
Börks. Ich war wieder im Bioladen. Ich kann ihnen nirgendwo mehr ausweichen, diesen Gentrifizierungsmetastasen. Nicht einmal in Treptow. Treptow. Allen Ernstes. Sie erobern jetzt schon feindliches Gelände. Streuen in den alten Siffbezirk. Ich meine hey, Treptow. Das war immer schon Molle. Schnaps. Säuferleber. Formschnitzel. Erdnussflips zum Frühstück. Mit Nusspli. Trolli-Gummibärchen. Und dem ersten Bier. Zum Korn. Vor acht. Am Spree Imbiss vorm S-Bahnhof, an dem sich früh schon die Säufer sammeln, um ihre Lebern gemeinsam in Spiritus einzulegen.
Es gibt also auch hier einen Bioladen. Mitten im Säuferghetto. Nicht weit von den neuen ökologischen Baugemeinschaften der Kiefholzstraße mit neutraler Klimabilanz für Gutverdiener, die sie nun auch hier bauen, um nach der erfolgreichen Aufwertung der Kieze den durchschnittlichen Mietzins Richtung Mond schießen zu können. Vor den Fenchelkisten lugen die üblichen verhärmten Gesichter wie frisch aus Prenzlauer Berg importiert aus ihren Filzklamotten: Die Münder verkniffen, die Furchen tief, die grauen Zotteln wirr, der Teppich um die Schultern fleckig. Und die krummen nackten Hornhautfüße immer in zehenfreien Pantoffeln, während ihre spinnenartigen Hände die Cents abzählen.
Ich will nur einen Apfel und einen Schokoriegel und das muss ich hier kaufen, weil der nächste Lidl mit lecker per Öltanker aus Neuseeland importierten Braeburn-Äpfeln und den fetten Chemiekeulen in Schokoladenoptik weit weg ist.
Klein und verschrumpelt sehen die Äpfel hier aus. Warzen. Kleine verdächtige Löcher. Falten wie die spätgewordenen Mütter hier. Den Äpfeln fehlen definitiv ein paar Hormone. Oder Blutdoping. MRNA-Chemiedünger. Trotzdem. Ich brauch‘ jetzt Vitamine. Und die sind da bestimmt drin. Einer dieser Schrumpelknödeläpfel für veganvertrocknete Vetteln wird mich schon nicht umbringen. Und in dem Schokoriegel ist tatsächlich Schokolade. Echte. Keine mit Pintobohnen braungefärbte Sojamasse. Immerhin.
An der Kasse fragt mich ein Mondgesicht:
„Hast du eine Mitgliedskarte?“
„Sicher nicht.“
„5,96 €.“
„…“ (Fünfwas? Ist das ein Goldstaubriegel? Was ist da drin? Seltene Erden? Und warum kostet der winzige verhutzelte Scheißapfel aus Brandenburg fast so viel wie der Sechserpack Neuseelandäpfel bei Lidl? Kapier‘ ick nich. Bioläden. Ich verdiene einfach nicht genug dafür, um dauerhaft dort kaufen zu wollen. Oder ich versaufe zuviel. Oder beides.)
„Hallo? 5,96 €.“
„Ja, doch. Hier.“
„Willst du den Bon?“
„…“ (Du, Du, Du, scheißeverwanztes Duzen, was läuft hier schief? War ich mit dem Mondgesicht hinter der Kasse schon mal einen saufen? Lag ich rotzvoll in seinen speckigen Armen, habe ihm meine verhurte Lebensgeschichte erzählt und er mir seinen Werdegang, wie er frisch aus Leinfelden-Echterdingen nach Berlin-Treptow hier in den Bioladen kam? Nein? Warum duzt der mich dann? Hier ist kein Ikea und es gibt keine miesen Möbel, nur teure Nahrung. Ich will nicht geduzt werden. Deshalb versuche ich so zu schauen, als fräße ich morgens rohe Lämmer zum Frühstück. Und abends überfahrene Katzen. Und alle Kaninchen aller dummen Pausbäckchenfamilien des Bezirks. Aber erst, nachdem ich meinen homöopathischen Antennenhut mit den Bommeln links und rechts die Ohren runter aufgesetzt und mich mit Erdnussbutter und Ahornsirup eingerieben habe. Ugga Ugga. Der Psychopathenblick. Ich kann den gut. Mütter zerren ihre Kinder in Hauseingänge, wenn ich so stiere. Und Fahrradfahrer wechseln auf einen anderen Gehweg. Das Biomondgesicht grinst gequält, aber lässt nicht ab.)
„Hallo? Den Bon? Willst du den Bon?“
„…“ (Terrorduzen. Inzwischen überall. Telefonläden. In jedem Kack-Latte-Café. Jedem verfickten Klamottenladen. Sushibar. Bäcker. Bei Rewe an der Kasse. Im Sexshop beim Dildokauf. Du-hu (hu!), denk du bitte dran, dass du den nicht auf die höchste Stufe stellst, wenn er dir hinten bis zum Schaft drinsteckt, das könnte dir wehtun. 2021. Siezen ist tot. Gesunde Distanz ist out. Wanzige Nähe muss her. Bei den Biohanseln sowieso. Die sind ja alle Brüder. Oder Schwestern. Oder dazwischen. Oder was weiß ich. Dummes Duzen. Dämliches Kumpelgetue. Damit es nicht so weh tut, wenn wieder 20 Euro für eine Packung Knäckebrot und eine narbige Schrumpelzucchini mit schwarzen Hautkrebsflecken draufgehen.)
„Huhu? Geht es dir gut? Der Bon? Willst du…“
„Geben Sie her, wollen wir einen saufen gehen? Gleich da hinten in einer dieser letzten Ostkneipen, an deren Theke die Wendeverlierer jetzt wohl seit inzwischen 31 Jahren ihr Schicksal in den Treptower Himmel rülpsen und ihr Elend Abend für Abend in Korn ersäufen, bis endlich die Stütze verballert ist? Geh’n wir? Böcke? Jetzt? Irgendwann um Mitternacht, kurz nachdem ich auf dem Damenklo in das Waschbecken gekotzt und in den Papiermülleimer gepisst habe, biete ich Ihnen vielleicht sogar das Du an, aber nur wenn ich Sie direkt nach dem Kotzen knutschen darf. Mit Zunge. Böcke? Na? Na?“
Als der Einsatzwagen vorfuhr, saß ich schon wieder in der Ringbahn.