
Es beginnt offenbar eine Tradition zu werden, dass ich Sternelokale besuche und nicht gut finde. Ich denke sonst immer, dass ich mich nicht weiterentwickle, sondern stehenbleibe, hoffnungslos eingefahren und versumpft bin, aber das scheint manchmal nicht so zu sein: Vor zehn Jahren habe ich noch billige Dönerbuden verrissen, insofern hat sich da in der fressleistenmäßigen Ausrichtung doch etwas verschoben, kaum abstreitbar habe ich mich niveaumäßig ein wenig nach oben gegraben, aber so richtig Spaß macht’s oft trotzdem nicht. Kostet nur mehr Geld. Eat this:
Ich bin im Juliette. In Potsdam. Hochgelobt. Hochgeschrieben. Hochgejazzt. Optisch ist das nett hier. Ein historischer Raum mit niedrigen Decken in der Altstadt. Confiserien. Brasserien. Handgetöpfertes aus Handtöpfereimanufakturen. Holländerviertelschmonz. Sanssoucimodelle. Fritzfriedrichbilder. Handpuppen. Käsekuchen. Natürlich Meistersushi. Ein Touristendorf. Teuer. Edel. Nobel. Lange schon nicht mehr mein Potsdam. Ich habe früher mit Maren, die natürlich nicht Maren heißt, im heruntergekommenen Potsdam West gechillt. Maren, die damals noch angehende Langzeitlehramtstudentin, die Spaß daran fand, Männern vor dem Sex den Schwanz mit Wasserfarben anzumalen. Gesichter, Formen, Spiralen, die dann in der substanzpotenzierten Euphorie kaputtgefickt wurden, Maren, die Chillerfrau, bunt, durchgeknallt, da in ihrem Altbau. Zwei Zimmer. Schlauchflur. Unsaniert 2002 noch. Braune eklige Fassaden. Bröckelig. Rostig. Kabel über Putz. Staubige Wohnzimmerlampe. Knarrende Dielen. Zerschlissene Bordsteine neben üblem Kopfsteinpflaster, für das Sie einen Panzer statt Marens gestrandetes Zonenklapperfahrrad brauchten. Kachelöfen. Muffige Treppenhäuser. Wäschespinnen. Bohnerwachsduft aus Altbeständen. Lange her. 20 Jahre schwupp. Vom alten Potsdam ist nichts mehr da. Auch Maren nicht, die heute irgendwo in einem Kaff Westdeutschlands Deutsch und Sport unterrichtet und ihr altwerdendes Leben zwischen Landhausküche, Ehemann, pubertierenden Kindern und Kuchenbasar auf einem komplett ungeschützten Facebookprofil ausbreitet, was immerhin konstruktiver ist als ich, der hängengeblieben in der fremd gewordenen Region in einem Viereck aus immer größer werdenden Widersprüchen, pomadiger Dekadenz, alter Musik und vulkantanzendem Fatalismus untauglich versucht, die Reste einer rauschhaften Vergangenheit zu konservieren, die es nicht mehr gibt.

Es ist ein Prominentenrestaurant. Sagt man so. Und man liest auch viel. Wer hier so alles speist. Stare und Sternchen. Politschranzen und Adjutanten. Business und Showbusiness. Seher und Gesehene. Allen voran der in Potsdam unvermeidliche Günther Jauch, der offenbar überall in Potsdam sitzt, frisst, trinkt und kackt, was weiß ich. Hier im Juliette ist er wohl auch dauernd, quasi immer, nur heute nicht, heute bin ich da und Günther Jauch nicht.
Ich find’s stickig. Der Raum ist zu eng. Muffif. Muffisch. Muffig. Hat eine komische Luftzirkulation. Nämlich keine. Was vermutlich an den niedrigen Decken liegt. Und den Konservierungsfaschos vom Denkmalschutz, die keine Klimaanlage genehmigen. Wegen der Preußen. Fritz. Holländergiebeldächern. Was weiß ich. Nix weiß ich, wie immer.

Einräumen muss ich was. Ehrlich einräumen. Es ist das Publikum, über das ich gerne herziehen würde, wenn es denn etwas zum drüber herziehen gäbe, doch nein. Das Publikum ist entspannter als in Berlin in solch einer Kategorie. In Berlin wären sie wieder laut. Obszön. Koksfressig. Golden kreditkartig. Würden schaulaufen. Alle an ihren bornierten Leben teilhaben lassend. Weil sie sich selbst so geil geil awesooome finden. Hier an diesem Abend gar nicht. Mich nervt vom Publikum niemand. Das Publikum ist das einzige, was mir heute wirklich gefällt. Gediegenes Understatement. Graumelierte Hirschbratengesichter. Mortimer. Some things never change. Potsdam kann das.
Am Lokal hingegen nerven mich die Kleinigkeiten. Die schrägen Kompositionen ohne Linie, Klasse und Harmonie. Das ärgerlich trockene Hähnchen. Die unpassend dunkle Bratensoße dazu, die arg brackig ist. Und der nichtssagende Weißwein, den sie dazu angepriesen haben und der nichts kann. Kaum Frucht, zu sauer, nicht mal mineralisch, einfach charakterlos blöd. Dafür teuer.
Und wer soll’s auch machen. Das mit dem Wein. Es ist kein Sommelier da und das merkt man eben. Die Weine passen alle nicht. Zu ihnen sagen kann auch niemand was und ich hätte damit nicht einmal ein Problem, wenn die Weine denn so gut wären, dass ich Bock hätte, mir die Informationen zu ergoogeln, aber nein, das sind sie nicht, ich ziehe sie zügig hinter und werde besoffen, was ihr einziger Pluspunkt bleiben wird. Ach es passt halt nicht, gar nichts passt hier heute, das Essen nicht, das Ambiente nicht, der Wein nicht und der Preis dazu auch nicht.

Und es sind eben die ganzen kleinen Dinge, die ich in einem Sternerestaurant nicht sehen möchte, weil ich sonst auch in ein normales Wirtshaus für ein Drittel des Preises gehen könnte. Ich möchte nicht, dass mir die krümeligen Neigen der Weinflaschen ins Glas geschüttet werden. Ich würde mich freuen, wenn der leergefressene Teller der Vorspeise zumindest zum Dessert verschwinden würde. Oder das kodderige Geblöke des Personals quer durch den Raum wie in einer Pommesbude seingelassen würde. Und mich nervt, dass Sie zum Pullerngehen runter, dann rüber über den Hof und zuletzt hoch aufs Klo latschen müssen. Wenn Sie die kaum beschriftete Eingangstür am Ende der komplett unbeschrifteten Odyssee finden und nicht wie ich bescheuert im Hof umherirren, während oben schon der nächste Gang serviert wird. Ach nö. Umständlich. Alles zu nervig, wenn Sie sowieso schon qua Enttäuschung über das höchstgelobte Lokal so unleidlich sind wie ich es dann endlich war.
So bleibt mein Fragezeichen des Abends: Die haben einen Stern und ich weiß nicht wofür.

Es tut mir leid, vor allem ums Geld. Ich mag’s hier nicht. Gehen Sie von mir aus gerne da hin, ich will nicht noch einmal.
Restaurant Juliette
Jägerstraße 39
14467 Potsdam
https://www.restaurant-juliette.de/
„Muffif“ war einer meiner berühmten Tippfehler, den ich zu schade zum löschen fand, weil witzig. 1, 2, 3, Apfelmoft. Blieb deshalb stehen. Plz go away, Spellingnazis.