
Wenn der Tiergarten die Lunge Berlins, die Freie Universität das Gehirn und das Brandenburger Tor das Dekolleté dieser Stadt ist, dann ist die Oberbaumbrücke der Schließmuskel.
Hier ist das stinkende Ende der Stadt, hier reißt sie die Arschbacken auseinander und präsentiert ihren Besuchern den verklebten Darmausgang. Es mockert nach Pisse, beständig, anhaltend, beharrlich, ein bauwerkgewordenes Bahnhofsklo voller Irrer, brüllenden Kotzern, kotzenden Brüllern, dazwischen geistesgestörte Fahrradnazis im Dauerslalom, den Scherben ausweichend, die vom letzten Pub Crawl übrig geblieben sind, das alte ehrwürdige Mauerwerk ist stümperhaft beschmiert, bekotet, bepinkelt, mit schlechter Streetart wie von Grundschülern baufälliger Berliner Schulen beklebt, ein Bärtiger liegt im Müll, das dreckbraune Hemd vollgekoddert, überhaupt der Müll, abgerissene Plakate, Kaffeebecher, Dönerfolien, Flyer, eine Unterhose, Kippen, Kippen und noch mehr Kippen. Und über allem wabert die saure Pisse der Kokser, die zum Morgen aus Busche, Matrix oder Scheißegalwoher auf den Asphalt gekippt werden.
Jede andere Stadt würde dieses Bauwerk und Zeugnis längst vergessener goldener Architekturzeiten herausputzen, polieren, beleuchten, anstrahlen, vorzeigen, beschützen. Jede andere würde das tun. Rom. Tunis. Grosny. Aleppo. Berlin ist aber auch hier ganz bei sich und überlässt diesen Ort lieber sich selbst.
Touristen fotografieren hier trotzdem gerne, sie fotografieren den schlafenden Bärtigen und seine Kotze auf dem Hemd, sie fotografieren die Scherben, das verlebte speckige Mauerwerk und den unvergleichlichen Blick auf graue Glasbetonkuben, die Mediaspreeställe der hippen Heißluftwichtigtuer und die neuen neonweißen Hochglanzbauten der Luxusbauherren, die sie als Machtdemonstration sogar direkt neben die letzten Reste der Berliner Mauer geschissen haben. Wahrscheinlich würden die Touristen auch gerne die ganz spezielle Berliner Luft auf der Brücke einfangen, so sie denn könnten, um dann zuhause in Toronto, Wien oder Tokio die Büchse aufzumachen, kurz die Augen zu schließen und noch einmal tief einzuatmen.
