Blankenburg

Es gärt im Norden meines Bezirks. In Blankenburg will der Senat eine Großsiedlung hochziehen. 6000 Wohnungen wollen sie entstehen lassen. Ursprünglich 10.000, doch sie mussten downgraden. Denn sie bekamen das was sie in Berlin immer bekommen, wenn sie irgendetwas bauen wollen. Eingaben. Proteste. Partikularinteressen. Widerwillen. Und immer dieses „Not in my backyard“. Berlin hat Wohnungsnot, deshalb Bauen ja, unbedingt, aber bitte nicht vor meiner Türe. Sankt Trololo – Verschon‘ mein Haus, bau‘ anderswo.

Meine Trainingsrunde für den Halbmarathon geht hier oben in Blankenburg vorbei und deswegen lese ich seit einigen Jahren die verschiedenen Protesttransparente mit, die an der Kleingartenanlage hängen, die inzwischen zu einem überwiegenden Teil mit kleinen bis beeindruckend großen Einfamilienhäusern vollgebaut ist, deren Existenz ich mir nicht erklären kann, denn Kleingärten und Einfamilienhäuser schließen sich nach meiner Lesart aus, was aber bestimmt wieder so ein Berliner Ding ist: Viele Regeln, die keiner kontrolliert, also macht eh jeder was er will, was ja auch irgendwie funktioniert. Wahrscheinlich haben sie die Dinger in den Nachwendewirren hochgezogen und darauf spekuliert, dass das Bauamt sowieso zu unterbesetzt ist, um dagegen irgendetwas unternehmen zu können, kein Plan.

Diese Haltung „Not in my backyard“ begegnet Ihnen oft in Berlin. Sie bekommen hier kaum etwas umgesetzt, ohne dass es dazu explizite Eingaben der eingesessenen Anlieger gibt, warum ausgerechnet hier an diese Stelle überhaupt nix gehen und schon gar nicht gebaut werden darf. Menschlich ist das verständlich, immer, auf jeden Fall. Ich würde es auch hassen, hätte ich eine schöne Sichtachse auf eine schöne Aussicht und irgendwer käme daher und baute dort hin. Klar. Ich verstehe das. Auch wenn es bigott ist, als Anwohner irgendeinen Ökoschwurbel von wegen gute Luft, Klima, blöde Stadtbäume oder irgendeinen anderen Pseudomist in die Onlineportale zu pullern, anstatt einfach einzuräumen, dass man wegen schnöder Egoismen keinen Neubauzuzug irgendwelcher neuer Nachbarn will. Gewohnheit, Gewohnheit, die liebe Gewohnheit. Da kannze nix machen. Menschen sind so.

Leider braucht Berlin Wohnungen. Nicht eine, zwei, drei, sondern in rauen Mengen. Der Wohnungsmarkt ist leergefegt und der Bestand wird mieterhöht bis es quietscht. Alle meine alten Freunde aus meinen bewegten Nullerjahren sind inzwischen aus Pankow, Prenzlauer Berg und Weißensee raus nach Brandenburg gentrifiziert worden. Wirkich alle. Es ist keiner übrig. Ich bin der letzte hier und muss jetzt weit, mindestens eine, manchmal bis zu zwei Stunden fahren, um irgendwen von früher zu besuchen. Weil Berlins Vermieter die Zügel stark anziehen und ihren Katalog an Übelkeiten in ihrer feinsten Arroganz an den Start bringen. Herauszögern von Reparaturen, zweijährliche Mieterhöhungen an der obersten zugelassenen Grenze, sinnlose Sanierungen, um die Miete noch ein wenig mehr erhöhen zu können, und fingierte Betriebsabrechnungen, gegen die Sie sich ohne Rechtschutzversicherung gar nicht wehren können.

Sich einfach eine neue Wohnung zu suchen fällt dabei aus. Wer eine hat, versucht sie im Moment einfach nur zu halten. Denn bei den Neuvermietungen stehen die Dinge nicht besser. So gibt es inzwischen Objekte, für die müssen Sie neben Kontoauszug, Arbeitgeberbescheinigung, Führungszeugnis und einem Bürgen sogar ein Motivationsschreiben beilegen, warum Sie die Wohnung haben wollen. Und danach finden Sie sich immer noch im Auswahlverfahren mit 20 anderen Konkurrenten aus aller Welt wieder, wonach Sie Ihr Motivationsschreiben mündlich untermauern dürfen, als ginge es hier um einen lausigen Job in einem Berlin-Mitte-Bubble-Borgwürfel.

Was Ihnen auch passieren kann: Sie treffen auf einen Vormieter, der für den Hauseigentümer den neuen Mieter aussieben soll und den er ausschließlich nach der Höhe des gebotenen Abstands für seine alten Kackmöbel auswählt, die er sonst zum Sperrmüll hätte bringen müssen. Hurra. Es geht wieder los wie früher im Osten. Wer kennt wen? Wer kann wen irgendwo reinbringen? Makler im Bekanntenkreis? Saufkumpel bei der Wohnungsbaugenossenschaft? Alles kann helfen. Laternenzettel versprechen auch immer öfter bis zu vierstellige Belohnungen für die erfolgreiche Vermittlung von Wohnraum. Junge Familien drücken auf die Tränendrüse, lassen ihre Kinder kunterbunte Bilder malen und schreiben ganze Gedichte für die Straßenlaterne, auf dass sich vielleicht doch jemand mit Wohnraum erweichen lasse. Buhu. Solche Dinge haben Sie jetzt hier. Wir haben Wohnungsnot. Zu viel Nachfrage. Zu wenig Substanz. Volkswirtschaft erstes Semester. Angebot und Nachfrage regeln den Preis. Angebot niedrig + Nachfrage hoch = Preise schießen durch die Decke. Dort sind wir im Moment. Beziehungsweise kommen noch weiter dort hin. Noch mehr Schießen. Noch mehr Decke. Denn ich glaube nicht, dass Berlin das Problem absehbar in den Griff bekommt.

Zugegeben, Berlin hat eigentlich gar keine Chance. Begrenzt auf die sinnlose Landesgrenze zu Brandenburg bleibt eigentlich nur, konsequent alle Brachen zuzubauen, wonach die Lebensqualität für alle natürlich eklatant absinkt, oder derbe in die Höhe zu bauen, was die Stadtsilhouette noch abstoßender machen würde als sie sowieso schon ist.

Das einzig verträgliche Städtewachstum, das gleichzeitig Lebensqualität sichern würde, müsste in die Breite gehen, Oranienburg fressen, Bernau fressen, Hönow, Königs-Wusterhausen, Teltow, was aber an der absolut undenkbaren Länderfusion mit Brandenburg scheitert. 1996 haben die Brandenburger eine Fusion abgelehnt und es steht zu befürchten, dass sie es wieder tun würden, würde man sie fahrlässigerweise wieder fragen. Und ich kann das verstehen. Ich würde auch ungerne mit so einem verfilzten Sumpfschmock wie Berlin vereinigt werden wollen, dessen legendärer Politkrebs dann womöglich in meinen Unterleib rüberwuchert.

Der alte Ballast wirkt halt nach. Gute Wohnungspolitik in Berlin ist quasi unmöglich gemacht worden. Das städtische Wohnungstafelsilber wurde von Wowereit und Sarrazin verscheuert, der soziale Wohnungsbau quasi ausradiert und die Heuschreckenwohnungsfondsgesellschaften mit dem Bestand gefüttert. Jetzt ist kaum noch Raum abseits der üblichen üblen Investoreneigentumsglaskästen da. Kein Platz. Dazu zu viele Vorschriften. Zu viel Blockade. Im Ergebnis kein Ausweg, deswegen kommen sie jetzt in ihrer Hilf- und Konzeptlosigkeit mit Enteignungen und Mietendeckel daher, was aber denen, die bisher noch keine Wohnung haben, aber eine brauchen, auch nicht hilft. Und wenn der Mietendeckel irgendwann aufgehoben werden wird, wird der Vermieter alles nachholen was er nachholen kann.

Was sie da im Moment tun, mag denen, die im Bestand wohnen, mal kurz die Dinge lindern, aber langfristig hilft nur Bauen Bauen Bauen. Und Bauen. Und genau das kriegen sie nicht hin.

So laufen die Auseinandersetzungen hier munter weiter an jeder Ecke. Verzweiflung allerorten, so sehr, dass sie schon wieder Kinder auf Transparenten ins Feld schicken, die niemand weinen sehen will, und hochkontrastierte Rentner auf pestschwarzem Hintergrund, die vor Verzweiflung ihr Gesicht in den Händen vergraben, weil der Wohnungsbau den Kleingarten bedroht. Und die AfD hängt sich geschickt in die Stimmungslage. Und treibt als Anwalt der Kleingartenkolonie den verhassten postkommunistischen Senat vor sich her, der immer mehr Abstriche von den Abstrichen machen muss. Das sind die Fronten. Unlösbar. Ich möchte im Moment kein Bausenator sein. Die Stadt ist zu beliebt. Da machze nix. Bleibt die Frage wie man das ändern kann. Dieses Dreckloch von Stadt zur Abschreckung noch dreckiger zu machen als es ist geht kaum, außer man leitet die Abwässer aus den Fallrohren wieder in die Straßenrinnen, die großen Lärmquellen, mit denen man zugezogene altbaukaufende Zipfelmützen vertreiben könnte, haben sie schon längst in die ewigen Jagdgründe geklagt und dummerweise gibt es hier in Berlin inzwischen sogar so etwas absurdes wie gut bezahlte Jobs, so dass noch mehr Leute hier wohnen werden wollen. Elend. Und Not. Und kein Ausweg am Start.

Meine Position ist klar: Ich bin dafür, Brandenburg einzugemeinden. Per Dekret. Einfach so schlucken. Braucht eh keiner. Dann weiten wir Neu-Groß-Berlin bis Frankfurt an der Oder, Cottbus und Angermünde aus, Potsdam wird Regierungsviertel, dann sind die ganzen Spesenritter endlich aus dem Zentrum dorthin ausgelagert, wo eh keiner hinwill, aus der Uckermark machen wir einen großen Nationalpark, in dem wir die stinkenden Touristenmassen aus dem Mauerpark für ihr scheiß Besoffenenkaraoke verklappen, und mit dem Lausitzring haben wir dann endlich auch unsere eigene Formel 1-Strecke in der Stadt, die die Grünen zum Fahrradhighway erklären können, damit man sie noch mehr hasst als sowieso schon. Palim Palim. Fragt mich doch. Mich Flasche Pommfritz. Wo ich bin, ist vorne. Es gibt nur eine Lösung: Brandenburg muss weg. Wir müssen vorher nur 73 Volksbegehren, 12.379 Unterlassungsklagen und die achthundert Verfassungsbeschwerden aussitzen, dann wird das schon, wird schon, ganz sicher wird das.