Retrospektive: Die Robbe

Oha. Lange nicht mehr hier gewesen. Im Norden meines Ortsteils. Eine neue Baugrube. Die Robbe ist weg. Die Robbe von der Prenzlauer Allee. Der niederländische Lasterverleih, der in den Nullerjahren quasi das Monopol für Low-Cost-Pritschenwagen für Kleingeldbeutelinhaber in Berlin hatte. Der mit der blauen Robbe drauf. Der mit 5 Euro die Stunde warb, die natürlich nie jemand einbongen konnte, weil die viel zu wenigen Billiglaster just genau dann ausgebucht waren, wenn jemand kam und die haben wollte. Wonach er dann die Laster für 8 Euro buchen musste. Oder 10. 12. Haha. Frag mich. Ich weiß, wie Kapitalismus läuft. Füttere an. Bring die Leute in deine Bude. Und ziehe sie dann ab. Nirgendwo ist das anders, bis hin zu meinem Kind, das inzwischen irgendwelche Anfütterapps auf dem neuen Smartphone installiert und von mir dann nach schon einer Woche zehn Euro möchte, um konkurrenzfähig weiterzocken zu können, weil – huhu, welch krasser Zufall – nix mehr voran geht im Spiel. Hallo Kind. Hallo Pritschenwagenausleiher. So sind die Regeln. Im Spiel. Steinalter Hut.

Ich weiß das alles. Ich habe bei der Robbe mal geminijobbt. Natürlich Nullerjahre. Als ich Minijobs gesammelt habe wie andere Menschen hohe Leberwerte. Fünf Lohnsteuerkarten. Davon vier mit Klasse VI. Das waren die offiziellen Jobs. Zu den Schwarzdingern am Wochenende. Möbel packen. Baustellen. Schwarzbäder fliesen. Zettel verteilen. Kackjobs eben. Das ist so, wenn Sie keine Ausbildung haben. Dann nehmen Sie was abfällt. Keiner sonst haben will. Außer Ungelernte. Illegale. Lebensalte Entlassene. Komplett Perspektivfreie. Und ich früher mal.

Der Job hat keinen Spaß gemacht, aber das hat kaum einer meiner ganzen Jobs meines bisherigen Lebens, inklusive dem, den ich im Moment ausübe. Arbeitskraft gegen Cash. Genauer: Möglichst wenig Arbeitskraft für möglichst viel Cash. Das ist der Deal. So war das immer bei mir. Von Spaß war nie die Rede. Ich lese immer nur überall über lustig strahlende Leute, denen ihr Job Spaß macht und kann mir nicht erklären, wie das zusammengehen soll. Arbeit kann keinen Spaß machen, sonst wäre es keine, was vermutlich auch wieder nur ein übrig gebliebenes Fossil der alten siffigen Punkzeit ist, die ich hinter mir her ziehe wie einen Popanz und mit der die Nachfolgenden nichts mehr anfangen können wie mit einem CD-Wechsler für Autos.

Sie war nie meine. Ihre Welt. Weniger denn je. Heute sind sie um mich herum glückliche, bunte, zufriedene, pausbäckige Abziehbilder einer weichgezeichneten Versicherungswerbung und arbeiten mit wonneproppiger Freude gern, vor allem an sich selber, um noch bessere, gesündere, optimiertere Menschen zu werden. Shiny happy people everywhere. Wie ich sie so erfüllt durch meinen Kiez schweben sehe, haben sie für mich nur etwas dystopisches. Glatt. Kantenfrei. Immerbrav. Keine Sünden mehr.

Kennen Sie noch die längst untergegangene Band Soundgarden? Und deren wegweisenden Clip zu Black Hole Sun? So. Wirken die Horrorclowns auf mich in ihren fancy Coworkingpuffs mit den ironischen Glückskeksspruchpostern über ihren aufgeklappten Chromebooks mit den wohlfeilen Vegan for life-Stickern auf dem Deckel. Den begrünten Dachgeschossen. Waldkindergärten. Ihren immer noch Urban Gardening genannten Vorbeeten in meiner fassadenbewachsenen Straße, in denen sie selbstgemalte Schilder drapiert haben, die ihre lächerlichen überzüchteten Hunde davon abhalten sollen, ausgerechnet dort rein zu scheißen.

So sind sie hier. Die superstolzen Patchworkfamilys in diesen kunterbunten Bioläden voller Life-Balance-Optimierer, die außer Hundekot in ihrem Blumenbeet und der sich um den Block wickelnden Schlange für Hokey Pokey-Eis keine Sorgen haben. Zweibeiniges Langeweileblei unter dem Banner mit der Sonnenblume. Sie waren mir fremd. Sind mir fremd. Werden mir auch immer fremd sein. Ihr Konzept erschließt sich mir nicht, ich habe nie Zugang dazu gefunden, hier ist mein Konzept für das Graubrot auf dem Küchentisch: Erfüllung durch Arbeit ist Unkraut. Identifikation mit dem Geldgeber ist Krebs. Erfunden, um dich aufzufressen. Mehr ist da nicht. Ich gebe jemandem meine Arbeit und werde Arbeitnehmer genannt, jemand gibt mir dafür Geld und ich muss ihn Arbeitgeber nennen. So ist der Deal. Weiter reichen die Ansprüche und vermutlich auch die Möglichkeiten nicht. Unromantisch bis zum Zäpfchen. Maximal unerfüllend. Ein kalter Austausch von Dingen. Seelenlos in die nächsten 30 Jahre bis zur Rente. Weiß ich natürlich selbst.

Mein Job war es, Autos zu verleihen und die verleihten Autos wieder zurück zu nehmen. So weit, so doof. Und der Teil mit der Rücknahme war das Unangenehme des Jobs. Sie mimen als Ausleihknecht nämlich den Anscheißer, der die Schlümpfe mobben muss. Und der Schlümpfe gab es viele. Ein Drittel der Karren kam zu spät. Nicht mit dem Umzug fertig geworden. Die Freundin hat gebummelt. Der unfähige Macker kam zu spät zum Termin. Also haben sie den Zeitplan verratzt. Und dann kamen sie anderthalb Stunden drüber angeschissen und diskutierten mit mir, dem Minijobber, dumm in der Gegend herum. Mit mir, der zwei Stunden draufbuchen und Geld dafür sehen wollen muss. Kein Ermessen, nirgends.

Oder – auch schön – die Karre hatte ’nen Kratzer. Der vorher nicht da war. Da diskutierten sie auch. Behaupteten, der war vorher da. Sagten, ich würde ihnen was unterschieben. Stritten es ab und wollten gehen. Oder gingen sogar wirklich. So dass ich dann der war, der die Bullen rufen musste (ich hasse Bullenrufen, ehrlich, ich hasse das).

Übel war es, wenn die Karre verdreckt war. Dann zahlen Sie als Frontdeskschlumpf die Sicherheitsleistung nicht aus, sondern behalten die ein. Wovon jeder, den das betrifft, sofort die Hasskappe kriegt. Prellbock war ich dann. Kotzeimer. Bei diesem und ähnlichen Jobs habe ich den stoischen Gesichtsausdruck gelernt, wenn Blöker mich anblöken. Hilft mir noch heute, wenn wieder einer der Stinker durch die abgewirtschaftete S-Bahn läuft und wahllos die Leute anbrüllt. Weil ich weiß, dass die meisten nur Maulhelden sind und nach dem Brüllen oft nichts kommt. Denn physisch angegriffen hat mich bei der Robbe nie einer. Ich versuche auch immer, abzuschrecken. Mit so einem Blick zu schauen, der ihnen sagt, dass ich immer zurückschlage. Sie schlachten werde, wenn sie mich schlagen. Das schreckt dann ab. Jobs wie der brauchen wohl immer auch Abschreckung. Breite Schultern. Runtergezogene Augenbrauen. Ob da was dahinter ist oder nicht spielt keine Rolle. Bei mir ist gar nix dahinter, kein Karate, kein Taekwondings, nicht mal Judo, maximal vom Schulhof übrig gebliebene wütende blinde Raserei im Ernstfall, die ich aber erst abrufen kann, wenn ich am Boden liege, nix dahinter bei mir, null, aber das wissen die ja nicht. Attitüde ist auch hier alles. Attitüde ist immer alles.

Das war der Job bei der Robbe, dem fancy Studentenkistenverleiher. Hat keinen Spaß gemacht. Aber sie haben pünktlich gezahlt. Den Minilohn. Haben mich nicht über den Tisch gezogen wie anderswo. Geld kam akkurat. Das war damals viel wert.

Egal. Jetzt ist die Robbe weg. Abgerissen. Plakat hingestellt. Mit Bildchen. Einen weiteren seelenlosen Glasbetonbau werden sie errichten. Trutzburg. Quader. Block. Büros. Plus die unvermeidlichen Hochpreiseigentumsbuden und irgendwo am Rand ein paar über den üblichen Parteienfilz zu verkloppende Alibisozialbutzen, auf dass der Berliner Wohnungsbauverkackersenat sein nutzloses Gesicht wahrt. Das Übliche.

Und für mich haben sie wieder eine meiner Erinnerungen ausradiert. Ich hätte nie gedacht, dass mir das mal so schwer fallen wird, die Orte, mit denen ich Geschichten verbinde, viele kleine persönliche Geschichten eines mit voller Absicht verschwendeten Lebens, einfach so verschwinden zu sehen. Je mehr sie bauen, desto weniger von dem bleibt, was mich Nullerjahre ausgemacht hat. Und es ist sicherlich nur sentimentaler Bullshit, nachträgliche Verklärung und Weichzeichnung einer gar nicht mal rosigen Zeit, und ich habe immer selber über welche gelacht, die an alten blöden Dingen hingen. Der Großvater an seiner alten Bäckerei. Oma an ihrem altkommunistischen Bauernverein, den es auch nicht mehr gibt, weil sich Bauersein auch in Polen nicht mehr lohnt. Immer dieses Hängen an Altem. Fand ich lächerlich. Freunde hängen an unwürdigen Exfreundinnen. Borgwürfelkollegen an ineffizienten Arbeitsprozessen. Deutschland an der CDU. Und jetzt bin ich auch so. Hänge an alter Gülle. Laufe bei meinen shitty Shutdownspaziergängen die alten Orte meines Bezirks ab. An deren Fassaden manchmal noch meine alten Geschichten kleben. Oder manchmal eben nicht mehr, weil sie die Fassade abgerissen und fachgerecht entsorgt haben. Und dann finde ich es sogar schade, dass ein alter Arbeitgeber, der mir wie alle Arbeitgeber egaler nicht sein könnte, nicht mehr da ist. Ja. Lachen Sie gerne. Kann sein, dass das dieses Altwerden ist, das sie angekündigt haben. Oder der Beginn von Verklärung des eigenen blöden Ballasts. Oder auch nur die bleierne Langeweile eines grässlichen Februars. Kann sein. Alles. Kann alles sein.


Retrospektive: Quertreiber