Herzlichen Glückwunsch, es ist ein Troll

Kürzlich saß ich auf dem Keramikthron beim Kacken und überlegte, über welche Bevölkerungsgruppe ich mich schon länger nicht mehr unangemessen unflätig geäußert habe. Da traf es sich ganz gut, dass ganz oben auf dem Wäschehaufen, der es noch nicht in die Maschine geschafft hat, eines meiner Laufshirts gammelte:

Walker.

Und das hier ist mein Troll-Laufshirt dazu. Ich habe es vor vielen Jahren für einen Dumpingpreis bei Achim Achilles gekauft, als das Laufportal noch rotzig, unkorrekt, jungwild und nicht alt, glatt, superkorrekt und lahm war.

Und das Ding geht ums Verrecken nicht kaputt.

Dabei ist selbst mir die Provo inzwischen zu platt.

Aber grundsätzlich passt es schon, Walker zu trollen. Denn es ist als dankbarer Zeitvertreib nicht nur einfach, sondern auf jeden Fall gerechtfertigt. Wenn ich hoch zum Weißen See laufe, um dort ein paar Runden zu drehen, sehe ich sie schon von der Berliner Allee aus durch die Bäume leuchten: Verpackt in teures Plastik, neofarben, unbedingt neonfarben, sowieso quietschbunt, quietschbunte Laufschuhe, quietschbunte Hosen, quietschbunte Walkingstöcke, quietschbunte Stirnbänder … wait, what? Stirnbänder, kein Witz, die 80er sind zurück, fehlen nur noch Schweißbänder am Armgelenk. Aerobicstutzen. Und die mumifizierte Jane Fonda mit Gehhilfe. 

Die Krönung an diesen absurden Gestalten sind die Pulsmesser mit GPS-Trackern und ihre Gürtel, an denen gerne was zum Fressen, ein Powerriegel, eine Energygeltube und irgendein – natürlich quietschbuntes – Isogetränk hängt. Oder vermutlich sogar ein kapitaler Proteinshake. Es ist somit nicht nur ein optisches Desaster, es ist ein menschliches. Das Trinken von Wasser (!) sähe ich vielleicht noch ein (obwohl, nein, nicht bei den lausigen Distanzen und der noch lausigeren Geschwindigkeit), aber wozu muss jemand beim Walken unbedingt fressen? Der Umsatz an verbrauchter Energie ist bei diesem Spaziergang, zu dem sie ihre nutzlosen Stöcke hinter sich herziehen, so gering, dass ihre Kohlenhydratspeicher nie leergehen können, auch wenn sie statt der halben ganze acht Stunden um den See walken würden. 

Und dann diese Raumfahrttechnik. Was wollen sie aufzeichnen? Die Geschwindigkeit etwa? Wahrscheinlich postet der GPS-Tracker die Daten via App gleich zu Twitter oder Facebook: Hallo Welt, hier spricht dein Nabel. Melissa Kowalke aus der Buschallee. Location: Weißer See. 1,03 km/h. 2 Runden, 1,63 km. Verbrannte Kalorien: 17. Die arme Timeline der bedauernswerten Follower. Spam as spam can. Wer liest den Scheiß?

Ja.

Richtig.

Niemand.

Niemand liest den Scheiß. Sie klicken nur reflexhaft Likes, weil das so sehr Teil des routinierten Rituals im Social Media-Krebs geworden ist. Jemand macht irgendwas, egal was: Like. Und zwar blind. Häh. Was das jetzt genau war? Keine Ahnung, Hauptsache klicken. Ausdruckstanz. Ein gebackener Cupcake. Highscore auf der Playse. Ein angezündeter Furz. Blöd glotzender Säugling. Mallotzeurlaubsfoto. Ein Schlüpper. Käsefuß. Like Like Like. Klickelifick. Kickeliweg. Ein Elend. Man könnte vermutlich ein Foto einer schwarzen Wand, der verdeckten Laufsocken oder von der eigenen pickligen Poperze posten und es würde trotzdem immer welche geben, die dafür ein Like klicken.

Technik? Zum Sport? Habe ich kaum. Ich lasse maximal Musik an meinen Körper und das auch nur, weil ich das Zwitschern der Vögel nicht ertrage (ich hasse Vögel). Sonst braucht es zum Laufsport nicht viel: Ein paar vernünftige Schuhe nebst Laufsocken (nie wieder brennende Blasen auf der Fußsohle), ein vernünftiges Funktionsshirt, Pflaster für die Nippel (bitte nie wieder blutige Brustwarzen) und vernünftige Laufunterwäsche (nie wieder brennener Wolf und zu Knoten gezwirbelte Männerbeinhaare zwischen den Schenkeln). Mehr muss nicht, deshalb ist es wie es ist: Diese optische, technische und nicht zuletzt egozentrische Aufrüstung der Walker am Weißen See, die in keinem Verhältnis zum sportlichen Output steht, schreit nach Trollen. Wenn auch nur, weil das Anti-Walker-Shirt auch nach zehn Jahren weder kaputt gehen noch einlaufen mag.

Um mal grundsätzlich zu werden. Es gibt 1.000 Gründe fürs Laufen, doch nur zwei fürs Walken:

  • Sie bereiten sich auf die ernsthafte Sportaufnahme (Laufen) vor, die für den nassen Sack, den Sie Körper nennen, noch zu hart ist. Verstehe ich. Die ersten 300 Meter leichtes Jogging in so einem Leben sind die härtesten, danach wird’s besser, langsam, aber doch. Ich weiß das. Bei mir war’s nicht anders. Ich habe ein halbes Jahr gebraucht, um meinen nassen Sack auf fünf Kilometer zu bekommen. Dauert halt.
  • Sie haben gesundheitliche Gründe fürs Walken. Was okay ist, selbstverständlich. Knie. Hüfte. Wirbelsäule. Penisbruch. Verträgt sich nicht gut mit dem Aufschlag auf Berlins durchlöchertem Asphalt. Sehe ich ein. Ist ein Grund. Eigentlich der Grund.

Beide Gründe für so einen tendenziell peinlichen „Sport“ wie Walken entbindet Sie jedoch nicht von der Pflicht, sich für Ihre Umwelt halbwegs augenschonend zu kleiden. Keine Neonpelle. Für Sie wie für mich reicht doch ein Jogginganzug. Blau. Schwarz wegen mir. Weiße Streifen. Und gut. Niemand muss Bulle sein neongrell leuchten.

Darüber hinaus sparen Sie sich bitte das Geld für die ganze Technik. Niemand auf der dummen Eierkugel von Welt interessiert sich für Ihre Distanzen. Für meine auch nicht. Deswegen zeichne ich sie auch nicht auf und poste sie schon gar nicht. Und Sie sollten es auch nicht. Ich finde das Aufzeichnen und öffentliche Posten von Leistungen (die im Falle der Walker nicht einmal welche sind) sowieso eitel. Es ist überflüssig. Laufen Sie für sich, nicht für andere. Intrinsische Motivation ist die nachhaltigste.

Und noch eins, wenn Sie aus einem der beiden Gründe da oben unbedingt walken müssen: Lassen Sie verdammt nochmal das Fressen sein. Niemand muss während des Sports fressen, es sei denn er macht einen Marathon und da ergibt Fressen bei guter Vorbereitung auch erst ab Kilometer 30 bis 38 Sinn. Bei Walkern wirkt es lächerlich. Erstens schaffen Sie walkend keine 40 Kilometer, zweitens verbrennen Sie auch dann kaum das, was es nötig macht, schon wieder zu fressen. Sie sind nur froh um den vorgeschobenen Grund für den leckeren Karamel-Powerriegel mit den crunchy Knuspercerealien drin, den es bei Rossmann runtergesetzt im Grabbelkorb an der Kasse gab, mehr ist das doch nicht. Zwei Runden um den See. 1,8 Kilometer. Huhu. Geile Leistung. Und jetzt schnell einen Riegel. Nom Nom. Hab‘ ja Sport gemacht. Für die Kalorienbilanz oder was immer Ihnen als Motivation für Ihr Tun vorschwebt, ist es hanebüchener Quatsch.

Puh.

Dieses raumgreifende Statement passt natürlich nicht auf ein Shirt. Ist zu lang. Liest auch keiner. Bleibt mir also nur die billige Provo mit einem alten Laufshirt, das aus politisch superkorrekten Gründen lange schon nicht mehr vertrieben wird und mit dem ich wie ein herkömmlicher Internettroll auf einem dieser wenigen letzten Blogs mit offener Kommentarfunktion einen Reigen körperlicher Reaktionen bei denen fabriziere, die mir auf den Runden um den Weißen See watschelnd und rot-gelbe 200 Euro-Stöcke hinter sich her ziehend entgegen kommen. Grimmige Gesichter. Runtergezogene Augenbrauen. Merkelmundwinkel. Einer zeigt mir den Vogel. Purer Missmut. Ablehnung. Hasskappe. Gotcha. Herzlichen Glückwunsch, heute ein Troll. Und mit jedem Recht. Denn das da ist ja nun wirklich kein Sport.