Gefällt mir nicht: Tulus Lotrek

Ich war wieder sternefressen, dieses Mal im Tulus Lotrek. Nähe Hasenheide im turbogentrifizierten Kreuzberger Graefekiez. Eigentlich kann man dort wirklich nicht mehr hingehen, aber egal, mir ist alles egal, ich will ja nur essen und hier heute auch nur wegen einer vor über vier Jahren abgespeicherten Empfehlung des immer noch derangiert daherkommenden Blogs von Frau Indica, die von Insta eingesaugt wurde und deren Restaurantempfehlungen mir sehr fehlen. Aber immerhin ist ihr Blog noch online, so dass ich die alten Berichte nachvollziehen kann, denen ich – deutlich verspätet, aber doch – hinterher fresse.

Kritiken zur gehobenen Gastronomie waren früher mit der zehnfachen Reichweite von heute problematisch. Gerne geschrieben, aber ein magischer Honeypot für gestörte Getriggerte. Dabei sollte das hier tatsächlich mal ein Restaurantkritikblog werden, dessen ideelle Reste Sie heute nur noch am unteren Darmausgang der wöchentlichen Linksammlung finden, weil ich es nicht übers Herz bringe, das Foodcontentverbloggen komplett aufzugeben. Wo ich doch deshalb mit dem Schreiben angefangen habe.

Dass mir ausführliche Restaurantkritiken damals auf dem alten Blog irgendwann keinen Spaß mehr brachten, lag an verhaltensauffälligen Teilen des eh schon abseitigen Publikums, die ich damals hinter mir her zog wie einen Anhänger voller Dung, in Kombination mit einem offenen Kommentarbereich nebst einladendem Kontaktformular, das ich seinerzeit fahrlässigerweise in der Seitenleiste des Blogs angebracht hatte, als ich noch der Meinung war, der Austausch mit dem Internet wäre wichtig und führe zu etwas. Öhm, scharf nachdenken … nein. Tat er nicht. Führte zu nix. Eskalierte nur stets schnell. Unter anderem jedes einzelne Mal, wenn die Kritik mal nicht eine Curry- oder Dönerbutze betraf, sondern ein Lokal, in dem Sie hoch zwei- oder gar dreistellig latzen müssen, um dort essen zu dürfen.

Klick.

Publish.

Boom.

Tick Tock.

Und Feuer: Waaaaah! Verrecke! Du Arschloch! Mach was Anständiges mit deinem Geld anstatt es zu verfressen! FDP-Huuuuure! Ich les‘ dich schon seit achthunderttausend Jahren, sogar seit Qype, aber jetzt reicht’s mir! Ich hoffe du erstickst an deinem Essen! Geh sterben! Fall tot um! Fick dich! Lösch dich!

Das Positivste waren da noch irgendwelche rechtschreibgehandicapten Fanboys: Interesierd kein schwein wo du isst maaaaaan lass die sxheisse wir wollen raaants. Raaaaaaaaaants! Mach mal mher RAAAAAAAAAAAAANTS!!111

Tjo. Internet halt. Eine Güllepumpe. Ist nicht schön anzuschauen, wenn deren Darminhalt in so ein Blog schwappt. Vor allem, wenn Sie dazu noch irgendwelche Haltungspolitfritzen am Arsch kleben haben, die jedes Mal die Vendetta ausrufen, wenn Sie etwas schreiben, das nicht in deren Sicht der Dinge passt. Sterneküche zum Beispiel. Schublade auf. Hasskappe runter. Boooom. Komische Zeit war das.

Unvergessen bleibt mir die Kritik zum famosen (und damals gar nicht mal übermäßig teuren) Nobelhart & Schmutzig, die tagelange Beschimpfungen per E-Mail und in irgendwelchen obskuren Facebookgruppen sowie Kommentarleisten und Foren heiliger Gralshüter nach sich zog. Man dürfe da nicht essen. Wie ich dazu käme. Das sei zu teuer. So geht das nicht. Bist wohl Bonze geworden. Übergelaufen. Assimiliert. Trägst dazu bei, dass die Welt aus den Fugen gerät. Ich wusste immer dass du einer von denen bist. Kollaborateur. Feind. Fake. Angepasster Arsch. Bla bla. Flankiert manchmal mit diesen berühmten handfesten Drohungen mit allem möglichen, mit denen Prominente oder Prominentwerdenwollende heutzutage als Booster zur Förderung der eigenen festgefahrenen Karriere multimedial hausieren gehen, wenn sie mal eine kriegen.

Ja, das alles wegen einer Restaurantkritik. Sowas kommt wohl von sowas. Zu viel Reichweite. Zu viele Klicks. Mit viel zu viel Wirkung. Eine Dampferfahrt stinkendes Facebook. Übelnehmende Politkader. Durchdrehende Rentner auf Acid mit eigenem DSL-Zugang. Nischenforendauerbewohner. Die ersten Triebe der aufkeimenden Wokenesskultur. Wutmails über Wutmails. Sieben Tage Hypertonie. Nur weil ich essen gegangen bin. Nein, keine Ahnung. Kann ich Ihnen nicht erklären, warum. Ich habe damals nicht verstanden und verstehe heute immer noch nicht, was die wollten (dass ich nur noch trockene Haferflocken esse und das gesparte Geld der MLPD spende womöglich, was weiß ich), aber ich habe danach mit Restaurantkritiken aufgehört, weil es mich genervt hat.

Was solche Leute machen ist Projektion vermutlich. Es ist oft Projektion, wenn Leute so ausrasten. Sie malen sich ein Bild von jemandem und wenn der sich nicht so verhält wie das Bild, das sie sich so schön gemalt haben, dann bricht ihr stilllebiges Aquarell entzwei, worauf sie mit unkontrollierter Aggression reagieren, die so nur im Internet funktioniert, weil man dafür im wahren Leben aufs Maul bekäme. Oder in die Klapse einfährt. Oder beides.

Das Tulus Lotrek hat in der Zwischenzeit seit Frau Indicas Besuch einen Michelinstern gefangen, so dass Sie beim Menü jetzt dicke dreistellig sind, aber ich sage es gleich vorweg: Die Michelinpuristen, die gerne zu sanften Streichermelodien gediegen an weißbedeckten Tischchen bei einem Herrn Ober dinieren, werden an diesem Lokal keine Freude haben. Aus den Boxen dröhnt Hip Hop, wenn auch zu weiten Teilen einer, der mich schmerzt. Conscious Rap. NWA. Arrested Development. Und Public Enemys Fight the power. Das schmerzt mich deswegen, weil ich hier in einem Lokal sitze, in dem Sie für eine Person problemlos um die 300 Euro bezahlen können, wenn Sie den Vollwaschgang bestellen. Die kompletten acht Gänge. Plus Hauptspeisen-Add-On. Weinbegleitung. Schnäpse. Kaffee. Da tut mir die revolutionäre Musikauswahl analog meiner unterschichtigen Schulzeit dann doch einigermaßen weh. Das wirkt respektlos. Anwanzend. Vereinnahmend. Plakativ auch. Nicht ironisch, nein, schlicht unpassend. Ich meine das ernst. Es stört mich. Das ist wie ein Porschecayennefahrer mit dem Heckscheibenaufkleber „Ich bremse auch für Arme.“, die CDU, die auf der Bühne mit der tapsigen Merkel zu patschewinkenden Deutschlandfähnchen Punkhymnen der Toten Hosen abspielt, oder wie bündnisgrüne Spielplatzmütter, die für durchmischte Inklusionsschulen tröten, aber ihr eigenes Kind in einer der elitären internationalen Privatebusinesspremiumschools von Berlin-Mitte verklappen. Es passt nicht. Gehört nicht her. Ist falsch.

Aber das ist nicht alles, was die Puristen aus der Michelinschnöselszene nerven dürfte. Es sind die Kleinigkeiten, die es bei Tim Raue nie geben würde. Dass Sie sich das Besteck selber aus einem Behältnis fischen müssen anstatt dass Ihnen das jemand in der Menüreihenfolge von außen nach innen neben Ihrem Teller drapiert. Oder niemand die Krümel wegmacht. Kaum mal jemand kommt, um das Glas Wasser vollzumachen. Was mir vollkommen egal ist. Ich finde ständiges Scharwenzeln um meinen Tisch herum allgemein eher störend. Mir ist dauerserviles Bedientwerden immer noch grundsätzlich so unangenehm, dass ich die Kontakte diesbezüglich gerne auf das Notwendigste reduziert sehe, was in der Sternegastro aber fast nie klappt. Hier schon. Sie nerven mich beim Besuch nicht mehr als sie müssen. Essen bringen. Kurz was sagen. Wieder abtauchen. Für mich geht das eigentlich grundsätzlich klar.

Nein, das Tulus Lotrek passt mir aus zwei Gründen nicht:

Das Lokal ist mir im Gesamtauftritt für das Preissegment am weit oberen Anschlag zu hektisch. Zu laut. Zu chaotisch. Ich möchte gechillt werden, wenn ich schon mal so mondän essen gehe. Ich möchte runterkommen. Nicht gestresst werden. Nicht von Hektik angesteckt werden, die ich sonst selbst den ganzen Tag habe. Und ich möchte nicht genervter rausgehen als ich reingekommen bin.

Und das klappt hier nicht. Der Service ist zwar freundlich und auf jeden Fall kenntnisreich, aber erkennbar in Eile, rattert die immergleichen Phrasen, Sprüche und Pointen routiniert maschinengewehrsalvig von Tisch zu Tisch runter und sieht danach zu, dass er Land gewinnt, um einen Meter weiter am nächsten Tisch zu rattern. Zack hin. Ratatat. Zack weg. Wieder hin. Ratatat. Wieder weg. Ebenso der junge Sommelier. Toller Typ. Supernett. Viel Ahnung. Aber zu aufgeregt. Ein Maschinengewehrredner. Ratatatatat. Und weg. Ich wollte fragen, wo ich den herausragenden Wein kaufen kann – bei ihm vielleicht? – aber keine Chance. Sowieso: Sie können nicht entspannt interagieren, sie bekommen etwas vorgesetzt, werden schnell vollgerattert und das war’s. Niemand hat die Zeit, mir in Ruhe zu erklären, was sie sich mit ihren Kunstwerken gedacht haben. Ihrem Konzept. Der Idee. Ideen. Alles. Nichts. Feels like Fließband. Das macht mir den Abend unentspannt. Teils lieblos auch. Zu derb choreographiert. Unterbesetzt womöglich, deswegen der Stress. Im Ergebnis ein kulinarischer Schweinsgalopp, bei dem ich durchgeschüttelt werde. Die bollernde Mucke, der kleine Raum, der die lautstarken Gespräche der Nachbartische unangenehm potenziert, dazu das hastige kantinige Rumrennen von links nach rechts und wieder zurück und quer und rüber, was dazu führt, dass der Service nicht nur maschinengewehrrattert, sondern dazu noch laut sprechen muss, um verstanden zu werden. Das alles kostet Chillpunkte, komplett alle Chillpunkte ganz ehrlich. Für das Preisniveau ist mir das hier zu unchillig. Wenn ich Studentenkneipe will, gehe ich in eine Studentenkneipe, weil dann hab‘ ich Studentenkneipe. Für zwofuffzig das Pils. Zu den Erdnüssen aus dem Automaten.

Und was noch?

Sie duzen mich. Konsequent. Gnadenlos. Ohne zu fragen. Ohne zu wissen ob ich das möchte. Ob mir das recht ist. Oder es angebracht ist.

Was ist das nur mit diesem Duzen inzwischen? Nicht mehr nur beim Bäcker. Im Waschsalon. An der Currybude. Nein, auch hier. Für diese Preise. Mit Michelinstern. Und ich kann mir nicht erklären, wie es dazu kommen konnte, dass etwas derart Respektvolles wie das Siezen in der persönlichen Anrede tatsächlich flächendeckend ausstirbt, und zwar bis hoch in die – tock tock – Oberschicht. Überall inzwischen. Mein Stromanbieter duzt mich jetzt. Der Mietwagenverleiher. Jedes dumme Startup in der Bestellbestätigung für ein scheiß Porridge. Die Personalabteilung im Borgwürfel auch. Die Ficker. Ausgerechnet die. Duzen mich jetzt in ihren Rundbriefen („Denk daran, wasch dir gründlich die Hände!“).

Nur will ich von denen allen nicht geduzt werden, ich will nur geduzt werden, wenn ich vorher zugestimmt habe, dass mich jemand duzt. Oder es gar von selber anbot. Wenn ich denjenigen kennengelernt habe. Und mag. Vorher nicht. Weil wenn ich jemanden nicht mag, hält das Siezen diese Leute schön auf Abstand. Wo sie hingehören. Und bei Geschäftsbeziehungen wie Stromlieferung, Arbeitsplatz, Autokauf und ja, auch in einem Restaurant, das keine Pommesbude ist und mit dessen Inhaber ich nicht ins Bett gehe, bestehe ich noch viel mehr aufs Siezen. Geld gegen eine Mahlzeit, das jemand haben möchte, der mir diese Mahlzeit dafür gibt. Ergibt eine Geschäftsbeziehung. Und da bleibt man freundlich auf Distanz. Und kommt nicht auf zehn Zentimeter heran. Weil es nett ist, wenn man freundlich auf Distanz bleibt. Angenehm. Nennen Sie das gerne konservativ, altbacken, oppakowalkestyle, ganz hypermodern faschistoid oder klassistisch, mir egal, ich nenne es höflich, angemessen und respektvoll und ich mag das und ich werde das immer mögen. Isso. Machen sie aber hier nicht. Konsequent. Und sie ziehen das Duzen fast bis zum Ende durch, bis sie irgendwann doch merken, dass ich auch nach knapp zwei Stunden immer noch bockstur zurücksieze, wonach sie dann die Anrede schließlich komplett vermeiden, um nicht siezen zu müssen.

Phew.

Anstrengend.

Als Ersatz fürs fehlende Siezen werde ich verbalgegendert. Mit Klicklaut. Weinbauer – klick – innen. Köch – klick – innen. Prioritäten. Klar. Muss man haben. Sonst hat man keine.

Ja. Natürlich. Eigentlich ist es ein gutes Lokal. Ein sehr gutes sogar. Vom Grundsätzlichen her. Perfektes Essen, das besser nicht geht. Kochen können sie. Und wie. Alles. Kalbshirn. Erbskram. Taube. Muscheln. Hummerröllchen. Kaviar in Brühe mit Roter Bete. Meisterhafte Kochkunst. Ganz große Klasse. Handwerklich unfassbar gut. Aber dieser Spagat aus Kreuzberger Schlumpfigkeit, wanziger Kumpelei, lärmender Studentenkneipe auf der einen und weltgewandter Sternegreiferei mit höchsten Ambitionen auf der anderen Seite gelingt nicht. Liebes Tulus Lotrek. Entweder sind Sie Studikneipe oder Sie sind Guide Michelin. Wenn zweiteres, müssen Sie an Atmo und Auftritt arbeiten. Denn beides zusammen haut nicht hin.


Tulus Lotrek
Fichtestraße 24
10967 Berlin
https://tuluslotrek.de/

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