
(di-ring)
Oh fuck, es klingelt oben, also an meiner oberen Klingel, an der Wohnungstüre, nicht unten an der Haustüre, an der der DHL-Mann klingelt, um ins Haus zu kommen. Oder Lieferando. Meine Kumpels. Ein Besoffener. Oder meine besoffenen Kumpels.
Es ist immer schlecht, wenn es oben klingelt. Weil es dann die Zeugen Jehovas sind. Die Bullen wegen eines Tageswohnungseinbruchs, die wissen wollen, ob wer was gesehen hat. Ein vorgeblicher Ex-Knacki, der Geburtstagskarten, gemalt von einarmigen Waisenkindern, die es gar nicht gibt, verticken will. Oder ganz schlimm: Die Nachbarn. Der Horror. Die Endgruselbosse. Meine Nachbarn.
„Hi-yiiiii!“
Sie. Es ist sie. Der absolute Abtörn. Die dürre Heilpraktikerschnepfe mit den Spaghettihaaren. Steht da. Grinst das unnatürlichste aller unnatürlichen Grinsen und wedelt vollkommen verrückt mit beiden Händen in der Luft. Dazu dieses infantile „Hi-yiiiii!“. Töte mich einer endlich, bitte. Ich ertrage dieses kreissägende „Hi-yiiiii!“ nicht mehr.
„Hey. Was geht?“
„Du. Ich mach‘ ne Petition.“
Na super. Wieder eine Petition. Damit irgendwer irgendwas machen soll, aber dann doch nix macht. Oder irgendwer irgendwas nicht machen soll, das aber trotzdem tut. Ich hatte sie schon alle. Petitionen für die alten verschissenen Gehwegplatten vor unserem Haus. Und Petitionen dagegen. Für den Erhalt der dummen Fliesen im Treppenaufgang. Petitionen für das Überleben des blöden Kindercafés an der Ecke. Petitionen gegen lärmende Alkoholiker am Arnswalder Platz. Petitionen fürs Klima. Gegen Autos. Für Spielstraßen. Eine neue Mülltonne. Gegen Südwind. Milchproduktion. Tortenheber. Fernreisen. Greta Thunberg. Was weiß ich.
„Es geht um die neuen Rauchmelder. Wegen dem Elektrosmog…“
(meine Nerven, das heißt wegen des Elektrosmogs, du verfilzte Bildungsmisere auf zwei Beinen …)
„… weil die immerzu funken und strahlen, da krieg‘ ich Schlafstörungen und bin ganz hibbelig …“
(Grundgütiger. Klima ist wohl durch. Fahrradstellplätze auch. Offenbar ist sie jetzt Antimobilfunkaktivistin. So lange, bis sie was Neues findet. Windräder. Klangschalen. Ufos. Gaslaternen. Parktaschen. Handpolierte Heilsteinketten. Lastenfahrräder für alle.)
„… der Lennard von oben, der schläft auch schon ganz schlecht…“
(Der Lennard. Jeeez, der Lennard. Wie kann man sein Kind nur Lennard …)
„… wie sieht das denn bei dir aus? Schläfst du auch schlecht?“
(Ja, aber das liegt am Koks.)
„Ja, nee, doch, geht. Nicht schlechter als sonst.“
„Die Rauchmelder greifen ja auch Daten ab. Per Funk.“
(Said what?)
„Bitte was?“
„Per Funk. Das ist ja auch ein Datenschutzproblem. Wer weiß, was die alles für Daten abgreifen. Da kann ja auch eine Kamera drin sein.“
„Da ist keine Kamera drin.“
„Aber kann. Oder weißt du, was die für Daten senden?“
(Bei mir keine, ich hab‘ die alle letztens abgeschraubt, ins Wasserbad geschmissen und wieder rangeschraubt, nachdem das Ding im Flur mitten im Hüftsteakablöschen losgeplärrt und nicht mehr mit Plärren aufgehört hat. Bei mir sendet nix mehr.)
„Keine Ahnung, ist mir aber auch egal, von mir aus können die meine Urologenrechnung abscannen und nach Langley, Cupertino oder Pullach zum Auswerten schicken, stört mich nicht.“
„Aber du schläfst schlecht.“
„Ich schlafe immer schlecht.“
„Dann solltest du mal zu mir kommen, ich bin doch Heilpraktikerin. Weißt du doch. Ich kann dir helfen. Würde ich sogar gern machen. Zum Freundschaftspreis.“
(Flirtet die etwa mit mir?)
„Ja, danke, mache ich bestimmt mal.“
(Niemals.)
„Unterschreibst du?“
„Jaja, gib‘ her.“
(Damit die endlich die Fresse hält und geht. Mir doch egal, was an meiner Zimmerdecke hängt.)
„Danke. Bis bald dann.“
(Verschmitztes Lächeln. Zweimal Zwinkern. Mit beiden Augen gleichzeitig. Ich scheiß‘ mich ein. Die flirtet! Raaaaah!)
„Tschö.“
Fuck.
„Bis bald“ hat sie gesagt.
Panik. Es läuft mir siedendheiß und eiskalt gleichzeitig den Rücken runter.
Das war ein Fehler. Meine Güte, was für ein Fehler. Der größte Fehler aller Zeiten. In dem Moment, in dem ich unterschrieb, fühlte ich es. Wie ein Schlag von innen durch meine Brust. Kalter Schauer. Sich aufstellende Härchen. Schrumpelnde Hoden. Ein katastrophaler Fehler. Der Körper hat sofort gerafft, was ich da gemacht habe. Ich habe der Spaghettihaarfrau den kleinen Finger gereicht. Was bedeutet, dass die jetzt öfter kommen wird. Mit noch mehr Petitionen. Für oder gegen irgendwas. Der Bitte, ihre Blumen zu gießen. Auf ihr stinkendes Balg aufzupassen. Oder ganz schlimm: Mit selbstgebackenen Plätzchen (Ingwer!). Oder Karottenkuchen. Ka-ro-tten-ku-chen! Ich muss umziehen. Cottbus. Bydgoszcz. Nordkap. Chisibubikaio. Nur weg. Weil die Aktivistenvettel mich jetzt anflirtet. Ihren bebirkenstockten Fuß in meiner Tür hat. Mich schließlich doch noch für einen von ihnen hält. Nach all den Jahren. Ihr neuer Ally. Rauchmelderstrahlungsally. Ich muss hier weg. Untertauchen. Ein mumifiziertes Tomahawksteak an meine Tür hängen. Einen Mettigel. Pferdewurstknoten. Wie doof kann man sein. 15 Jahre Abweisung. 15 Jahre Hass. 15 Jahre maximale Distanz zu diesen wanzigen vertrockneten alles umarmen wollenden Bioladenkröten. Und einmal kurz nicht aufgepasst und – zump! – haben sie dich. Deine Unterschrift. Auf einem ihrer Petitionszettel. Seele verkauft. Gesicht verloren. Eingehegt worden. Blödheit hat einen neuen Namen: Meinen.