
– 1 –
Die Tage beginnen mit einem Frühstück in Gesellschaft dieser dürren großen arischen Frauen mit den ernsten kantigen Gesichtern, die braune Schaftstiefel tragen, nur Obst mit Magerquark zum Frühstück essen und auf deren Stirn in unsichtbaren Buchstaben „Superior“ steht. Ich stelle mir vor, dass sie Leni heißen. Oder Anna-Sophie. Margarete. Gesine ginge auch. Sicherlich reiten sie.
Mir schmeckt das Cashewmousse auf dem Croissant. Mein Ei hat sieben Minuten intus.
Später am Pool suchen mich primitive alte Schabracken heim, die schon morgens eiskübelweise Prosecco saufen und den Raum über Stunden mit Nichtigkeiten über Wetter, Nachbarn und dumme Ehemänner beschallen, so dass ich froh über meine Köpfhörer bin, die mir das Album Kill em all von Metallica in sonst unerträglicher, jedoch hier wohltuender Lautstärke in die Ohren pressen.
Den Pool unter Strom zu setzen ist nicht erlaubt.
Ein fetter junger Mann in einem gelben Bademantel nimmt im Spa einen Schluck Wasser, in dem eine Orangenscheibe schwimmt. Das Thema seines Monologs sind Kanaken. Ja, Kanaken. Sagt er. Er prophezeit seinem nicht minder feisten Begleiter den Komplettuntergang des Landes, wenn das ganze Pack nicht außer Landes geschafft würde. „Es kann so einfach sein. Ab in die Züge und weg.“ sagt er. Dann lachen beide.
Die Masseurinnen kommen alle aus Polen, werden aber toleriert. Denn sie werden in Kürze den Speck der beiden Würstchen kneten. Ich kann nicht sagen, ob es die Massagen hier auch mit Happy End gibt. Ausschließen können Sie das nie. Nicht hier. Nicht momentan. Die Leute brauchen Geld.
Das deutsche Internet. Brandenburg hat immer noch Edge. Überall. Wenn Sie aus reiner Fahrlässigkeit O2 als Provider gewählt haben, haben Sie oft gar nichts. Nicht mal Edge.
Kumpel war in Kenia. Kommt zurück und erzählt mir was über superschnelles Internet überall. In Kenia.
Hier ist aber nicht Kenia, hier ist Brandenburg.
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Das tut nicht einmal mehr dem Browser leid.
Beim Abendessen am Nebentisch hält ein Stall Mütter Hof. Es sind acht. Sie besprechen Mütterdinge. Waschwindeln. Babymassage. Und das neue Projekt eines Nachbarschaftsportals, in dem Hoffeste, Tombolas und gemeinsame Ausfahrten geplant werden können. Noch ist nicht klar, wer das programmieren soll, aber die Finanzierung steht. Das Geld dafür kommt, so höre ich, von nicht anwesenden Ehemännern, die wahrscheinlich auch diesen Aufenthalt bezahlen und über die so liebevoll wie über Haustiere gesprochen wird, die Dinge apportieren (in diesem Fall apportieren sie Geld). Knuffige Hausmütterchen sind das. Junge Hausmütterchen. Die alte neue Biederkeit bittet zu Tisch. Und das hier sind nicht die 60er, es ist das Heute. Die Dinge kommen wieder. Diese ganzen neuen jungen stupiden Mütter mit ihren Zupfkuchen im Ofen sind der lebende Beleg für die Pendeltheorie. Die Zeichen stehen auf Restauration. Die Progression wird sterben. Alles wird sterben, was momentan noch als so sehr gesetzt gilt.
Eine der Mütter heißt auf jeden Fall Mareike. Das ist eine der Faustregeln aus Prenzlauer Bergs Kindercafés: Jemand aus einer Müttergruppe heißt immer Mareike. Eines der Babys, die die Mütter um den Tisch herum in rosa und blaue Plüschsäcke gelegt haben, bläst während meines Hauptgangs einen dreckigen feuchten Furz in die Runde, den so saftig-satt kein Bauarbeiter hinbekommen würde.
Auf Höhe meines Desserts – eine ansehnliche Mousse au chocolate-Variation – steht nebenan ein Rotgesicht auf und tönt: „So, jetzt geh‘ ick ersma kacken.“, was pikierte Zischlaute aus dem Mütterstall nach sich zieht. Zum Digestif grinse ich immer noch. Punkrock. Bitches. Der Typ hat euch kniggegefickt.
Das Personal im ziemlich edlen Restaurant bemüht sich außerordentlich, kann jedoch den Stallgeruch nicht verschleiern. Sicher. Sie bedienen korrekt von rechts. Haben die Reihenfolge des Bestecks drauf (bei mehreren Gängen immer von außen nach innen). Sogar der Wein wird nachgeschenkt. Doch bereits beim Servieren des Hauptgangs bricht die Pommesbude durch: „So! Ick sach ma lassense sich schmeck’n, wa?“ Später frage ich: „Ist es möglich, auf der Rechnung ein Trinkgeld zu vermerken?“ „Yup. Könnense.“ antwortet Brandenburg. Rustikal ist gar kein Ausdruck.
Trotzdem ist das Essen vorzüglich. Professionelle Köche sind hier wie sowieso überall leichter zu finden als alles andere. Kochen können sie immer. Der Auftritt am Tisch geht schwerer. Auch immer.
– 2 –
Gasthof Deutsche Eiche. So heißt die dem Hotel nächstgelegene Gastronomieeinrichtung. Und dann kommt bis zur Autobahn nichts mehr.
„Absolute Ruhe“ fordert ein Schild auf einer Theke am Eingang des Spas. Es wird sogar vom Personal selbst ignoriert.
Es gibt nur drei Sorten Menschen, die in der Sauna nicht die Fresse halten können: Russen. Frauen. Und alle anderen, die mit mir in einer Sauna sitzen. Offenbar dünste ich den Wunsch aus, von anderen Menschen mit Banalitäten unterhalten zu werden.
Ich befinde mich in der Konversationshölle und werde sogar angesprochen, wenn ich Köpfhörer in meinen Ohren habe, tipp tipp: „Was hören Sie denn für Musik?“ „Ton Steine Scherben.“ „Kenn ich nicht.“ „Nein, tun Sie nicht.“ „Hmm.“ „…“ „Jo. Denn tschüss.“ „Ja. Schüss.“
(ich hasse reden)
Irrenanstalt ist gar kein Ausdruck. Ich sitze in einer 100 Grad-Sauna gemeinsam mit drei Frauen, die zehn Minuten darüber debattieren, dass diese Sauna wirklich unerträglich heiß ist, aber die nicht auf den Gedanken kommen, in eine der vier anderen (nicht so heißen) Saunen zu gehen, womit sie mich in Frieden alleine zurücklassen würden. Stattdessen folgt Wortmüll auf Wortmüll. Vermutlich muss ich in ein Kloster gehen, um irgendwann die schlichte Stille zu bekommen, die ich suche, wobei es vermutlich auch dort nicht lange dauern würde, bis eine Gruppe tratschender Nonnen vor meiner Klosterzelle steht und die Notwendigkeit einer anderen Farbgebung des Zellenflurs diskutiert.
Die zentimeterdicke reibeisenrauhe Hornhautschicht an den Fußsohlen, die mir eine der drei endlos sabbelnden Frauen entgegenstreckt, wirft teils grobe Fetzen und an der Ferse ist ein tiefer blutroter Riss neben einer aufgescheuerten, entzündeten und ganz einfach sich selbst überlassenen Blase, deren rohes Kraterfleisch wie ein Verkehrsunfall immer wieder meine Blicke einfängt. Ungepflegte Füße. Manifestierter Ekel, aber ich kann nicht wegschauen. Wäre hier nicht die Sauna, würde sie Birkenstocks dazu tragen, um auch alle Menschen da draußen an ihrer Verwahrlosung teilhaben zu lassen. Ich reibe mir Schweiß in die Augen, dann geht es.
Eine andere werde ich später im Pool treffen. Zwischen ihren Beinen werden verdächtige Luftblasen nach oben steigen, die sie, als sie meinen Blick bemerkt, hektisch wegplanscht. Es würde mich wundern, hätte sie dazu nicht gepinkelt.
Es gibt Verstrahlte, die laufen mit dem Smartphone waagerecht giggelnd durch den Liegenbereich, in dem ich chille und drehen einen Clip mit chillenden Menschen drauf. Was ist da schiefgelaufen? Wie haben sie eigentlich früher diese Gestalten von solchen Orten ferngehalten? Oder liegt es doch wieder daran, dass hier einfach nur Brandenburg ist? Sollte ich besser rüber nach Polen oder ist es dort noch schlimmer, weil da die Sachsen einfallen und sich daneben benehmen?
In welches Spa Sie auch immer gehen: Es gibt immer Umkleideräume, die nur für Frauen reserviert sind. Seltener finden Sie welche nur für Männer. Es gibt auch immer Saunen nur für Frauen. Jedoch ganz sicher nie welche nur für Männer, zumindest abseits irgendwelcher halbseidener Schwulenclubs mit angeschlossenem Darkroom. In Marzahn haben sie aus öffentlichen Mitteln eine ganze Frauensporthalle gebaut. Das ist auf jeden Fall konsequent. Bald werden wir separierte Abteile in den Zügen haben. Welche für Frauen und welche für den Rest.
Wenn ich einen Pickel auf meinem Oberschenkel aufkratze (was will der da?), reagieren korrespondierende Nervenenden im Rücken mit einem Stich. Ich frage mich, welchen Sinn das haben soll. Was hat sich die Natur bei so einem Blödsinn gedacht?
Abends direkt neben meinem Tisch, an dem gerade ein Kalbsfilet auf Blauschimmelspinat und gefüllte Gnocci trifft, findet ein Candelightdinner statt. Der Komiker an der Musikanlage, deren kleine weiße Lautsprecher wie mutierte Spinnen an der Decke hängen, spielt dazu David Bowies Blackstar-Album. Das letzte. Mit dem David Bowie melancholisch und sanft und sehr außergewöhnlich seinen Tod vorbereitete. Das wissen die Candlelightdinierenden nicht. Sie sind so verliebt, dass jetzt auch Goethes Erben laufen könnte. Mir gefällt das.
Danach spielen sie leider James Blunt. Dessen Schlurz kennt jetzt wieder jeder. Candlelight schaut sich noch eine Nuance verliebter an.
Zwei Tische weiter bestellt ein Idiot, ein Walross mit problematischer Haut, ein Schnitzel mit Pommes, das es gar nicht auf der ausgesucht wohlsortierten Karte gibt. Doch das Restaurant gewährleistet auch das. Der Idiot bekommt sein Schnitzel mit Pommes, denn es ist ein gutes Restaurant. Sie servieren ihm sogar eine Flasche Ketchup dazu. Auf einem Porzellanteller.
Das finde ich zur Abwechslung mal unaufgeregt ironisch.
Wenn Prenzlauer Berg in Brandenburg Wellness macht: „Isch des glutänfrei?“
Ich betrinke mich heute mit 21-jährigem Rum. Er heißt Opthimus.
– 3 –
Ich lese auf meiner Liege inmitten von alten eitlen Geckos und blasierten welken Schnepfen in einem Text über Drauzio Varella, einem Nobelpreisträger für Medizin. Ihm wird das Zitat nachgesagt: In der heutigen Welt wird fünfmal mehr in Medikamente für die männliche Potenz und Silikon für Frauen investiert als für die Heilung von Alzheimerpatienten. Daraus folgernd haben wir in ein paar Jahren alte Frauen mit großen Titten und alte Männer mit hartem Penis, aber keiner von denen kann sich erinnern, wozu das gut ist.
Ich versuche, nicht zu lachen, doch ich kann nicht. Ich halte mir den Mund zu. Doch das Lachen grunzt ganz tief aus meinem Hals. Krrrrk. Gngngngngn. Pfffffffffft. Ich kann nicht mehr und renne raus.
Die Schüssel Kohlrabisalat vom Frühstücksbuffet erweist sich spätestens bei der Ganzkörpermassage als Riesenfehler. Ich finde es eine übermenschliche Leistung, dass es mir gelungen ist, der Masseurin unter einem solchen Innendruck nicht ins Gesicht zu furzen.
Es gibt Menschen, denen können Sie mit einer Fußmassage einen Orgasmus verschaffen. Bei mir regt sich da überhaupt nichts. Es lässt mich komplett kalt. Mir sind Fußmassagen sogar unangenehm. Sie reduzieren mein Gegenüber auf meine unterste Körperpartie und ich mag das nicht.
Wäre ich Masseurin, hätte ich beim nächsten Frauenabend bei Prosecco und Sushi nur ein Thema: Wie scheiße Männer in diesem zarten Hauch von Einwegtanga aussehen, den sie für eine Ganzkörpermassage tragen müssen.
Sie dürfen niemals vergessen, dass niemand Ihnen die pickligen Arschbacken, das warzige Gesicht oder die verhornhauteten Füße freiwillig kneten würde, würden Sie dafür nicht gutes Geld bezahlen.
Fetischisten natürlich ausgenommen. Die bezahlen womöglich sogar dafür. Aber die bezahlen auch für abgeschnittene Fußnägel und die geraspelte Hornhaut fremder Menschen im Internet. Glauben Sie nicht? Bitte.
Für die Dampfsauna müssen Sie sich umständlich an der meistens unbesetzten Rezeption melden. Dann kommt einer und macht die an. Das ist so sexy wie der ausgestellte Dönerspieß um 15 Uhr in einem Industriegebiet, der nur für Sie mit einem Feuerzeug wieder angemacht wird. Knusper Knusper Knäuschen.
An der Rezeption können Sie sich Zeitungen nehmen. Eine vermeldet, dass irgendwas am Berliner Flughafen nicht funktioniert und auf jeden Fall teuer wird. Was soll das denn, frage ich mich, das ist doch keine Pointe mehr. Das ist nur noch ein Running Gag. Ein Berliner Murmeltiertag. In Berlin funktioniert was nicht. Und ist teuer. Wo ist der Neuigkeitswert. Sherlock?
Brandenburger Waldwege sind fast so crosslaufesk wie die maroden Berliner Bürgersteige. Doch nur fast. Berlins Mondlandschaften sind nicht zu toppen. Auch von Brandenburgs Waldwegen nicht.
Überhaupt diese Luft. Diese Wahnsinnsluft. Wenn sie hier nicht alle ständig Kippen, Jägermeister, Kartoffelchips und immer noch RTL zu sich nehmen würden, würden sie 100 Jahre alt werden.

In Berlin gilt: Draußen ist feindlich.

In Brandenburg gilt dagegen: Draußen ist friedlich.

Friedlich.