Lost im TXL-Bus

Und wieder der dumme Flughafen Tegel. Dauernd grüßt der Goblin.

Ich muss seit letztem Jahr wieder öfter dort sein. In Tegel. Am Flughafen. Weil ich wegen des Dauergetrommels der spoiled Klimanöler, die seit gestern niemand mehr hysterisch nennen darf, keinen Deutsche-Bahn-Zug mehr für die ständigen überflüssigen Borgwürfelarbeitgeberreisen nach Frankfurt buche, sondern jedes Mal einen Kurzstreckenflug nehme. Weil das so schön schnell geht. Und so billig ist. Gerne bis zu drei Mal im Monat. Nur für ein Meeting. Und am selben Tag wieder zurück. Mein Dezember bestand aus sehr viel Flughafen Tegel. Hin. Zurück. Hin. Zurück. Und nochmal Hin. Und Zurück. Die Tröte am Empfang der traurigen tegeler 70er-Jahre-Lufthansalounge, in der mit mir gerne mal aus Funk und Fernsehen bekannte Politiker sitzen, die außerhalb der Lounge in klagender Pose irgendwas von Flugscham in die Mikrofone faseln, kennt meinen Namen schon auswendig, so oft stehe ich vor ihr und bitte um Obdach. Ja. Schon. Ich fliege inzwischen wirklich wieder gerne. So oft es geht. Ich weiß auch nicht, warum. Es macht jetzt einfach viel mehr Spaß als früher. Möglicherweise kommt das von dem superwoken Dauermedienpräsenzbeschalle aus allen ihren Rohren, mit dem sie mir seit fast einem Jahr so hart auf den Sack gehen und von ihren Ikonen mit ihren vorwurfsvollen Dackelaugen, die ich einfach nicht mehr sehen kann. Flugscham. Fleischscham. Autoscham. Plastiktütenscham. Weihnachtsbaumscham. Böllerscham. Grillen-auf-dem-Balkonscham. Penis-in-meinen-Darmscham. Schämt mich bitte am Arsch. Bitte. Danke. Aber gerne. Woche für Woche fliege ich nun wieder Kondensstreifenwolken aus Fuck You in den Himmel. Ihr Nölschranzen. Dürft mich mal. Von hinten. Mit der Zunge. Sehr gerne haben.

Der einzige Grund, Herz auf Hand, der einzige, der mir gegen meine vielen kerosinemmissionsejakulierenden Inlandsflüge nach Frankfurt einfällt, ist nicht das sich ändernde Klima, das mir trotz des Trommelfeuers immer noch merkwürdig egal ist (hey, es ist Januar und heute früh sind 10 Grad, was großartig ist), sondern eigentlich nur unser beschissen peinlicher Flughafen Tegel, der in seiner Erbärmlichkeit tatsächlich auch 2020 immer noch der zentrale Hauptstadtflughafen des Landes ist. Dieses kleine Ding. Mit seiner superfreshen Sichtbetonverkleidung. Der letztes Jahr locker jede Kofferausgabe verkackt hat, an der ich beteiligt war. Und dessen legendäre Warteschlangen vor den vollkommen untergehenden Sicherheitsschleusen jede Postfiliale und jeden Mustafa um das Vierfache in alle denkbaren Schatten stellen.

Und als Zuckerstück obendrauf, weil ein mieser Flughafen alleine noch nicht alles sein kann, sekundiert sein noch beschissenerer und noch peinlicherer Zubringerzuckelbus namens TXL. Zuckel. Buckel. Zwei, drei Mal im Monat gurke ich auf der berühmt-beschissenen Infrastruktur meiner Stadt umher. Und genau wegen des miesen Flughafens und seines räudigen Zubringers bin ich bis vor kurzem tatsächlich immer lieber mit dem Zug nach Frankfurt gefahren, auch wenn das bedeutete, wegen eines so üblichen Ausfalls irgendwelcher Technik, Weiche, Signal, halber Zug, einige stets viel zu lange Stunden ausgerechnet in Erfurt (übel), Göttingen (grässlich) oder im schlimmsten Fall in Kassel (Hölle) am Bahnhof stecken zu bleiben.

Die simple Tatsache, um die jeder weiß, aber die inzwischen zu einer abstrusen Art von Folklore geworden ist, lautet: Wir können hier in Berlin nichts und wir können natürlich auch keine Flughäfen. Frage: Glauben Sie eigentlich an die in mystischem Unterton durch die Stadt geraunte Eröffnung der Flughafenwitzvorlage dort im Süden der Stadt, angekündigt für diesen Herbst, an die Inbetriebnahme des ewigen Baustellenghuls, den die versammelten Dilettanten als Ausdruck des Untergangs des deutschen Planungs- und Ingenieurswesens seit Jahrzehnten versuchen, als nie fertig werdenden Vorzeigeflughafen zu bauen? Glauben Sie irgendwem noch irgendwas zu dem Thema? Und glauben Sie, dass irgendwer irgendwann doch noch die Verantwortung übernimmt, sich hinstellt und sagt: Ja. Ich war es. Sie haben alle Recht. Es ist meine Schuld. Milliarden verbrannt. Existenzen gekillt. Die Stadt in der endgültigen Lächerlichkeit versenkt. Von mir ein ehrliches Ja. Ich habe es vergeigt. Und es tut mir leid und deshalb ziehe ich jetzt meine Offiziersuniform an und gehe mich schämen. Macht das mal einer?

Aber nein. Macht keiner. Niemand ist hier inzwischen mehr für irgendwas verantwortlich. Keiner kann mehr was für irgendwas. Alles, was die Bäche runter geht, ist jetzt immer irgendwie ein Naturgesetz geworden, für das keiner was kann. Nie jemand. Kann irgendwas für irgendwas. Alle sind nur noch passive Objekte der willkürlichen Umstände statt Verantwortliche, egal in welcher Position sie sitzen und wie viel Geld sie dafür bekommen. Und diese komische SPD regiert hier seit 20 Jahren einfach immer weiter vor sich hin, als hätte sie mit dem ganzen Betrieb aller möglichen Dinge, die in dieser Stadt nicht funktionieren, gar nichts zu tun. Ping. Pong. Schlumpf. Alle kleben an den Ledersesseln und wenn sie keine Lust mehr dazu haben, an den Ledersesseln zu kleben, dann geben sie Ledersessel samt Supergluetube einfach an den Nachfolger weiter, der dann auch einfach so weitermacht, als habe der Betrieb der Stadt auch mit ihm nichts zu tun. Kind. Wir können ja nix dafür, dass die Stadt so ist wie sie ist. Was können wir schon tun?

Und hey, ich glaub‘ nicht mehr dran, ich glaube eher, der neue Flughafen, der jetzt schon während des Baus veraltet ist, macht nie auf, so dass wir noch in 30 Jahren eine Bauruine bezahlen und immer noch zum verwachsenen Flughafen Tegel, dem französischen Besatzungsfossil, zuckeln müssen, zu dem mich Geschäftspartner aus dem Nahen Osten, die dort landen, besorgt fragen, ob der Flugplatz da in Tegel unser Ernst ist, worauf ich immer antworte „Berlin is not Germany, Berlin is … something else. You should visit Frankfurt Airport. It’s my favourite.“

Inzwischen macht schon kaum einer Witze mehr über Berlin und Flughafen, weil der Spott dem Mitleid gewichen ist, was streng genommen noch schlimmer ist. Mir ist letztens klar geworden, dass Berlin überhaupt nicht mehr cool ist, sondern dass ich in einer Stadt wohne, mit der das ganze Land Mitleid hat und für die sie Hinweise in den weltweiten Touristenheftchen anbringen, wie man sich verhält, wenn mal wieder etwas nicht funktioniert. Dear Tourist. Welcome to Berlin. Please remember: Do not call 110 if you get into trouble, because they will just put you into a never ending queue. Better run. And better run fast.

Und da stehe ich. Im TXL. Zuckel. Zuckel. Zuckelbus. Wenn Sie noch nie in Berlin waren, dann glauben Sie mir das jetzt vielleicht nicht, aber wer zum Flughafen Tegel möchte, der muss den Bus nehmen. Es geht nicht anders, außer Sie nehmen ein Taxi von der Innenstadt. Ich kann auch nicht erklären warum, aber die gerne auf dicke Hose machende Bundeshauptstadt Berlin mit der größten Klappe der Republik hat es selbst während der Zeit, als sie vom Westen mit einer irrwitzigen Menge an Deutschen Mark alimentiert wurde, nie geschafft, ihren Hauptflughafen mit der Schiene zu verbinden, um Passagiere komfortabel, zeitgemäß und modern zum Flughafen und wieder zurück zu transportieren. Keine Ahnung, was sie sich gedacht haben und wer das wieder verschlumpft hat, aber sie haben ihn nie richtig angeschlossen, den Flughafen.

Statt Schiene gibt es also eine Buslinie, die TXL heißt – wie sein dazugehöriger Flughafen mit dem Charme eines Provinzflugplatzes in der Uckermark.

Kurioserweise hat der TXL-Bus einen Fahrplan. Dieser Fahrplan ist ein fieser Treppenwitz und nur eine Karikatur seiner selbst, denn er stimmt nur dann, wenn die TXL-Busse auf ihrem Weg vom Hauptbahnhof durch die City West bis zur Beusselstraße so viel Verspätung haben, dass sie zu der kalkulierten Ankunftszeit ihres Nachfolgers hier ankommen, so dass Sie quasi in einem Bus sitzen, der eigentlich vor 10 Minuten, 20 oder 50 Minuten, möglicherweise sogar gestern hier hätte gewesen sein sollen.

Was? Sitzen? Wer sitzt? Ich? Schrieb ich „Sitzen“? Was für ein Unsinn, im TXL wird ab Beusselstraße nie gesessen, sondern nur noch gestanden und damit haben Sie noch Glück, denn manchmal fährt der TXL auch einfach an der Haltestelle vorbei, ohne Sie mitzunehmen, weil er so voll ist, dass Verzweifelte im Bus unfreiwillig an der berlinverdreckten Fensterscheibe lutschen.

Ja, hoho, dann stehen Sie echt dumm da dort an der Beusselstraße, wenn Sie Ihren Flug noch erreichen wollen, und Sie können noch nicht einmal ein Taxi herbeiwinken, weil dieser Umstand der Verzweiflung entweder fahrlässig an der Aufmerksamkeit aller Taxifahrer der Hauptstadt vorbei geht oder das Aufsammeln versprengter Reisender aufgrund der geringen Gewinnmarge zum Flughafen so uninteressant ist, dass die Taxispacken lieber leer bis zum Flughafen durchbrettern, ohne sich weiter um dieses blöde Winken dieser Deppen mit Rollkoffern an der Beusselbrückenhaltestelle zu scheren.

Schaffen Sie es, den TXL irgendwann tatsächlich am S-Bahnhof Beusselstraße zu betreten, notfalls indem Sie über alle wahllos im Busraum verteilten Koffer und Taschen bergsteigergleich hinüberklettern und dabei Kinder und einige alte Schrumpfköpfe zur Seite boxen, so müssen Sie nach einigen Minuten feststellen, dass es auch dergestalt unbequem gar nicht vorwärtsgeht, weil der Bus im Stau zum Flughafen fest steckt. Und die Zeit läuft. Tick. Tack. Gate closed.

Wären Sie mal gelaufen.

Und wenn der dämliche Zuckelbus dann plötzlich doch wieder fährt, dann gerne so ruckelig rasant, dass Sie sich unvermittelt mit der Nase in der Achselhöhle dieses fetten schwitzenden Amerikaners neben sich wiederfinden, während Sie sich krampfhaft an der Krawatte des Geschäftsreisenden vor sich festhalten, weil vor lauten Menschen kein Haltegriff mehr frei ist.

Der TXL bietet aber auch Zerstreung für Kleinhirne. Sie können zum Beispiel die Anzahl der Kondenswassertröpfchen zählen, die an der Fensterscheibe mit den Popeln der schreienden Kleinkinder lustige Muster entstehen lassen und einen anschaulichen Eindruck von der Luftfeuchtigkeit im Innenraum des Busses vermitteln.

„Provinz! Jeder Eberswalder Bauernbus macht mehr her!“ schreien einige. „Nairobi!“ brüllt der nächste. „Unwürdig für eine Hauptstadt! Hängt sie höher!“ wieder einer. „Diese Stadt hat den Nahverkehr, den sie verdient“, denke ich hingegen. Wenn hier schon vom Winterdienst (den wir gar nicht mehr brauchen) und der S-Bahn über die öffentliche Verwaltung bis hin zu den Rolltreppen und Aufzügen nichts richtig funktioniert, dann bitte konsequent, sinniere ich und presse die Lippen zusammen, als mir ein bleicher potthässlicher englischer Tourist, der nach dem Brexit hoffentlich eine Einreisesperre bekommt, seinen Rollkoffer ans Schienbein haut, und ich grinse debil, als mich die verkaterten, nach Scheißfusel stinkenden skandinavischen Pubcrawler bei der Stampede ins Freie mit ihren Ellenbogen zur Seite stoßen und der dicke schwitzende Amerikaner, aus dessen Achselhöhle ich mich in der letzten Kurve befreien konnte, mir fiese feuchte Partikel in den Nacken niest.

Sie sehen: Die Sache ist eigentlich klar. Fliegen ist Unsinn. Zumindest in Berlin. Ich mache es trotzdem. Einfach so. Für die Tröten. Weil sie tröten. Und wenn der aufgeregt herbeifantasierte Weltuntergang entgegen allen Wahrscheinlichkeiten doch kommt, werde ich zwar nicht mehr fliegen können, aber tanzen werde ich. Tanzen.