Bad Saarow / 2022

Spätsommerendstation Bad Saarow. Rentnerpuff. Fischplatte. Tretboote mit Schwankopf vorne dran. Sole. Therme. Orthopädische Schuhparade. Ich komm‘ nochmal raus aus der stinkenden Stadt und das Paket spricht von Entgiftung und Rekonvaleszenz. 

Er ist nicht ausgebucht, der Wellnessbunker. Es ist der beste Bunker hier. In bester Lage. Allerbester Lage. Fein. Piekfein. Kaiserbäderstyler. Stößchen.

Dennoch: Wenig los wo sonst mehr los ist.

Sichtbar sitzt das Geld nicht mehr ganz so locker.

Oder die Leute sparen schon.

Der Bunker wankt. Hohe Kosten. Zu wenige reiche Chiller. Man liest, das eine oder andere Resort habe Corona schon nicht überlebt. Oder darbe jetzt perspektivlos an den Energiekosten. Für die Pools. Die Saunen. Die Lichttherapie im hergeschippten Ostseesand. Die klimatisierte Lobby. Die Region specke ab. Sagen sie. Nicht mehr tragfähig viele Konzepte. Es reiche hinten und vorne nicht. Gar nichts mehr reiche hinten und vorne. Raunt man. An der Bar. Beim Drink. Ich hör‘ wieder alles mit.

Bad Saarow. Die örtliche Kirmesband heißt Lord Zeppelin. Der Bootsverleiher nennt sich O-Nass-is. Doch. Tut er wirklich. Sie ist es wieder. Die Wortspielhölle. Und was für eine.

An der Strandbar sitzen Cocktailgesichter in Badeschlappen. Batida. Sie schenken Batida aus. Mit Kirsch. Passionsfrucht. Orange. Als Mango Kiss. Sechsfuffzig. Und sehr eklig. Wer das trinkt, schlitzt auch seine Eltern auf und verbuddelt sie im Wald. 

Ich find’s immer witzig, wenn sie „Ist aber nur Pepsi“ antworten, wenn ich eine zuckerfreie Cola bestelle. Überall. Entschuldigend. Wie als wenn sie sagen wollten „Ich kann doch auch nichts dafür, aber Pepsi hat den Vertrag gekriegt, auch wenn’s keiner mag.“

Das 1×1 des Händewaschens hängt immer noch als lehrerlämpeliger Zeigefinger neben den Waschbecken eines jeden Klos. Bebildert. Zehn Bilder. Jeder Schritt erklärt. Immer übergriffig. Vorwurfsvoller Duktus. Für die erwachsenen Kinderlein. Weil die so gerne zu Selbstverständlichem animiert werden. Ermahnt werden müssen. Glaubt die Nanny, die immer über alles wacht.

Am Scharmützelsee schwirren die alt gewordenen Wespen des sterbenden Sommers um mein Gesicht herum und versuchen, in Nase und Ohr zu kommen. Ich hasse Wespen. Wespen sind die Nazis unter den Insekten. Ihr Angriffsziel willkürlich. Heimtückisch. Und nicht nachvollziehbar. Sie attackieren auch ohne vorher attackiert worden zu sein. Im Blitzkrieg. Überraschungsmomente nutzend. Mit der Selbstverständlichkeit des Bewaffneten. Niemand mag Wespen. Trotzdem sind sie geschützt.

Der Satz „Einfach nicht bewegen, dann gehen sie von alleine“ ist eine dreiste Lüge. Nicht bewegen geht nicht mit ganzer Wespe in der Ohrmuschel und halber im Nasenloch.

Keine Russen. Früher alles voll. Jetzt keine Russen mehr. Wo sind die alle? Untergetaucht? Verkrochen? So viel Schaden in so kurzer Zeit. Abgefackelte rauchende Relations. Hier wir. Da die. Das wird wieder 50 Jahre dauern, bis das alles heilt. Die Aktionen. Gegenreaktionen. Die ganze Rhetorik.

Was ich in den fünf Gängen zum Abend esse, interessiert doch keine Sau.

Weil die Zeit der Foodbloggerei vorbei ist.

Wie die Zeit der Blogs eh vorbei ist.

Nicht weniger wie die Zeit der Restaurantrezensionen.

Und kaum mehr wer fotografiert noch Essen. Ich auch nicht mehr. Wer Essen fotografiert, ist hängengeblieben im Essensfotozeitalter und denkt bestimmt, der Außenminister heißt noch Westerwelle. Klebend in den staubigen Biedermeierjahren, die sowas von vorbei sind.

(das Carpaccio war zu ölig. Die Linguine zu salzig. Die Haut der Poularde nicht kross genug. Der Grappa kam sprittig. Aber egal, bald ist das Gas weg, dann gibt’s nur noch Dosenravioli. Kalt. Oder mit der Kartusche erwärmt. Oder zerkokelt aus der Feuerschale vom Balkon.)

Teambuilding sucks. Hyperaktive Teambuildingtrainerinnen sucken noch viel mehr. Kärtchen. Seilchen. Fünfergruppen. Zweiergruppen. Wahrheit oder Pflicht. Psychokram. Ich bin wieder im Kindergarten. Junge freshe Leute mit jungen freshen Managementmethoden gehen mir auf den Sack. Ich hasse die. Trotzdem werden die immer wieder gebucht. Und man geht mit allen zusammen in solche Resorts. Raus aus dem Glaskasten. Weg vom Kaffeeautomaten. Den Fluren. Fluchten. Den Kunstdrucken der Leinwände. Den Videokonferenzen, die uns alle vereinzelt und zu körperlosen Avataren reduziert haben. 

Bei Rührei mit Bacon diskutiert das noch saturierte Bürgertum, das die Mitte des großzügigen Raums eingenommen hat, frühst über die Lage. An mehreren Tischen über mehrere Tische. Die Politik habe sich verrannt. Mit dem Versuch, wachsweiche persönliche Moral über die harte internationale Interessenspolitik zu stellen. Deswegen werden wir alle jetzt abgehängt. Verlieren den Anschluss. Müssen Federn lassen. Firmenpleiten. Massenarbeitslosigkeit. Inflation. Wird als Land langsam ausgeblutet. Vom Schachspieler provoziert rannte es just mit dem Amtsantritt der tapsigen neuen Regierung in die über Jahre sorgsam drapierte Falle und windet sich nun da drin. Drei Typen. Zwei Frauen. Dicke Bäuche. Rote Gesichter. Truthahnhaut am Kropf. Namensschildchen am Revers. Von der Tagung nebenan, wegen der sie hier sind. Alte Konservative. Eine aussterbende Spezies. Oder es gärt echt so massiv wie es sich anhört und die Zeitenwende zurück zur Restauration kommt erst noch. Ich kann Ihnen das nicht sagen, aber wenn selbst Politiker am laufenden Band Blut-, Schweiß- und Tränenreden halten ohne die Schäfchen wie sonst einzulullen, dann wird es schon ernst sein.

Die Dunkelhäutige räumt die Teller ab, fragt aber vorher, ob sie darf. Mehr als das am Tisch liegengelassene Trinkgeld fällt mir zur Konstellation nicht ein. Mir ist es immer stark unangenehm, so massiv umsorgt, bedient, bemuttert zu werden. Ich würde meinen Teller selber abräumen, wenn sie mich ließen.

Ewig gültiger Merksatz: Menschen in der Dienstleistungsbranche dienen nicht, weil sie Freude am Dienen haben, sondern weil es ihr Job ist, so zu tun als wäre das so. Die feisten Bezahler, denen jeder Schiss hinterhergetragen wird, denken aber wirklich, sie würden gemocht. Und wären was ganz Besonderes. Dabei sind sie nur Gesprächsthema der Diener. Im Aufenthaltsraum. Hinten in der Küche. Oder abends am Abendbrottisch. Hast du den Typen gesehen mit den Bommelslippern? Die Torte mit der Truthahnhaut? Und dann dieser Dürre mit den Mäusetitten. Hahaha. Gnihi.

Jene, die sich im überlaufenden Gastraum für etwas Besonderes halten, sind in Wirklichkeit eine Lächerlichkeit, sobald sie es nicht mitkriegen. Weil sie nur die Bezahler sind. Und keiner sie mag. Unten mag Oben nie, aber das rafft Oben nicht, sondern ist pikiert, wenn mal die Realität anklopft und Guten Tag sagt. Hallo Oben. Hier ist dein Unten. Und ich find‘ dich scheiße.

Nobody expects the deadwalking Gammelfleischparade in the Solebecken, die sich den Laden hier noch leisten kann. Ein Elend wie Führungskräfte, die denken, ein Teamtraining für welche, die sie sonst als Ansporn oder zur Zerstreuung gegeneinander antreten lassen, würde zu einem besseren Arbeitsklima führen.

Komische Zeit. Hier wird halt echt noch getanzt auf dem Parkett. Garnelenspieße. Rumpsteak. Grauburgunder. Am Ende ein Soufflee. Es gibt Bilder von speisenden Menschen im Café Kranzler Ecke Friedrichstraße, die ähnliches wie wir hier gegessen haben dürften. Im Sommer 1939.

Nicht zu leugnen. Die Tage sind klar kürzer inzwischen. Der Morgen. Der Abend. Die Nacht. Totale Stille am Rentnersee. Niemand spielt Techno. Niemand wirft mit Bierflaschen. Niemand brüllt wie abgestochen den Mond an. Kein Alkoholiker zieht sich hacke auf einer Kreuzung die Hose runter und macht den Penispropeller. Jedes Mal überrascht es mich, dass es außerhalb anders zugeht als bei mir zuhause an meiner Kreuzung von Berlin-Prenzlauer Berg.

Wird schnell gehen jetzt mit dem Abkühlen. Die Nächte liegen bereits bei 11 Grad hier. Draußen in Brandenburg. Wir haben September. Dann Oktober. Was in einem Jahr sein wird, verschwindet mehr im Grauschleier denn je. Vorkehrungen treffen. Polster schaffen. Aufmerksam sein. Kopf oben halten. Nicht von Nebelkerzen ablenken lassen. Das Kind schadlos durch diese kaputte Zeit bringen. Aufschreiben, was ist, um später zu wissen, was war.

Dann ist er vorbei, der Spuk. Waren auch nur zwei Tage. In den letzten auslaufenden Resten dieses langen, warmen, großartigen Sommers.