
Europapark. Das Kind möchte achterbahnen und wir fahren dafür sehr weit weg.
Die Reise von Berlin nach Baden mit dem Auto konfrontiert mich wieder mit der leidigen Sanifairabzocke an den Autobahntankstellen. Sie haben dort irgendwo um Frankfurt herum jetzt Pissbecken mit Bildschirmen, auf denen sie Videos abspielen. An einem Pissbecken. Bildschirme. Natürlich spielen sie keine Pornos, sondern Werbung ab. Und dafür 70 Cent. Ich weiß nicht, welche Konventionen mich eigentlich davon abhalten, mich einfach wieder irgendwo an die Ecke da hinten zu stellen und gegen eine Hecke zu pissen. Wahrscheinlich der Gedanke an die ganzen heckenpissenden Easyjetbastarde, die das in Berlin am Ostkreuz tun, so dass es dort jetzt auch stinkt wie am Zaun einer abseitigen Ecke eines Punkrockfestivals oder einer Kloake in der Dritten Welt.
Als ich vom Sanifairpissloch wieder auf die Autobahn fahre, fährt ein Analfixierter knapp eine Stunde lang hinter mir her und gibt Lichthupe. Weil ich nicht blinke. Er macht nicht nur Lichthupe, sondern auch Blinkezeichen mit der Hand. Weil er registriert hat, dass ich beim Fahrspurwechsel nicht blinke. Yo. Das stimmt. Ich blinke wirklich kaum, da hat er Recht. Ich blinke eigentlich fast nie. Kein Bock. Wenn ich blinke, dann bin ich sicher, dass mein Blinken jemandem weiterhilft. Wenn ich mich irgendwo reinzwänge. Damit er sieht, dass ich mich reinzwänge. Wenn andere Fahrer zu weit weg sind, um irgendeinen Nutzen von meinem Blinken zu haben, lasse ich es schlicht sein. Ich blinke nicht um zu blinken.
Mein Nichtblinken triggert jedoch offenbar diesen Kleingeist, der von Frankfurt bis Heidelberg hinter mir her fährt und gestikuliert. Was ich nicht verstehe, ist die Motivation, die jemandem dazu treibt, einem anderen eine Stunde lang im exakt gleichen Tempo hinterher zu fahren, um ihn zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Ich verstehe das nicht. Würde mir nie einfallen. Aber ich komme ja auch aus Berlin. Meine Toleranzgrenze ist sehr hoch. Ich haue noch nicht einmal einem Assi aufs Maul, der in der S-Bahn rotzestramm eine Vollidiotenbluetoothbox mit gepitchter Kackmucke laufen lässt, eine Kippe in der Hand hat, politische Parolen in die Nacht krakeelt und dazu einen stinkenden Döner frisst. Kein Ding. Berlin halt. Abseitige Verhaltensauffälligkeiten sind mein Gemüse. Wenn den Typen da hinter mir schon mein Nichtblinken triggert, dann sehe ich schwarz, wenn der mal irgendwann Urlaub in Berlin macht. Wahrscheinlich stirbt der während einer ganz normalen Fahrt mit der U7 an einem Hirnschlag.
Doch der Getriggerten nicht genug. Später im Europapark wird mich einer von der Seite, von der aus er mich mustert, darauf hinweisen, dass man nicht immer dauernd auf sein Smartphone schauen sollte. Weil man sonst die echte Welt nicht mehr mitbekommt. Ja, du Arschloch, halt doch einfach dein dummes Maul. Wenn ich wertvolle Ratschläge zur bewussten Verwendung von technischen Gerätschaften haben möchte, gehe ich entweder auf www-punkt-wertvolle-minus-ratschlaege.de oder stelle mich mitten in den Europapark und warte darauf, bis mir ein Mensch, der Bommelslipper mit Tennissocken kombiniert, einen wertvollen Ratschlag zu meiner Lebensgestaltung gibt. Ungefragt natürlich. Wertvolle Ratschläge kommen immer ungefragt. Deshalb sind sie ja so wertvoll. Ihr hässlichen Gesichtsfünfen. Bitte, ernsthaft, was reitet Menschen, anderen Menschen ohne dass die danach gefragt haben, ihre Standpunkte ins Ohr zu nudeln? Was wollen die? Was treibt die an? Was erwartet der Typ nun von mir? Dass ich sage „Hey! Hoho! Erleuchtung! Danke, mein lieber lebenshelfender Hinweisgeber, ich bin so unendlich dankbar, dass mir endlich mal jemand sagt, was ich tun kann, um in den Augen eines völlig Fremden, den ich nie mehr wiedersehen werde, ein besserer Mensch zu werden.“
Affe.
Der Europapark wirkt sehr viel aufgeräumter als Disneyland. Sauberer. Weniger vernachlässigt. Die Klos sind zahlreich und in gutem Zustand. Es gibt locker dreimal so viele Fahrgeschäfte für einen Zehntel des Preises für Übernachtung, Eintritt und Essen als in Disneyland. Weniger Leute auch, die Massen verteilen sich gut. Sieben Stunden Fahrt von Berlin für guten, ehrlichen Spaß mit einem Kind, das zwei volle Tage lang nicht mehr das Leuchten aus den Augen bekommt. Das ist doch was. Ein Kind glücklich machen? So geht das.
Auf einer Bootsfahrt begegnen mir Gartenzwerge am Bootskanalrand, die Dinge tun. Gitarre spielen. Blumen gießen. Haare striegeln. Wäsche aufhängen. Einer sieht exakt so aus wie Oskar Lafontaine. Eigentlich sehen alle Gartenzwerge exakt so aus wie Oskar Lafontaine. Sie wissen nicht wer Oskar Lafontaine ist? Egal. Wenn Sie wissen wer Oskar Lafontaine ist, werden Sie langsam alt. Oder sind es schon.
Ich kaufe zwei obszön große Zuckerschaumerdbeeren für das Kind. Es verlangt, dass ich eine davon esse. Als ich abbeiße, spüre ich die potenzielle Diabetes sofort vom Magen in die Blutbahn surfen. Als ich fertig mit der Laborkeule bin, bin ich hyperaktiv wie auf Koks. Völlig aufgedreht. Was ist das für Zeug? Was verkaufen die da?

Sie haben auf der Bobbahn einen Deutschlandbob. Eine Idiotenfamilie rastet total aus und will den besetzen. Deutschland! Deutschland! Sie wollen nicht den Frankreich-, nicht den Spanien-, nicht den Italienbob haben, es muss der deutsche sein und lassen so lange Leute vor sich bis sie ihren Deutschlandbob bekommen. Ich habe eine Frage. Nur eine. Was treibt die an?
Es ist dieselbe Familie, deren bunt angemalte, übergewichtige und mit bizarren Klunkern behangene Mutter später zur Warteschlange einer anderen Bahn voranstürmt, um ihre elfköpfige Familie danach an mir und anderen vorbeizuschleusen. Sie wird bei ihrem Tun jedoch recht zügig von zwei Beherzten auf ihre Verhaltensauffälligkeit angesprochen und beginnt sofort zu blöken. Die gehören zu mir! Ich war zuerst! Und die zu mir! Alle zu mir! Und so fort. Törö. Hurra. Da sind sie endlich. Die Asozialen. Sie sind überall. Manchmal denke ich, es liegt an mir. Ich ziehe die an. Schleife die mit. Bringe die überall mit hin, wo auch immer ich hingehe. Hallo Europapark, ich bin es. Die Pest. Aus Berlin. Und hier ist mein Anhang. Die Asozialen. Sie folgen mir überall hin auf der Welt. Tut mir ja auch leid, aber ich werde die nicht los. Sie gehören zu mir wie wie die verstopfte Talgdrüse auf der Nase, die ich auch nicht loswerde, aber die wenigstens appetitlicher aussieht als die Asozialen, die ich in meinem Kometenschweif hinter mir her ziehe.
Sowieso herrscht trotz der im Vergleich zu Disneyland übersichtlichen Besuchermengen und vollkommen korrekten Wartezeiten für die Fahrgeschäfte sinnlose Drängelei in den Schlangen. Ich werde Zeuge einer deutsch-französischen Auseinandersetzung, wessen Kind zuerst in den ersten Sitz des Kindercoasters darf. Wieder Geblöke. Auf Deutsch. Auf Französisch. Dann umgekehrt. Als das nicht aufhört, gehe ich an ihnen vorbei und lotse mein Kind in den strittigen Sitz. Worauf sie erfreulich blöd glotzen. Spacken. Interkulturelle.
Der Kindercoaster ist sowieso kacke. Sagt mein Kind. Langweilig. Wir fahren lieber die derbe Achterbahn an der russischen Raumstation. Rückwärts. Fast senkrecht runter. Schicke Kurven. Getoppt wird das nur von der fetten Gazprom-Achterbahn. Es ist die Derbste, die ich je hatte. Russen eben. Immer ein bisschen krasser als alle anderen.
Es hapert ein wenig mit dem interkulturellen Zusammenleben. Von drüben aus Frankreich kommt eine noch überschaubare Zahl an gesichtsverschleierten Frauen, die zumindest von deutscher Seite, die noch nicht daran gewöhnt sind, skeptisch beäugt werden. Ein Bayer sagt irgendwas mit „Da steig I net ein“ und „Sprengstoffgürtel“. Eine Tochter fragt ihren Vater, was das soll mit dem Gesicht verhüllen. Und als er erklärt was das ist, fragt die Kleine: „Muss ich das später auch tragen?“ Nein. Sagt der Vater und versucht dann das Thema zu wechseln. Tjo. So ist das. Kinder fragen Kinderfragen. Darauf braucht es Antworten. Da bleibt noch viel Arbeit für das konfliktfreie Zusammenleben.
Ich unterhalte mich beim Bier mit einem aus Stuttgart. Der beschwert sich bei mir, dass wir ihm aus Berlin die ganzen verschnöselten Ökoasseln schicken. Was? Sage ich. Und ob er mich verarschen will. Meine halbe Nachbarschaft besteht aus Stuttgart, gebe ich zu Protokoll. Ja, noch. Sagt er. Die kämen nämlich jetzt alle wieder zurück in den Talkessel. Und nerven mit ihrem Gehabe dort jetzt die Einheimischen. Wahrscheinlich sind das alle so eine Art Eigentumswohnungsnomaden, die von Stadt zu Stadt ziehen, um anderen auf den Sack zu gehen. Hingehen, abgrasen, Flair versauen, wieder gehen. Ich teile meine Theorie mit dem Stuttgarter. Er findet sie plausibel. Trotzdem legt er nochmal nach: Behaltet die doch bitte. Wir wollen die nicht zurück.

Dann treffe ich auf drei Matronen. Sie jodeln. Kein Scheiß. Denn zur Zerstreuung können Sie in der Schlange für die Wildwasserbahn einen Jodelkurs belegen. An so komischen Automaten mit Knöpfen. Und so jodelt es ununterbrochen. Und die drei Matronen jodeln mit. Dann stellt sich heraus, dass es deren Automaten drei gibt. Und die Matronen jodeln an allen dreien. Mein Kind fragt mich, was mit den Matronen nicht stimmt und ob es sich um Verrückte handelt. Ja. Sage ich. Sehr richtig erkannt. Es sind Verrückte. Stell dir einfach vor, hier wäre Berlin in der S-Bahn und schon passt es wieder.
Frankreich ist nicht weit weg. Das merken Sie an der außergewöhnlich hohen Dichte an gutangezogenen und sowieso gutaussehenden Menschen. Ich mag das. Ich sehe das dort wo ich wohne so selten. Gutaussehend werden Menschen in meiner Gegend erst wieder hinter der Oder.
Die Motoren der kleinen Rennwagen haben einen schönen Sound. Brumm. Röhr. Es sind Benziner. Na klar klingen die gut. Mal sehen wie klingen werden, wenn Bündnis 90 die Umrüstung auf Elektro durchsetzt. Wegen Klimadings. Benzinrennwagenscham. Menschheit. Alle sterben und so. Wissen Sie ja. Wahrscheinlich klingen die Dinger dann wie ein Fön. Oder ein Stromkasten. Oder einfach nach gar nichts.
Quiekende Frauen auf Achterbahnen sind die Hölle. Mein armes Ohr. Ich werde das nächste Mal fragen, ob ich eine Kreissäge mit in die Achterbahn nehmen darf. Um dieses entsetzliche Kreischen angemessen zu kontern.
An dem Eingang zu einer Achterbahn hängt ein Hundeschild. Also eines, das vorschreibt, dass man Hunde nicht mit in die Achterbahn nehmen darf. Solche Schilder gibt es immer aus einem Grund: Weil es schon mal jemanden gab, der das tun wollte und Terror gemacht hat, weil das nirgendwo stand, er das aber trotzdem nicht tun durfte. Deshalb hat man so ein Schild gemacht, um eine Rechtslage zu schaffen. Damit die jungen studentischen Einweiser auf etwas Geschriebenes verweisen können. Ich werde das nächste Mal die Kreissäge einpacken. Wegen der quiekenden Frauen in den Achterbahnen. Und dann mache ich so lange Terror bis sie ein Schild herstellen, dass man keine Kreissägen mit in die Achterbahn nehmen darf. Aber hallo. Hier ist Deutschland. Es braucht mehr Verbotsschilder.

Der Europapark befindet sich in einem funktionierenden Bundesland. Und natürlich ist jeder Feldweg in Baden-Württemberg in einem besseren Zustand als jede Berliner Straße außerhalb des Regierungsviertels. Baden-Württemberg funktioniert eben. Meine Stadt, die sich sinnloserweise auch Land nennt, funktioniert nicht. Sie könnten so etwas wie den Europapark in Berlin gar nicht bauen. Selbst wenn der Entschluss gefasst werden würde, es zu tun, würde nur folgendes passieren: Der aktuell regierende Senat würde eine Arbeitsgruppe einsetzen, die erst einmal zwei Jahre vor sich hin arbeiten würde, um einen Bericht voller Absichtserklärungen vorzulegen, der es aber nicht ins Abgeordnetenhaus schafft, weil vorher die Regierung wechselt. Diese setzt eine neue Arbeitsgruppe ein, die einen neuen Bericht mit den gleichen Absichtserklärungen vorlegt. Der schafft es zwar ins Abgordnetenhaus, wird dabei aber in mehreren Lesungen so verwässert, dass keiner weiß, was nun umgesetzt werden soll. Sechs Jahre später setzt wieder eine neue Regierung eine Arbeitsgruppe ein, die möglichst viele Player an einen Tisch holt, um alle möglichen Partikularinteressen zu berücksichtigen. Zu 2.000 Aspekten eines solchen Freizeitparks gibt es daraufhin 15.458 Meinungsäußerungen, so dass das Projekt in die nächste Legislaturperiode verschoben wird. Die mittlerweile vierte Regierung schafft es immerhin, das Genehmigungsverfahren durch die fünfundsiebzig beteiligten Gremien zu bekommen, kann aber nicht bauen, weil die Deutsche Umwelthilfe klagt. Sie haben einen brütenden Lurch auf dem Gelände entdeckt, der nicht umgebettet werden darf. Als der Lurch die Brut geboren hat, entdecken sie einen schwangeren Schwan, danach eine Otterfamilie, seltene Kröten, die irgendwer dort ausgesetzt haben muss, und einen einäugigen Biber mit Schilddrüsenüberfunktion. Der Baubeginn verzögert sich dadurch um weitere vier Jahre. Mitten im Bau, der nach irgendwas um die 25 Jahre endlich beginnt, verschwindet der Geschäftsführer der mittlerweile gegründeten „Berlin Freizeitpark GmbH“ mit dem Geld vom Firmenkonto nach Panama, wo ihn kurze Zeit später die Zielfahndung des BKA aufspürt. Leider ist das Geld für Koks, Nutten und kurzfristige Bauherrenprojekte draufgegangen, wonach der Berliner Nachtragshaushalt nachschießen muss. Zuletzt sind 30 Jahre vergangen. Die Gebäude stehen. Dann stellt der TÜV fest, dass der Brandschutz mangelhaft ist und es folgen weitere zehn Jahre, in denen sich wechselnde Regierungen gegenseitig die Schuld geben ohne dass irgendwer die Verantwortung für irgendwas übernimmt. Am Ende nutzt die Humboldt Universität die Räume für feministisches Vulvamalen. Mein Berlin. So würde das laufen. Deshalb haben wir in der Hauptstadt keinen Freizeitpark und werden auch nie einen haben.
Für den Querschnitt wieder einmal festgestellt habe ich, dass Süddeutsche sehr nette Menschen sind. Außerhalb von Berlin. Stelle ich jedes Mal fest. Freundlich. Zuvorkommend. Höflich. Hilfsbereit. Irgendwas macht Berlin aus denen, wenn sie dort hinziehen. Oder sie bürgern ihre übergriffigen, großmäuligen, viel zu lauten Nabel-der-Welt-Assis zu uns aus, damit sie sie los sind. Und dann haben wir sie.
So. Hier der übliche kulinarische Tipp: Wenn Sie in Rust, dem Nest, das dem Europapark angegliedert ist, gut zu Abend essen wollen, wenn der Park schließt, dann nehmen Sie das Gasthaus Zum Ochsen. Alles gut. Egal was. Von der sauren Leber bis zum Obstler. Und wieder unfassbar freundlich, zuvorkommend, hilfsbereit. Zwei tolle Abende. Danke dafür.
In den Gasthäusern von Rust können Sie übrigens immer noch Zigeunerschnitzel von der Karte bestellen. Puh. Ich habe kurz geschluckt. Dünnes Eis. Habe ich in meinem hyperkorrekten Superberlin schon Jahrzehnte nicht mehr gesehen. Nicht mal in Hellersdorf. Die trauen sich was. Oder es ist jedem hier einfach egal. Ich vergesse manchmal, dass der herrschende Berliner Moralinkonsens in den meisten Fällen an der Stadtgrenze oder sogar schon an der von Berlin-Mitte endet.
Verbraucher-Pro-Tipp: Stuttgarter Hofbräu schmeckt nicht. Dinkelacker auch nicht. Und auch Schwaben Bräu können Sie vergessen. Trinken Sie badisches Bier. Rothaus. Alpirsbacher.
Auf der Rückfahrt nach Berlin bin ich wieder einmal mit dem Finger in der Nase geblitzt worden. Der Klassiker. Hallo Karlsruher Bußgeldstelle. Schöne Grüße. Sendet euch der Lacher des Monats.
Das war Rust. Mehr war nicht.