Der schöne neue Wagen ist kaputt

So geht es also wieder los. Mit der ersten überflüssigen Geschäftsreise. Was gut ist. Und an der Zeit ist. Das vergeudete Jahr im überdrehenden Leerlauf mit zu wenigen Ventilen und zu vielem Missbrauch von zu vielen auf Dauer ernsthaft ungesunden Dingen hat mir Furchen gegraben. Ich bin aus dem Gleichgewicht gekommen. Fühle mich, als hätte ich mich als verknotete Innereien (Blut!) selbst ausgekotzt. In nie endenden Schüben. Kaum eine Woche mal gesund gewesen. Zu überdreht. Zu übergelebt. Zu extrem hochgefahren in dem Versuch, die wie ein Bleisarg auf mir liegende Zwangsjacke abzuschütteln, die nicht abzuschütteln war. Ein Antiheld (Anti Anti!), der im Versuch, Leute zu vergraulen immer noch mehr von ihnen anlockt. Im Unvermögen, das tägliche feindliche Übergreifen von allen Seiten auszublenden. Den Hohn. Das kalte Grinsen. Und der trotzdem es nicht schafft, endlich abzustumpfen und zu vernarben, sondern immer noch mehr von allem spüren muss als sowieso schon. Höhen (azurne Euphorie). Tiefen (blauschwarzer Hass). Wenn die alle wüssten. Wenn die denn bloß wüssten. Was sie alle nicht wissen. Zum Glück wissen sie so viel nicht.

Am nächsten Morgen der Blick in den Autorückspiegel, vor dem ich selbst Angst bekomme. Würgereizatemraubend der Geschmack nach dem Eisen eines Abstellgleises. Die Lunge schmerzt. Der schwarze Kaffee am Morgen wie Galle. Zu wenig essen. Das liebevoll Gekochte in die Schüssel speien, beobachtet von feixenden Fremden, die die Paranoia geboren hat. Zuckerfreie Energydrinks, die wie Säure brennen, gegen den brackigen Nachgeschmack ins Maul hinterher geschüttet, in der Hoffnung, das Fabrizierte vergessen zu machen. Die zerbrochenen Vasen. Den verödeten Acker. Die vollgereiherte Schüssel. Zu verätzen. Auszulöschen. Wegzubrennen. Nur um am Ende doch nur Krämpfe im Bauch davon zu bekommen. Im Hirn dahingärend die Gewißheit von treibenden Fängern auf der Jagd, die Wetten abschließen, dass ich es dieses Mal nicht schaffen werde (Paranoia, deine). Immer zu wenig schlafen. Sich (mich) zerschneiden, zermürben, zerreißen, als Autoimmunreaktion. Hallo Raubbaumann, hier spricht dein Körper. Alles kommt zurück irgendwann. Alles. Irgendwann. Immer. Härter der Zustand (und damit gefährlicher) als letztes Mal. Wo rennst du nur hin, Junge? Wohin nur? Weißt du nicht mehr wie schief das alles gehen kann? Musst stärker werden (Junge!). Stärker werden. Ich muss stärker werden. Stabil. Stabiler. Nicht so instabil. Struktur ist für jemanden wie mich lebensnotwendig. Habe ich keine und finde keine Mittel, eine tragfähige zu schaffen, drehe ich frei. Auf Dauer endet die Abwesenheit eines geregelten Ablaufs aller Dinge für mich im Absturz, umso richtiger fühlt es sich an, wieder zurück zu dem zu kommen, was ich kann. Genau jetzt die Dinge zu sortieren. Das Gerüst wieder aufzubauen. Orientierung zu schaffen. Die Fassadenfarbe wieder an die Wände zu malen. Rouge aufzutragen. Mich wieder regelmäßig zu rasieren. Das Lächeln zu üben. Aufzustehen. Den Rock abzuklopfen. Klassisches Detoxing zu planen. Das auch durchzuziehen (bitte!). Endlich weglassen, was in der so einfach verfügbaren Menge (es ist so einfach) nie gut ist und in dem Ausmaß selbst mir zu hart war. Zuletzt weitermachen (weiter, weiter) wie früher, weil ich gar nichts anderes kann als das was ich immer gemacht habe. Das klingt krank (alles klingt krank) und das muss mir keiner sagen, der nicht selber weiß wie das ist.

Der Ort, der mich bezahlt, hat wenig dazugelernt im Jahr des Einschlusses. Videokonferenzen. Webex. Jitsi. Zoom. Teams. Alles zwar da, aber sie wollen trotzdem so eine Reise haben. Solche Reisen. Die Reisen. Damit jemand reist. Physisch da vorne steht und labert. Und die Leute den live sehen können, anfassen können, statt ihn auf dem Bildschirm zu beglotzen und am Ende klatschende Patschehändchenbuttons als wohlfeile Simulation von Anerkennung in der Patschehändchenleiste von Vitero zu klicken. Webex. Jitsi. Zoom. Teams. Krethi und Plethi. Klatschende Patschehändchen neben kleinen unscharfen Profilbildchen. Unscharfen Schnappschüssen. Oder neben ausgeschalteten Kameras, die nur bedeuten, dass sich jemand eine Stulle schmiert. Die Post macht. Oder onaniert. Feedback bitte hallo. Daumen hoch. Ein Grinsesmiley. Sonnenbrille. Oder irgendwas anderes Infantiles, mit dem Produktentwickler quälende Digitalmeetings mit quälenden Buttons freundlicher statt real existierend eklig simulieren wollen.

Ich soll bitte nicht den Zug nehmen, sagt der Buchhalter. Immer noch wegen Corona. Damit ich das Killervirus nicht doch noch bekomme und wegen Intubierung, Tod oder zumindest Quarantäne wochenlang (oder auf ewig) nicht mehr nutzbringend für den alten stinkenden Puff sein kann. Und einen neuen Mercedes hat er gesagt. Soll ich nehmen. Einen schönen neuen Mercedes. Nehmen Sie einen von den schönen neuen Mercedessen. Hat er gesagt. Die sind so schön. So neu. So kaum gefahren. Weil kaum einer gefahren ist. So jungfräuliche 5.000 Kilometer auf der Nadel. So schön. So schwarz. So metallic. Und müssen dringend bewegt werden. Sonst rechnen die sich nicht.

Und jetzt hat er Schrammen. Ich habe ihn kaputt gemacht.

Den schönen neuen Mercedes.

Vorne links. Die Ecke. Abgeschmirgelt.

Hinten rechts auch. Und die Seite. Von der Beifahrertür bis zum hinteren Kotflügel. Moderne Kunst. Drei ungleichmäßige Lackschadenkratzer übereinander von knapp anderthalb Metern Länge. Breit. Tief. Eine Schande.

Und ich war das. Ich.

Ich habe den Mercedes kaputt gemacht.

Das nur, weil ich so blöd war, zu glauben, dass die Hotelgarage mit dem Mercedes kein Problem sei, hier in diesem Schnöselbusinesshotel, das so billig schnöselbusinesshotellig ist, dass es keine echte Tiefgarage hat, sondern nur einen winzigen Aufzug, der in eine absurd winzige Tiefgarage führt, in der maximal ein Fiat mackenfrei navigieren kann, aber nicht der Dampfer, mit dem der Borgwürfel mich auf ein Neues in eine dieser sinnlosen Luftbläserveranstaltungen voller komischer Menschen geschickt hat, damit ich kund tue, wie unsere Strategie nach Corona mit Blick auf 2022 aussieht.

(wir haben keine, null, keine Ideen, keine Perspektive, kein Esprit, nur Bremser, Zögerer, Fearmonger und Verhinderer an allen Schaltstellen, aber das ist egal, denn ich kann inzwischen wie meine Vorbilder, die Vertriebler von der Heißluftzentrale oder die Affen von der Telefonseelsorge (Inbound and Outbound, huhu) aus Nichts Scheiße machen, hanebüchenes Zeug erzählen, halbgare Visionen zum Besten geben, mir was Spontanwirkendes einfallen lassen, an das sich bereits sieben Sekunden, nachdem ich es ausgesprochen habe, keiner mehr erinnert, so dass es tatsächlich scheißegal ist, was ich erzähle, weil es hier um nichts Greifbares geht, nur ums Wichtigmachen, Läusepulen, Arschhaarflechten; und wenn sich doch irgendwann mal jemand an die alte Grütze erinnert, die früher mal von mir oder anderen bei ähnlichen Gelegenheiten erzählt wurde und die sogar für jeden Komatösen erkennbar nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt, dann haben wir eben zwischenzeitlich die Strategie angepasst, die Zielmarken evaluiert, andere Schwerpunkte gesetzt, Meilensteine erreicht bla, oder blablabla neu ausgerichtet und dann nicken sie alle wissend, obwohl sie so viel wissen wie ich. Gar nichts.)

Ui, Symbolbild, nich‘ unserer, ick bin ja nich‘ doof…

Aber ick bin ja bescheuert. Der Hotelpinguin hat mir erzählt, es sei kein Problem, mit dem großen (neuen, verdammt!) Wagen in diese Miniaturlandschaft von Tiefgarage zu fahren. Kein Problem. Müsste passen mit dem Wagen. Hier. Nehmen Sie den Schlüssel für den Aufzug. Und geben den nach dem Einparken wieder hier bei mir oder meinem Kollegen ab.

(Bescheuert. Icke.)

Seinem Kollegen. Dem ich den Schlüssel zurück gebe, nachdem ich in den unfassbar winzigen Miniaturkasten von Tiefgaragenaufzug gefahren bin, der mir mit eingeklappten Rückspiegelohren auf jeder Aufzugseite üble zwei Zentimeter Platz ließ, wonach ich mit wie irre von allen Seiten piepsenden Abstandspiepsern um eine unmöglich enge Kurve bog, von der ich nicht erwartet habe, sie zu schaffen, und zuletzt den Wagen in den einzigen freien Platz der (nochmal: absurd winzigen, wie ein verdammter Schuhkarton daherkommenden) Tiefgarage bugsiert habe, was zuletzt so wenig Raum ließ, dass ich mich luftentweichend durch einen winzigen Spalt zwischen Türe und Karosserie ins Freie gequetscht habe.

Uff.

Boar.

Aber es ist meine Schuld. Ich habe sie geglaubt. Die hanebüchene Behauptung mit dem problemlosen Platz. Und nicht überprüft. Dinge wie solche sind immer meine Schuld. Dann kann ich sie das nächste Mal besser machen. Denn es hilft nix. Überprüfen hätte ich es sollen. Reingehen und kucken statt reinfahren und verkacken hätte ich sollen. Diesen Unfug von Tiefgarage in Augenschein hätte ich nehmen müssen. Und dann folgerichtig irgendwo besser draußen parken hätte ich sollen. Hätte. Hätte. Zwiebelmette.

„Sind Sie da gerade mit dem Mercedes in die Tiefgarage gefahren?“

Fragt er. Der Kollege des Hotelpinguins, jenem, der ein Problem mit Abmessungen hat. Fragt er. Mich. Und der Aufzugschlüssel pendelt sich wie zur Bestätigung der Dinge auf seinem Frontdesk aus. Wipp. Wapp. Um dann liegen zu bleiben.

„Ja. Bin ich.“

„Und wie wollen Sie da wieder rauskommen? Rückwärts?“

„Keine Ahnung. Habe gehört, das wäre kein Problem.“

„Für Kleinwagen nicht, nein.“

Und es ist richtig, was er da sagt. Für die kleine verwachsene Schüssel, die ich privat fahre, wäre das kein Ding. Rein. Wenden. Raus. Glücklich sein. Doch es ist nicht die verwachsene Schüssel, die jetzt da unten festklemmt, es ist der Ozeanriese, der den Reis containerweise durch den Suezkanal nach Europa gurkt. Eingeklemmt zwischen Betonsäulen, der befreiende Aufzug gefühlte Ewigkeiten entfernt. Der Wagen steht da drin wie in einem Sarkophag für die nächsten tausend Jahre. Mit dem Hotel als Pyramide obendrauf. Rein ging. Raus nicht. Weil ich nicht wenden kann. Weil ich einen Wendekreis wie ein Tieflader habe. Und wegen der absoluten Unmöglichkeit, rückwärts exakt so rauszufahren wie ich reingefahren bin. So millimeterpassgenau. Keine Chance. War klar. Ich habe es trotzdem versucht. Knapp eine Stunde habe ich gebraucht. Der Wagen muss ja wieder raus. Die wollen den ja wieder. Den schönen neuen Wagen. Der jetzt nicht mehr schön ist. Sondern futsch. Zerschrammt. Und stimmt was Sie jetzt denken, kann mir egal sein, zahlt der Borgwürfel, die Schrammen, das Wegmachen, ausbeulen, neu lackieren, das alles, nicht ich. Weil der Borgwürfel alles bezahlt, was ich kaputt mache. Aber trotzdem. Dass die das zahlen, macht es nicht besser. Der schöne Wagen.

„Der schöne Wagen…“ wird auch der Buchhalter sagen. Und seufzen. Wenn er meinen Unfallbericht entgegen nehmen und ihn dann womöglich sogar der Versicherung unterjubeln wird, oder nicht, oder die Kosten irgendwo reinbucht. Schwund. Zahlenkreisel. Jongleurskunst. Buchhaltermagie. Die ich ja bewundere. Wie die das immer machen. Alles irgendwo hinbuchen, Anderkonten, grauschwarze Kassen, Auslandsdepots, Geldkoffer womöglich, diese ganzen toten Ratten, das ganze Gift, die Schiebereien. Fidibus. Weg.

Diese Geschichte werde ich natürlich so schnell nicht los, sie wird ihre unvermeidliche Pirouette des Gossips drehen und ich werde bis auf weiteres der Blödmann mit der Hotelgarage sein, dessen Verkackerstory sie bald schon den Azubis im ersten Lehrjahr erzählen werden, lange bevor die jemals ein Auto bewegen dürfen. Das wird mir eine Weile anhängen. Der Hohn wird sich in meine Zellen fressen, bis ich am Ende Teil der Herdenimmunität werde. Und er nachlässt. Der Schmerz. Herr Dermitderhotelgarage. Kuck mal da kommt Dermitderhotelgarage. Genannt auch der Blechschadenmann. Der den Mercedes zernudelt hat. Der kann’s nicht. Fährt blind in Hotelgaragen. Und kommt nicht mehr heil wieder raus. Werde ich alles selber zum Besten geben. Selbst drüber lachen. Mich hochnehmen. Superselbstironisch. Dann verdauen. Abhaken. Ausscheißen. Wind. Segel. Raus. Ich mache das immer so.

Es wird ein wenig dauern, bis das vergeht. Bis der Nächste was verkacken wird. Den Teamleiter nervenblank anschreit. Einen großen Auftrag vergurkt. Bei der Präsentation die Hose offen hat. XHamster statt Powerpoint ins Webexmeeting streamt. Abends besoffen in die Hotellobby kotzt. Oder wenigstens einen Totalschaden mit einem dickeren Auto als meinem fabriziert. Bis dahin ist er misslungen, mein Neustart. Misslungen der Auftritt. Misslungen die Fassade. Liege mit dem Gesicht zur Erde und die Richtung kommt von vorne entgegen. Ist manchmal so. Das üben wir nochmal. Das muss besser werden. Knick Knack. Abklopfen. Kragen richten. Krümel vom Revers wischen. Rock richten. Weiter. Immer weiter.