
Die Wohnungsknappheit in der Hauptstadt treibt noch mehr dornige Blüten als eh schon. Die Nachfrageseite poliert sich auf. Ein großes Ausstechen. Die Zettel an den Laternenmasten lesen sich inzwischen immer mehr wie übermotivierte Bewerbungsschreiben. Da listen Familien ihre aufgemotzte Vita auf, pappen Bilder der pausbäckigen Kinder mit dran, aalglatte designerbebrillte Philipps durchziehen ihren aalglatten superkorrekten Text mit superkorrekten Gendersternchen, weil hier ja immerhin Berlin ist, superfreshe Typen stellen ausufernd ihre charakterlichen Vorteile in Spiegelstrichen hervor oder walzen aufdringlich den superseriösen beruflichen Hintergrund aus, als ob jeder Vermieter von freien Wohnungen (die es nicht mehr gibt), aus schierer Langeweile gerne Laternenmastzettel liest und begeistert superinteressiert durchruft.
(was nie jemand tut, warum auch, wir haben hier in der Stadt der Wohnungsknappheit gerne mal eine hohe dreistellige Anzahl an Interessenten für jede freie Wohnung, was juckt den Vermieter, wer so ein Zettelaufhänger ist, wo er herkommt, was er macht und was er will. Die Butze wird er in jedem Fall los. An den, der am meisten zahlen kann. Angebot. Nachfrage. Das alte Leid.)
Immer höher werden auch die Belohnungen, die ausgelobt werden. Wir sind oft in den Tausendern inzwischen. Familien, Selbstständige, alle möglichen Leute schreiben da immer seltener Hunderter für eine erfolgreiche Vermittlung aus, sondern gerne mal 1.000. 1.500. 3.000 einmal gesehen. Könnten Verwegene sicher auf 4.000 hochhandeln. 5.000. Oder mehr möglicherweise, keine Ahnung. Gewitzte Verhandler wittern solch Gelegenheiten, erkennen die Lage auf Anhieb: Da ist was. Und da geht was. Press Press. Kessel. Blase. Brodel. Boom. Not schafft günstigen Augenblick schafft Kontoplus. Keine Ahnung, wie hoch das noch gehen soll. Wenn die Leute immer dauernd auf London verweisen und krähen, dass Berlin im internationalen Vergleich immer noch deutlich zu billig sei, dann sind wir wohl noch nicht am Limit aller Dinge. Glücklich geboren der, der zum Studieren solvente Eltern hat. Oder generell gut geerbt hat. Sonst wird’s schwer. Schwerer als eh schon.
Der Nutzen dieser vielen so angestrengt optimierten Laternenmastenzettel ist fraglich. Denn das Mieten hier im Kiez können Sie streng genommen vergessen. Miete ist ein Auslaufmodell. Zumindest in den Innenstadtlagen. Hier warten die Immobiliengeier darauf, dass die letzten paar Mieter aus sozial wärmeren Zeiten endlich abkratzen, um das Objekt fix kernsaniert als Eigentum an junge Wonneproppenfamilien mit Salzteigschild aus der grünen (wenn auch schon lange nicht mehr alternativen) Oberschicht, an irgendwelche geldwaschenden Oligarchen oder einfach nur an Leute, die ihrer Tochter ein eigenes Spielzeug schenken wollen, verkaufen zu können.

Der Duktus der Annoncen an den Straßenlaternen ist so sehr anders geworden als auf den studentischen Fresszetteln von früher. Hier schreiben jetzt keine Gammelstudentenhonks für die Abstellkammer mehr, sondern Geschliffene. Ausgebildete. Topgestylt das Layout. Die Grafiken gekonnt platziert. Die Schriftart seriös. Ausreichend Absätze ins Anschreiben eingestreut. Sowieso ganze Sätze. Grammatikalisch hochwertig. Kein kumpeliger Slang mehr. Manchmal gar gut ausgeleuchtete Portraitfotos. Oder von den Kindern gemalte Kinderbilder. Oft breitgetretener krisensicherer Job. Fast immer ausgelobtes Geld. Letzteres in dreifach größer gedruckt. Und bold. Belohnung. Hallo Belohnung. Es gibt Belohnung.
Warum sie jetzt gerne so oft gleich im Eingangssatz den einträglichen Beruf so plakativ reinschreiben? Na kommen Sie, ist doch klar, das machen sie, damit jeder gleich weiß, dass da keiner von diesen (hier eh schon lange vertriebenen) Hartz IV-Typen laterneninseriert und auch kein ausgebeuteter Homestudypraktikant im 150sten Semester Soziologie, coronapleitegegangener Startup-Glücksritter, prekär gerockter Baristaspanier mit behördlich zugemachter Baristaspanierbar oder irgendein immer haarscharf an der Insolvenzkante surfender Gebrauchtelektronikbengel aus Wedding, der irgendwann die biokiezigen Mondmieten nicht mehr zahlen können wird, nein, sie rechnen sich aus, dass potenzielle Vermieter (die diese Zettel sowieso nicht lesen) lieber jemanden nehmen, der festangestellt ist, nicht den Kettenzeitvertragsschmock, hofkehrenden Minijobber oder selbstständigen Unsicherheitsfaktor auf zwei Beinen, sondern am besten jemanden aus einem großen Konzern, der Berliner Verwaltung, dem öffentlichen Rundfunk, quasi unkündbar auf ewig, durchversorgt im Bestandsschutz, mit bombensicher auf den Tag genau ausgezahltem Monatssalär, was punktgenau abgedrückte Miete bedeutet.
Deshalb schreiben die das da jetzt rein. Nur deshalb. Damit jeder im ersten Satz gleich weiß, dass sie solvent sind.

Ob’s was bringt … fürchte nicht. Es ist nicht die Zeit für Wohnungswechsel. Oder um neu in die Stadt zu ziehen. Sich zu vergrößern. Oder zu verkleinern. Eingefroren der Markt. Wer hat, der bleibt. Krallt sich fest. Wartet auf bessere Zeiten. Oder auf den Umzug woanders hin. Uckermark vielleicht. Oderbruch. Senftenberg. Die Steppe von Sachsen-Anhalt.
Ich wäre wohl auch schon lange fortgezogen aus dem pastellfarbenen Ökopuff voller Schnösel, zu dem mein Block mutiert ist, wären die Dinge nicht wie sie sind. Würde man sich mit einem Neuvertrag in dieser Stadt des ausgetrockneten Wohnungsangebots nicht massiv verteuern. Aber vielleicht mach‘ ick doch mal ’nen Zettel. Flute Prenzlauer Berg damit. Ganz oldschool zur Abwechslung. Kodderig. Wie früher. Hallo hallo, Leute vom Teute, Zimmermann mein Name, der superseriöse Mann von Welt (wissen die ja nicht), ick brauch och ’ne neue Buchte, die alte is‘ zu räudig. Ick robotte innem siechen Eierkopf von Borgwürfel, der oft pünktlich zahlt, deswegen bin ick ja auch megaaaakreditwürdig und die Miete kommt bestimmt auch oft. Meistens. Manchmal. La la la. Also gimme plz, mit Balkon. Aber zeitnah, weil ick hier im Kuschelkekskiez bleiben will. Ohne Salzteigschild. Plz. Glg. BFF. Call me. Bussi.