt heim. Holt den Reisepass. Zwei Stunden. So lange wartet der Flieger. Das muss doch möglich sein. Der soll warten. Wenn der nicht wartet, dann …
(diese Leute)
Eine Andere sitzt mir gegenüber, frisst und schreit nebenher ihre zugegeben beschissen erzogenen Bälger an. Ihre Schenkel haben die Durchmesser von meiner Taille. Jeder Schenkel. Einzeln. In ihr verschwinden ein Brezel, ein Laugeneck, eine halbe Fleischwurst, eine Stulle mit irgendeinem … keine Ahnung … Braten oder so. Dann ein Mülsiriegel (gesund!) und zwei Duplo. Dann folgen Haribofrösche. Ich sehe also einem Menschen dabei zu, wie er sich selbst verletzt. Gelenke. Wirbelsäule. Fußbett. Und alles mit Vorsatz.
(ich konsumiere an manchen Tagen zwielichtige Drogen zweifelhafter Herkunft von den dreckigen Klokästen mieser Läden. Nein. Ich bin gar nicht besser, kein Stück und tief drin weiß ich’s auch …)

Mit mir im Wartebereich des Gates sitzen ausufernd viele Musterfamilien. Quäkende Kinder, kuhäugig glotzende Männer, nörgelnde Frauen. Das muss mit diesem Urlaubsbumsflieger in die Hotelbunkerhölle der südlichen Türkei zu tun haben. Ein Nörgelreigen, den Sie so nicht mal auf den Freiflächen meines Prenzlauer Bergs finden, wenn die Biomütter ihre Sonnenblumenkerne an die Kinder kriegen wollen, während ich mit meinen Erdnussflips raschele. Näg näg näg. Zu warm. Näg näg näg. Zu viele Leute. Näg näg näg. Kein Platz für die irrwitzige Menge kleiner Handgepäckskoffer aus Paranoia vor dem Kofferverlust. Näg näg näg. Der Flug hat Verspätung. Näg näg näg. Mein Leben ist ein Drama und alles ist furchtbar. Näg. Und näg. Und noch mehr näg. Und alles kriegen ihre daneben lümmelnden Kerle ab, ein unterbrochenes Genörgel und Geleier auf sie einprasselnd als seien sie schuld am kompletten Elend des Daseins dieser durch All eiernden Welt, stumm leidend in ihren Socken in Badelatschen, Nationalgarde Deutschland-Shirt, Onkelzshirt, oder Rammstein, natürlich, sitzen die da, abgestumpft, oder dumm wie Stulle, oder beides, die giftigen Worte des aus Fahrlässigkeit geschwängerten Drachens ertragend. Nie Gegenwehr. Nie irgendein Wort. Als seien sie es gewohnt. Als müsse das immer so sein. Gehörte zum Leben. Zur Folklore des Daseins. Das Prasseln des Geleiers. Das Ballern des Nölens. Das Brettern des unendlichen Lamentierens, Keifens und Beschwerens über die Widrigkeiten eines solchen durchschnittlichen Lebens. Weil es immer so läuft. Immer so war. Immer so sein wird. Und weil irgendein Wort des Protestes alles nur noch schlimmer machen würde. Deswegen sagen sie nichts, sondern absorbieren still.
Wie halten diese Typen das aus? So ein Leben ist unwürdig. Eine komplette Verschwendung von Atemluft. Geiselhaft. Wie können die mit Hyänen freiwillig Zeit verbringen? Ja. Ich weiß es. Natürlich. Ein Kind. Sie haben ein Kind gemacht. Dann hängste drin. Weil das Kind das Druckmittel wird. Bleib da und hör‘ dir mein Gekeife an oder du siehst das Kind nicht wieder. Nie wieder. Möglich. Oder sie kennen es nicht anders. Weil sie exakt solche Mütter hatten und sowas nun brauchen. Das Geprassel. Den pieksenden Worthagel. All das Verbalgift. Den Geifer. Wutschaum. Ich weiß das nicht, ich kann das nicht nachvollziehen. Ich sehe nur vergeudete Lebenszeit im Giftnebel vor mir, gefangen in Ritualen, ewigen Beschwerdereien, schwimmend im Säurebad, weil sie nichts anderes kennen. Würde man sie befreien, würden sie wohl freiwillig wieder zurückspringen. Weil es das ist, was sie kennen. Womit sie sich auskennen. Wäre es mal still und niemand würde keifen, würden sie wahrscheinlich einen Bore-Out entwickeln und müssten hernach in Therapie. Deswegen machen sie das so. Weiter. Immer weiter. Da drin in ihrem Vogelkäfig, dessen Türe offen steht, ohne dass sie rausfliegen.

Bei der Landung des Flugzeugs mehr Dumpfness. Sie klatschen im Flugzeug. Nach dem holprigen Aufsetzen. Klatschen sie. Weil der Pilot den Spackentransport nicht gegen den Berg gesetzt hat, wie ich das getan hätte. Klatsch Klatsch Klatsch. Gejohle. Das hatte ich ewig nicht mehr. Dachte, das wäre ausgestorben. Ist es wahrscheinlich auch, nur nicht bei den Selfiegesichtern, die kleine Clips von der Landung plus Klatschen drehen. Für die Fanbase zuhause. Klick Klick. Herzchen. Daumen hoch. Puh. Gelandet. Na das war ja was. Sind jetzt da. Flughafen Antalya. Warten jetzt auf die Koffer. Olé Olé. Klick Klick.
Währendessen läuft in meinen Kopfhörern der Song Heile Welt einer längst begrabenen (cheers Pedder) Braunschweiger Punkband namens Daily Terror, der fast immer so schön auf jede dieser ganzen Absurditäten dieser ganzen absurden Menschen und sowieso auf fast alles Fremdgesteuerte eines solchen stets zu kurzen Lebens passt: Du hast zu funktionieren und zu schweigen, mitzutanzen im großen Reigen. Immer weiter, keiner hält an, selbst wenn ein Andrer nicht mehr kann.
Im Transferbus mit mir sitzen Russen. Derjenige, der vor mir sitzt, hat heftig abstehende Ohren. Ich entwickle in Anwesenheit solcher Ohren schon seit der Schule den kaum zu bändigenden Wunsch, die zu schnippen. Hier auch wieder. Beide gleichzeitig. Knallt bestimmt schön. Und würde ordentlich zurückfedern. Schnipp. Dengeleng. Schwing. Und es wäre sogar voll gesellschaftlich akzeptabel im Moment. Würde jeder gut finden. Bis hoch ins Auswärtige Amt zu Anjatanja. Das sind doch Russen. Sowas darf man jetzt. Das sind jetzt die, bei denen man jetzt immer alles dürfen darf. Trifft nie nen falschen. Hab‘ ich gehört. Soll jetzt so sein. Schnipp. Dengeleng. Schwing. Natürlich mach ich’s nicht, ist doch klar. Ich denke hier nur immer laut.
Was sonst? Vollidioten machen Selfies im Wartebereich, Vollidioten machen Selfies im Flugzeug, am Gepäckband, im Transferbus, vor dem nachtschlafenden Hotel, am Ende vor ihren Zimmern. Kann ich Ihnen nicht erklären. Vielleicht tun sie es wieder für die Fanbase zuhause, die nicht schläft, sondern vor Aufregung bebend darauf wartet, wann das nächste Selfie von dem speckigen Typen mit den Socken in Badelatschen und dem Frei.Wild-Shirt kommt. An der Bar. Am Pool. Beim Minigolfen. Morgen nach dem Kaffee beim Kacken. Ich weiß es nicht. Ich mache keine Selfies.

Alles inklusive als Buchungsoption bringt obszöne Buffets voller Nahrung mit sich. Morgens. Mittags. Abends. Und zwischendurch. Auch nachts, wenn Sie wollen. Es gibt immer Essen, wenn Sie wollen. Diese ganzen Fleischberge verzehrenden Fleischberge mit ihren runden, roten Gesichtern bringen mich automatisch dazu, weniger zu essen. Um nicht wie die zu sein. Weil ich niemals wie die enden will. Weil das fürchterlich ist, immer noch mehr zu essen, nur weil es da ist, man es bezahlt hat und es quasi umsonst ist. Mir wird schlecht von dem Anblick der Massen verschlingenden Massen, also esse ich wenig tatsächlich, sehr wenig. Was mich betrifft ist das hier offenbar die beste Diät der Welt. Nur wegen denen.
Das mit dem alles inklusive war nicht anders zu buchen hier, weil sich der Preis zur Halbpension so minimal unterscheidet, dass es mit Blick auf den mich begleitenden Nachwuchs absurd ist, was anderes zu buchen. Das machen sie hier so. Deshalb macht das jeder so. Mit dem Kind in dem Alter ist nichts anderes darstellbar. Kind mag immer noch Rutschen. Kind mag Pools. Kind mag Kids Clubs und die Disco abends, in denen es mit anderen Kindern verschwindet und verabredet zu zehn ins Zimmer kommt. Kind mag überhaupt keine Abenteuerurlaube. In Polizeistaaten. Nicht anerkannten Territorien. Alten Bürgerkriegsstädten. In Wäldern. Steppen. Wüsten. Dörfern. Auf Bergen. Weit weg. Wo niemand hingeht außer ich. Das kriegste in dem Alter und vermutlich nie ans Kind vermittelt. Und so ist ein All-Inclusive-Bunker zwar so sinnfrei wie ein Kreuzfahrtschiff, aber trotzdem sitze ich hier. Rausred. Rausred. Raus. Red. Ich weiß ja. Ich weiß. Es doch selbst.
(wie in jedem dieser Cluburlaube warte ich darauf, dass die Diener, Mägde und Knechte die fetten Fresser zu einem verabredeten Zeitpunkt gemeinsam mit Forken und Reisigzweigen ins Meer treiben, um ab sofort frei zu sein, aber das passiert nie. Hier auch nicht.)
(Noch darf die Welt uns Sklaven heißen
Noch gibt es Ketten zu zerreißen
Jetzt gilt’s die Freiheit aufzustellen
Die Fahne hoch, Rebellen! Rebellen!)
(seufz)

Wäre ich alleine hier, würde ich zwar auch nichts essen, dafür umso mehr saufen. Ich würde morgens schon damit anfangen. Erst ein Bier, dann schnell Whisky-Cola und wenn das dann irgendwann nicht mehr weiterführt Whisky pur. Ich müsste nach den anderthalb Wochen Belek in eine Entgiftungskur. Detox. Nontox. Betty Ford. Badenweiler. Bad Tölz. Piemont. Brot. Wasser. Salat. Alles, nur nicht alles inklusive. Gut, dass das Kind dabei ist. Dann wird es Kiba. O-Saft. Red Bull. Kein Wodka. Ich bin einer, den die pure Anwesenheit des eigenen Nachwuchses diszipliniert.
Internet Internet Internet. Sie haben überall auf der Anlage Internet. Sogar auf der Liege am Strand, von der ich das hier schreibe. Vollen Ausschlag. Schneller als schnell. Bis in die letzte Ritze. Aber ich bin leicht zu beeindrucken mit schnellem Internet. Ich komme aus Deutschland.
Noch etwas ist anders. Sie müssen sich vor dem Verbinden nackig machen. Name. Geburtsdatum. Zimmernummer. E-Mail. Telefonnummer. Am Flughafen keine Zimmernummer, aber zusätzlich der Scan des Reisepasses, den Sie durch einen Reisepassscanner ziehen. Sonst Keine Verbindung e.V. Sie tracken das alles also. Haben Wörter, bei denen der Alarm los geht. Automatisch erscheint mir die Schere im Kopf beim Schreiben. Ich überlege, was zu Problemen bei der Ausreise führen kann und lasse das weg. So werde ich alles, was mit dem Z-Wort (Ziegenficker Ziegenficker, haha, trööööt, gratismutiger Gruß von der Greifswalder Straße) zusammenhängt, zuhause schreiben. Nicht dass ich länger hierbleibe. Und das Kind alleine nach Hause fliegt. Ist ja ein Polizeistaat hier, wie man hört.
Sie zensieren auch. Ein paar Webseiten, die ich ständig besuche, sind gesperrt. Darf ich nicht sehen. Soll ich nicht sehen. Will die Türkei nicht. Tjo. Das ist halt so in autoritären Staaten. Die machen das so.

Türkei Türkei. Der Ziegenmann ist immer noch da. Herrscht. Regiert. Nicht wegzukriegen. Damit ist klar zu sehen, wie erfolglos der Westen mit allen seinen ständigen multimoralischen Interventionen ist. Nation Building. Community Peacekeeping. Strenghtening the bla bla blaha. Irak. Afghanistan. Libyen. Ukraine. Überall wo die reingehen bleibt Scheiße zurück. Und alle, die sie nicht militärisch, sondern diplomatisch wegmobben wollen, sind länger da als sie wohl geblieben wären, wenn man nicht dauernd so plump von außen intervenieren würde. Der Ziegenmann. Der Orban. Der Duda. Kacziński. Die Mullahs. Der Assad. Puteng. Bestimmt auch die Meloni. Trump wurde ja auch nur als Fickfinger gegen die von der anderen Seite gewählt, weil die so doof geworden sind. Und vielleicht kommt der ja wieder. Und würde womöglich gewinnen. Halt einfach nur, weil die anderen so doof sind. Sie sollten es lassen. Mit dem Intervenieren. Je mehr sie intervenieren, desto stärker werden die, gegen die sie intervenieren. Bin ja kein Diplomat, aber … just sayin‘.

Am Pool ertönen die üblichen Rufe des Grauens. Viel zu gut gelaunte Animateure suchen verstrahlte zu Animierende für die Animation. Aquagiiiiiiiiim. Woootaboooool. Booooouuuule. Boooooouuuule. Dazu zehnmal täglich als musikalische Untermalung: Ich hab’n Puff und meine Puffmama heißt Leyla. Lala lala mölb. So lange bis es selbst mir, der diesen Song nur aus Gründen des Prinzips gegen den moralistischen Klerus gut findet, zu viel wird.
Ein besonders schwer erträglicher Mensch ist auch der Touristenbetreuer der Reiseagentur, dessen Termin in der Lobby Pflicht ist, weil er die Vouchers für den Rücktransport der Rückreise in der Hand hat, die ich sonst nicht bekomme. Bei der Gelegenheit möchte er seine Ausflüge zu alten Steinen loswerden: Chef, das musst du sehen, Chef, die Türkei, Chef, so wie sie ist, Chef, Gewürze, mmmmmh. Chef, Basar, die Römer, Alexander der Große, die osmanischen Kalifen, Chef, alle wollten sie hier sein und du bist direkt nebenan, Chef Chef Chef (ja, Hitler wollte bestimmt auch hier sein, mir aber egal, ich mag alte Steine nicht. Weil sie alte Steine sind. Und sag noch einmal Chef und ich reiße mir mit einem zerschlagenen Cocktailglas die Halsschlagader auf.)
Sonst ein Leibermeer. Dicke Deutsche, dicke Russen, dicke Briten. Aber hauptsächlich Russen, ein ziemlicher Russenbunker, in dem ich da bin, was klar ist, denn Mallotze, Ibiza oder selbst mein verfaultes Berlin ist denen, wenn sie keine Oligarchen sind, versperrt momentan. Die wenigen Deutschen erkennen Sie an den unglaublich schlechten Tattoos, bei denen ein Böhse Onkelz-Schriftzug mit schiefen Konterfeis auf der Bierwanne noch positiv hervorsticht. Sonst miese Tribals, üble Maorischeiße, Freundschaftsschwüre, in Comic Sans oder Fraktur tätowierte Kindernamen (wie peinlich), selbst die dämlichen asiatischen Schriftzeichen, superbillig geschossen vom tunesischen Strandtätowierer, gibt es noch. Klare Regel: Je mieser das Tattoo, desto deutsch.

Aber die Russen sind sehr freundlich. Fast plakativ nett. Ich kann diese doch auffällige Freundlichkeit nicht recht einordnen. Vielleicht ahnen sie, dass sie das, was gerade geschieht, über Jahre im internationalen Kontext nicht mehr kitten werden können und machen gut Wetter. Wissen um die Sippenhaft, die allen solchen Dingen innewohnt. Um die ewige Erbschuld über Generationen. Der Lust der Leute an Watschenmännern. An der Stellvertreteraggression. Egal wie die Sache nun ausgeht. So richtig normal wie früher wird der interkulturelle Kontakt nun für viele Jahre, wohl sogar Jahrzehnte, nicht mehr werden.
Das Kind freundet sich in kürzester Zeit tatsächlich mit einem russischen Kind an. Nochmal: Einem russischen Kind. Doch. Russischen Kind. Ich überlege kurz, ob ich aus Gründen der Staatsraison dazwischen gehen soll, denn ich möchte nicht bei der Einreise am BER der blöden Bundespolizei blöde Bundespolizeifragen beantworten müssen wie die, warum ich es zugelassen habe, dass mein Kind … mit einem Putinkind … Russenversteher … Querkriegsleugner … mopf mopf tilt …
Die Russenleugnerkinder haben andere Russenquerkinder dabei und mein Kind schließt mit allen dicke Freundschaft, sie kommunizieren mühelos über den Google Übersetzer, tauschen die WhatsApp-Schlüssel aus und versprechen, sich zu schreiben. Nach dem Urlaub. Zuhause. Zwischen Deutschland und – Gott steh mir bei – Russland. Ich sehe schon in ein paar Monaten den Staatsschutz vor meiner Tür stehen. Wegen Feindkontakt. Verbrüderung gar. Kollaboration. Bundeswehrkraftzersetzung. Abholen, den Kerl. Und verdunkelt hat er auch nicht.

Abends, als das Kind alleine um den Bunker zieht, um statt des dummen Vaters noch mehr Gleichaltrige aufzugabeln, komme ich mit einem Eventmanager ins Gespräch, der zumindest behauptet, sich hier gut auszukennen. Natürlich reden wir über die Lage. Weltlage. Alles. Dann runtergebrochen auf die Region, in der wir sind. Die spüren das hier. Die Ausgabenzurückhaltung. Aller. Deutscher. Russen. Briten. Egal. Die Leute treten natürlich ihre oft schon letztes Jahr gebuchten Reisen an, na klar, aber die Extras mit den Extrakosten fallen weg. Die Quadtouren. Das Rafting. Shoppingbootsfahrten. Die Besuche im A la carte-Restaurant, das nicht im All Inclusive enthalten ist. Das schlägt alles durch und potenziert sich auf Zulieferer, Händler, Busfahrer, die an diesen Bedürfnisketten hängen, die jetzt auch hier abfaulen. Flügelschlag. Schmetterling. In Brasilien. Darauf der Orkan. In Texas. Ist schon so, dass es so ist.
Auch am Poolwasser merken Sie die Lage. Kalt isses. Arschkalt. Null geheizt. So dass kaum einer in den Pools schwimmt, sondern alle ins Mittelmeer gehen, das trotz des Herbstes noch bemerkenswert warm ist. Energiekrise. Kostendruck. Auch hier. Nicht so wirklich ein Wunder, dass die Türkei beim heiligen Sanktionsgame nicht mitmacht, weil sie wissen, dass das die Dinge schlimmer machen würde. Moral? Machen sie hier nicht. Erst das Fressen, dann die Moral.

Morgens auf meiner Laufrunde komme ich nach wenigen Minuten an die Grenzen des granitgefliesten teppichausgelegten Wohlstandspickels, den diese Hotels hier in dieser Gegend darstellen. 400, 500 Meter, dann Steppe. Draußen auf den Feldern kommen dann Container. In denen vermutlich die wohnen, die mir das Zimmer saubermachen und dem Kind den alkoholfreien Nochito mixen. Müllberge. Bretter. Halbschiefe selbstgebastelte Stromversorgung. Die Straßen fast so übel wie in Berlin. Chef, du solltest nicht nach Osten laufen. Is‘ gefährlich. Sagte der Patientenbetreuer. Was ich natürlich trotzdem mache. Und wie immer passiert mir auch hier nichts. Mir passiert nie was.
Keine Ahnung, wer da wohnt. Die mir das Laken wechselt. Der mir den Teller abräumt. Den Müll mit den Burgerresten aus dem kleinen Strandmülleiner klaubt. Die Lobby feucht wischt. Die Strandklos kärchert. Irgendwer von denen wird’s schon sein. Oder nicht, keine Ahnung.
(Forken. Reisigzweige. Meer.)
So ist der Deal. Vier Stunden Hinfliegen in die Steppe für anderthalb Wochen Illusion, die nie jemand hinterfragt. Ich weiß, dass diese Konstellation hier außer mir niemandem sonst unangenehm ist und das ist ausdrücklich okay. Sie dürfen wie immer machen, was Sie wollen. Mir gefällt der Gedanke nur nicht, dass Leute, die in Containern wohnen, mir hinterher putzen, hinterher räumen, alles hinterher tragen und das war immer schon so. Aber auch das versteht nie jemand, deswegen spreche ich es ja auch nie irgendwo an. Alle finden das normal, also ist es das vermutlich auch.
Was soll’s. Hauptsache die panierten Chicken Wings sind lecker. Das Kind hatte zwanzig davon an einem Abend. Ausgewogene Ernährung, so wichtig in dem Alter.

Klimafrage: Sie wollen die Welt retten? Vergessen Sie’s. Die Türkei arbeitet gegen Sie. Und wie. Stinkende Verbrenner. Schlote. Plastikinferno. Tüten. Becher. Kleinstverpacktes. Müllberge, Müllberge, mehr Müllberge auf Überlandfahrten. Vergessen Sie’s. Es ergibt keinen Sinn. Geben Sie auf.
Mein Kind sammelt wie zur Bestätigung dessen verpackte Plastikstrohhalme ohne Ende, den ganzen Rucksack voll, um sie nach Deutschland zu schmuggeln. Weil die deutschen Papierstrohhalme, die entweder diese verdammten Ökos oder schon wieder diese korrupten Bürokraten der bescheuerten EU angeordnet haben, eklig schmecken. Nach Papier halt. Das Kind hasst die Dinger. Wir besitzen jetzt also etwa 100 Plastikstrohhalme, die das Kind alle nach Berlin-Prenzlauer Berg schmuggeln will. Hoho. Das wird ein Spaß, wenn der Zoll am Flughafen das Gepäck filzt und uns diese Strohhalme abnimmt. Wegen der versuchten Einfuhr verbotener Gegenstände. So wie Glühdrahtbirnen. Foie Gras. Plastiktüten. Werbung mit Titten.

Frühstücksinferno. Abendtischinferno. Immer Inferno. Schreiende Kinder. Quäkende Kinder. Was werfende Kinder. Durchdrehende Kinder. Ein völlig bescheuertes Kind krakeelt durch den Frühstücksraum. A-A-Aschloch! Immer wieder. A-A-Aschloch! Die Eltern sind verzweifelt. Haben keine Mittel gegen den kleinen Terroristen. Sie rütteln am Arm. Machen Sssssh. Rollen mit den Augen. Nix klappt. Immer A-A-Aschloch. Ich muss kichern. Dann lachen. Ich mag es, andere Eltern an ihrem Nachwuchs scheitern zu sehen. Keine Durchsetzungsfähigkeit. Keine Grenzen. Keine Chance. Und dann ihr ewiger Versuch, mit passiv-aggressiver Ansprache Erziehung zu simulieren, was nie klappt. Hier auch wieder. Wie überall. Sie können es nicht. A-A-Aschloch. Und nochmal: A-A-Aschloch. Es endet erst, als sie den kleinen Troll schließlich entnervt aus dem Raum zerren.
Der Gipfel der Peinlichkeit ist eine der allabendlichen Shows, in die mich mein Kind reinschleppt. Dort findet die Wahl des „Mr. Belek Beach“ statt. Vier vertrottelte Vollidioten, ein Russe, ein Türke, ein Brite und natürlich ein Deutscher (die dürfen bei einer Ansammlung von Idioten nie fehlen) müssen sich unter dem Gejohle des besoffenen Honkenpublikums zur Komplettwurst machen. Zuerst müssen sie Bier mit dem Strohhalm um die Wette trinken, dann wie Charlie Chaplin um die Wette gehen, hernach einen orientalischen Bauchtanz aufführen, um am Ende als Tarzan verkleidet möglichst kreativ ein Stoffkrokodil zu töten. Das Kind konnte mich nur mit dem sofortigen Versprechen, mich nie wieder zu so einer Erbärmlichkeit von Show zu schleppen, davon abhalten, noch für den nächsten Morgen einen außerplanmäßigen Rückflug, irgendeinen Rückflug, meinetwegen über Baku, Peking, Doha oder das verdammte Südkap, zu buchen.

Während einer weiteren Laufrunde werde ich Zeuge eines anatolischen Fußballspiels. Dieses ist männlich, wie etwas nur männlich sein kann. Das großartige Wetter gibt es her, dass ich kurz stehenbleibe, um lange stehen zu bleiben, weil ich das Schauspiel so mag, das sie den meisten Almans so nachhaltig verleidet haben. Das Archaische. Den Kampf. Körper klatscht auf Körper, Spann gegen Schienbein, übelstes Tackling, Kampf über Kampf. Niemand wirft sich auf den Boden und weint. Das sind alles alte echte Typen. Behaart. Bisschen Bauch. Aber Kampfgeist für zwölf. Finsterstes Gebrülle, von dem ich nichts verstehe, Ellbogen, Geschubse, Bodychecks, Blutgrätschen und nach dem Halbzeitpfiff allgemeine Verbrüderung. Abklatschen. Die schweißnassen Haare wuscheln. Schulterklopfen. Diese Jungs, diese tollen Jungs.
Liebe dekonstruierenden Männerhasser*ping*innen. Sie dürfen jetzt gerne vor Wut im Kreis hüpfen, sich ein Bein rausreißen und platzen, aber ich feiere dieses Archaische, das ich vom Sport meiner alten Schule kenne. Auch wenn Sie schäumen: Männlichkeit ist total geil. Männlichkeit ist was Gutes. Männlichkeit bringt Dinge voran. Stellt komprimierte Energie für alles zur Verfügung. Kraft. Verbindlichkeit. Mut. Loyalität. Brotherhood. Alles, was euch fehlt. Und wenn das Männliche jemandem ausgetrieben wird, wie den ganzen traurigen Butterweichkeksen, die ihr in euren Genderschulen final neutralisiert habt, dann fehlt der Gesellschaft etwas. Nachlässig betrachtet scheint es, dass ihr gewonnen habt und dafür feiert ihr euch ja auch ständig selbst, dass es an der sichtbaren Oberfläche marginalisiert worden ist, das Männliche, fast überall, dekonstruiert, abgewertet, lächerlich gemacht, mit Kübeln an Wortgülle verunglimpft, um nichts Adäquates an seine Stelle zu setzen außer Weinerlichkeit und ständiges Geplärre, aber hey, es kommt wieder, alles kommt wieder, versprochen, wartet mal ab, dazu gleich mehr.
Aber nein, nicht gleich wieder feixen, liebe patriotischen Heimathirsche, denn ich halte auch manchmal auf meiner Laufrunde durch den Berliner Wedding ein und ziehe mir das gute alte Männliche rein. Sportplatz. Behmstraße. Da kickt sie manchmal, die deutsche Männlichkeit und es ist eingewanderte Männlichkeit. Und zwar nur solche. Und da sehen Sie es wieder. Kraft. Verbindlichkeit. Mut. Loyalität. Brotherhood. Männerfreundschaften, die die besten sind. Das geht nicht verloren, das kommt wieder. Und wird wieder sichtbar. Feiert die Renaissance. Nur halt anders als ihr denkt. Und vermutlich wollt. Läuft schon. Wird schon. Als völlig natürlicher Vorgang des Füllens eines mutwillig produzierten Vakuums. Das haltet ihr nicht mehr auf und ich komme mit dem Gedanken gut zurecht.

Was noch? Nüschte. Parasailing geflogen und endlich wieder leuchtende Nachwuchsaugen produziert. Russen mit Boomboxen voller Kirmestechno am Strand. Unbekanntes Virus von irgendwem eingefangen. Croissantmitkaffeekotze auf Klo. Dünner Schiss nachts um drei. Gewürge im Touribus. Nächtlicher Geruch nach Mülldeponie. Flavour of the Wohlstandstrash. Nepp im Hamam. Nepp auf dem Tagesausflug. Der sinnlose Stopp beim Schmuckverticker. Chef. Chef. Kaufen. Kaufen. Dann der Stopp auf irgendeinem Basar. Chef. Chef. Kaufen. Kaufen. Klunker. Ketten. Parfümflakongse. Teppiche. Spooky Kuscheltiere. Fakeshirts. Fakejeans. Fakesneakers. Und dann doch nix gekauft. Nix. Ich habe nix gekauft. Nicht eine Sache. Weil ich nix brauche. Ich brauche eigentlich gar nix mehr. Nur Ruhe. Aber die ist immer ausverkauft.

Das war der Urlaub. Das war Belek. Mehr war nicht. Ich habe den Akku voll. Sonne im Arsch. Braun wie Bolle. Kraft ohne Ende. Der deutsche Bleiwinter kann kommen.