
Der Borgwürfel, der begnadetste aller gesegneten Arbeitgeber, macht in neuester Zeit einen auf Social Skills. Das muss er auch, denn wir haben ein Fachkräfteproblem. Und dazu eine Idiotenschwemme. Und weil den Job, den wir machen, keiner von Verstand dauerhaft machen will, unterfüttern wir den kranken Mist, den wir verkaufen, mit Gimmicks. Ein eigener Masseur, dessen Kalender immer ausgebucht ist, ein kleines Gym, das immer voll ist, Plauderecken mit Sofas, in denen nie einer sitzt (weil die, die dort sitzen, immer die ersten Flugvögel der immer kommenden Freistellungsrunden sein werden), fünfzehntausend arbeitszeitige Selbstverwirklichungsmodelle und jetzt auch verficktes Bioessen in der Cafeteria (Currywurst hatten wir noch nie, dafür Mettbrötchen, aber sicher auch nicht mehr lange). Ganz neu kommen jetzt auch wir inzwischen mit bräsigen Diversitywashingkampagnen an den Start, als würde das nicht schon die ganze Welt professioneller machen als wir.
Wir bieten seit Corona jetzt auch anlass- und nahtlos Homeoffice an. Natürlich nur nicht für den Vertrieb. Weil da der Output gemessen wird. Die Kennzahlen. Zielmarken. Harte Fakten. Robotten. Liefern. Reisen. Akquise. Verträge machen. Kucken was hinten rauskommt. Hier wird das Geld verdient, das anderswo verballert wird. Homeoffice gibt es da nur, wenn die Regierung gerade eine Pandemie ausruft und die Luken dicht macht. Sonst würde ja auch ein Callcenter in Bangladesh dafür reichen, anstelle von mir mit dem Telefonknüppel unter der Schulter geklemmt aus meiner Küche.

Dauerhaftes Homeoffice macht bei uns nur der Wasserkopf. Die Personaler. Buchhaltung. Einkäufer. Die Juristenblase. Also alle, deren Arbeitstag daraus besteht, anderen zu erklären, warum wieder irgendwas aus irgendwelchen Gründen nicht geht.
Eine Weisheit, die ich in den letzten Jahren gewonnen habe, lautet: Je mehr welche von denen aus dem Homeoffice heraus an einem Meeting teilnehmen, desto länger dauert es. Weil diese Leute die Zeit dazu haben. Inzwischen sind zwei Stunden, auch drei bis – ein Irrenhaus – vier Stunden möglich, in denen Sie als Sinnloskommunikationshasser alle möglichen Tode dieser Welt (am Wortblei ersticken, verbluten vom Ritzen, sich mit einem Hammer so lange auf den Schädel hauen bis das Hirn platzt) sterben können.
Wahrscheinlich liegt es daran, dass die Gestalten aus dem Homeoffice nicht nur zu viel Tagesfreizeit haben, sondern sich so selten sehen und dieses Nichtsehen wortreich kompensieren müssen, so dass diese eh schon sinnlosen Meetings schnell zerfransen, abgleiten, in eine Kaffeetantenrunde voller Plauderbacken mutieren, was im Anschluss auf die armen Irren zurückfällt, die deshalb heute wieder bis weit in den Abend hinein das Liegengebliebene im Büro abarbeiten müssen. Aber so weit denken sie nicht. Die da aus ihrer Küche funken. Sie wollen nur palavern. Alle wollen immer nur palavern. Das war früher schon oft so. Bei uns ist Palavern kein sozialer Kitt, bei uns ist Palavern sozialer Krebs.

Den Output dieser Leute, vor allem der fürchterlichen Juristen und der überdrehten BWLer, die Personaler geworden sind, kann sowieso keiner vernünftig messen, deswegen weiß auch keiner, was die eigentlich den ganzen Tag außer Meetings so machen. Und wozu dieser Wasserkopf überhaupt gut ist. Dumm nur, dass der Wasserkopf auf den Ressourcen sitzt. Deswegen werden die auch immer mehr. Weil die fast nur noch ihre Artgenossen einstellen, die sich dann gegenseitig verwalten und noch mehr von ihnen einstellen. Wir sind quasi das lebende Parkinsonsche Gesetz.
Aber hey, dass der Wasserkopf prinzipiell sehr gut ist, steht überall. Weil der Wasserkopf die Frauenquote in den Leitungsfunktionen nach oben drückt, weil dort – tut mir ja auch leid, aber es ist so – besonders viele Frauen arbeiten, was alle Dinge automatisch gut macht, wenn man den frisierten Berichten glauben mag, in denen auch wir uns jetzt opportunistisch wokegewaschen an eine uninteressierte Öffentlichkeit wenden, womit sie die Twitterhaltungshashtagwarriors und deren angeschlossene Journalistenblase erreichen wollen, die unsere Produkte sowieso nicht kaufen, weil sie uns hassen. Ein klassicher Zielgruppenfail also, den die Honks von der Öffentlichkeitsarbeit da hinlegen, aber wer bin ich schon, dass ich weiß, was richtig und was falsch ist. Ich schlage mir nur die Abende um die Ohren. Die Wochenenden gerne auch. Auswärts. Heilbronn. Würzburg. Dortmund. Celle. Gießen. Heidelberg. Weimar. Bremen. Schwerin. Sogar Stuttgart (schüttel). Ich kenne alle deutschen Kleinstädte über 20.000 Einwohner und fast alle davon sind schlimm.

Manchmal (aber nur manchmal) kommen die Homeofficejuristen aber auch in den Glaskasten. Runter. Zu uns. Von der begrünten Dachterrasse über Friedrichshain-Kreuzberg kommen sie zum Bodensatz über die Spree geschwebt, um ein wenig Manna zu verteilen. Alle paar Wochen mal. Und dann sitzen sie mir in der Cafeteria gegenüber und jammern. Wie schwer das Leben ist. Diese Belastung. Alles furchtbar. Immer. Und ich sitze da und staune Holzklötze, denn offenbar ist es so, dass je mehr man ihnen hinstellt an Technik, Mobiliar, Gadgets, Selbstverwirklichungszeit und Kram, je absurder die Teilzeitmodelle werden, je mehr Aufgaben von ihnen doch wieder auf andere umgeschichtet werden, weil sie sie wieder nicht schaffen, desto schlimmer wird die Lage dort zuhause. Nie bessert sich etwas, egal wie viel sie bekommen. Alles bleibt maximal schlimm. Und hart. Unzumutbar eigentlich. Ein Paradoxon. Den Leuten im Homeoffice muss es furchtbar gehen, was man so hört. Menschenunwürdig. Unterirdisch. Ich mag gar nicht mehr hinhören, weil ich mich sonst vor Mitleid verbrenne.
Aber auch wenn keiner weiß, was die da oben eigentlich machen, müssen Juristen in so einem Wasserkopf immer besser als die meisten anderen bezahlt werden, das ist doch klar, auch wenn wir traditionell nur diejenigen Juristen festangestellt abgreifen, die zu wenig Mumm für eine eigene Kanzlei hatten, es nicht in eine existierende Kanzlei geschafft haben und die offenbar nicht mal der öffentliche Dienst einstellen wollte, was Gegenstand der Cafeteriawitze derer ist, die ihren Arsch jetzt wieder jeden Tag in den Glaskasten schleppen, damit die Zahlen bald wieder stimmen.

Aber kein Neid. Wirklich nicht. Ich bin sogar gerne wieder im Büro, statt den ganzen Mist von zuhause aus der Küche, Wohnzimmer oder dem Scheißhaus zu veranstalten. Kann ich nicht ab. Was ich weiß. Weil es es hinter mir habe. Dieses lange Jahr im teilweisen coronalen Homeoffice war in der Nachschau nicht hilfreich für jemanden wie mich. Weil ich sowieso schon die Veranlagung zum siffigen Verschlumpfen habe und nur geregelte Abläufe mich am Laufen halten, brachte mich das Unstrukturierte, das konturlose Vermischen von Privat und Beruf aus allen möglichen Gleichgewichten. Kein System mehr. Keine Regelmässigkeit. Keine Verbindlichkeit. Und dann immer diese borgwürfeligen Anrufe abends um halb neun, wenn ich schon die Weinflasche proaktiv atmen lasse:
(ring)
„Heyyy! Mark! Naaaaaaaa? Du-huuu. Ich hab‘ dir mal die Präsentation für morgen geschickt. Kannst du nochmal kurz nochmal rüberschauen?“
Oder am Wochenende, wenn ich kiffend im Volkspark Rehberge sitze:
(ring)
„Heyyyyyy! Mark! Naaaaaaaaaaaaa? Du-huuuuuu. Ich weiß es ist Wochenende, aber mir ist da in dem Flyer aufgefallen, dass…“

Dauernd verfügbar. Immer online. Immer schickt wer was. Abends. Frühmorgens. Am Sonntag. Und immer ist alles so eilig, dass es abends um halb neun, morgens um halb sieben oder sehr gerne am Wochenende gemacht, besprochen, eingesackt und eingetütet werden muss.
Das ist von Corona geblieben. Das machen sie jetzt so. Auch wenn ich aus dem Büro gerade nach Hause gekommen bin. Oder einfach so zuhause bin. Weil es geht. Denn sie haben meine Nummer. Und mir ein Gerät zum Aufklappen und Weiterarbeiten hingestellt.
Alles das gab’s vor Corona nicht. Hätten die früher nicht gemacht. Fand nicht statt. Spontanes einfach so Durchklingeln auf dem Privatanschluss zu unfreundlichen Zeiten war verpönt. Notfällen vorbehalten. Wäre ein Affront gewesen. Jetzt nicht mehr. Jetzt geht alles. Ich stelle fest: Sie haben die Grenzen zu meinem Wohnzimmer, meiner Küche, sogar zu meinem Badezimmer eingerissen und die baut auch keiner mehr auf. Das dammgebrochene Dauerverfügbarmachen ist zwar noch nicht vollständig normal, aber keine Ausnahme mehr. Und ich funktioniere so nicht. Ich will den Borgwürfel nicht in meiner Küche haben. Den Honks nicht abends auf meinem Sofa zuhören müssen. Ich will Sonntags keine Aufträge von ihnen annehmen. Kein Wort mit ihnen wechseln. Weil das der Borgwürfel ist. Der kann mich gerne anrufen und nerven, wenn ich in seinen eigens dafür gebauten Büroräumen sitze, aber sonst nicht. Das war nicht der Deal. Ich will das nicht. Aber trotzdem wird es jetzt so gemacht.
Und deswegen hasse ich Homeoffice. Weil sie die Gelegenheit genutzt haben und jetzt gar kein Limit mehr kennen. Keine Grenze mehr sehen. Einen Anlass haben, in den Privatbereich zu greifen. Sie Floh haben ja jetzt dauerhaft einen Rechner zuhause, den Sie geschenkt bekommen haben. Können ja mal dankbar sein. Können ja auch mal bitte schnell reinschauen. Geht ja schnell. Mark. Heyyyyy. Naaaaaaaaa-aaaaaa? Du-huuu-hu-hu. Ich weiß es ist spät. Aber schau mal kurz rein. Ich hab‘ da was geschickt. Kannste mal schnell reinschauen. Reinschauen. Schnell. Mal. Kannste mal. Kannste? Kannste?
(ring)
Ich will, dass das wieder verschwindet. Ich will die Klappkiste wieder abgeben, die sie mir aufgenötigt haben und nicht mehr wiederhaben wollen. Ich will die Privatnummer löschen lassen, deren Grundgebühr sie übernommen haben. Ich will wieder die Grenze ziehen. Aufstehen. Arbeiten. Heimgehen. Ende. Keiner, der abends spontan anruft. Oder am Wochenende mal kurz. Oder bald auch schon nachts. Wer weiß schon wo das endet. Hinführt. Klick. Klack. Wecker. Ein Uhr. Ich ziehe mir die Decke bis zur Nase. Draußen rauschen die Stadtbäume. Der Späti unten hat gerade zugemacht. Ein Hund bellt.
(ring)
Häh? Was?
„Heyyyyyyyyyyyyyy! Mark! Naaaaaaaaaaaaaa?….“