Marienburger Kampftag

Montag. Pest folgt auf Pest. Ich habe die Kruste einer alten Laufrundensturzwunde am Knie wieder aufgepult. Sie eitert nun. Meine auf dem Peter-Prinzip Pirouetten drehende Chefin erzählt mir ganz stolz wie Bolle, dass sie schon wieder befördert wurde und steht ganz erwartungsvoll vor mir wie ein Pennäler mit dem Einserzeugnis. Zwischen meinem hintersten und vorhintersten Zahn hat sich ein Fettmettrest verkeilt, der dazu führt, dass ich in der S-Bahn Grimassen schneide, um das Ding da ganz hinten mit der Zunge rauszuzutzeln, und alle mich anschauen wie einen der S-Bahn-Kloppis, die einsteigen, stinkend durch die Bahn marodieren und dann wieder aussteigen. Und weil das nicht reicht, hat Hermes das Paket mit den Südtiroler Schinkenspezialitäten verloren, das laut Tracking erst tagelang in Mainz vergammelte und dann einfach vom Radar verschwand. Ballyho. Tut Tut. Glückwünsche. Was ich immer sage. So ein Leben ist übel. Übel. Sag ich doch.

Ich will, um den Umstand zu feiern, dass ich immer noch weder ein Magengeschwür noch Herzkranzverengung und schon gar keinen Hodenkrebs habe, um die Ecke zur seit Jahren schwer gefeierten Marienburgerie, einer dieser vielen kleinen superfreshen Burgerbutzen, die in den letzten zehn Jahren in den Innenstadtbereichen aus dem Boden geploppt sind und von denen selbst die schlechtesten ihrer Profession den Grind der großen amerikanischen Ketten hinter sich lassen. Denn nein, oh nein, nie nie wieder werde ich einen Big Mac essen.

Hier die Prenzlauer Allee hoch haben Sie im Grunde alle paar Meter so eine Bude und viele davon sind furchtbar. Sie sollten genau wissen, wen Sie besuchen. Entweder haben die Typen schnell, quasi aus dem Stand, von Döner auf Burger umgestellt, um sofort das Dreifache für eine Mahlzeit einstreichen zu können, und so schmeckt das auch, wie ein Döner als Burger, oder der Laden ist gleich wieder superverschnöselt, mit handbesungenen holunderfrittierten Goldspänen auf dem supikorrekten rindermassierten Neulandfleisch, das zwischen Demetervollkornchiabagel, veganem Zwiebelpalmölschmalz und ein wenig pestizidfreier Brunnenkresse geklatscht wird. Oft genug können sie auch einfach das Handwerk nicht, Matschkrambrötchen, prekäres Tiefkühlhack, räudiges Gemüse und üble Soßen aus der Maggihölle. Fällt dann doch wieder nur auseinander und verteilt sich auf Teller, Fingern und Haaren. Das Ganze dann für 8,90. Ohne fritz kola. Cheerio. Iss ma‘, Jung, iss. Bargh.

Die Marienburgerie taugte dagegen immer schon was, deswegen haben sie es auch in die Highscore irgendwelcher superalternativen Tourismuswannabegeheimtipplisten im Internet gebracht, was dazu führt, dass der Laden immer absurd voll ist. Die Leute sitzen sogar wochentags blöd auf dem Bordstein herum, Hawaii-Veggie-Grindcore-Burger in der linken, fritz fucking kola in der rechten Hand. Mumpf Mumpf, mümmel mümmel, das Ding brummt. Ganz Prenzlauer Berg isst da. Und Mitte noch dazu. Hessen. Spanien. Und China.

Der Laden ist gut. Sicher ist er das. Ausbaufähig ist nur der Service, wenn sie die Mahlzeit fertig haben. Ich finde, es bringt relativ wenig, hinter der Theke drinnen den Namen des fertigen Gerichts für jene Kunden zu brüllen, die draußen herumfläzen. Niemand hört das da. Es ist einfach zu laut hier anner Ecke. So hilft es auch nicht weiter, das Gericht noch einmal zu brüllen, dann noch einmal und schließlich ein letztes Mal, um es dann doch genervt nach draußen zu bringen und den Kunden blöd anzumaulen. Schwierig. Ist auch nicht ganz so nett. Da muss eine andere Lösung her. Ein Fließband. Eine Beschallungsanlage. Wartemarkensystem. Oder doch eine Servicekraft mehr, um den Druck von den zu wenigen zu nehmen, die drinnen das Fleisch anbraten.

Wovor die superalternativen Bloggerheinis im Internet allerdings nicht warnen, ist die wagemutige Wegstrecke von der großen hässlichen Greifswalder die Marienburger Straße hinauf. Der Weg ist hart, schwer, derb, denn dort sind sie alle, da ist es, da ist das Nest der berühmten Prenzlauerbergfahrradnazis, die Zentrale drahteselbewaffneter Sadisten und Egomanen, die Kernschmelze ökologisch-korrekter Arroganz zulasten Schwächerer und der fleischgewordene brutalstmögliche Endgegner für jeden, der hier so verrückt ist, zu Fuß unterwegs zu sein. Meine tolle Marienburger Straße. Beziehungsweise beide Bürgersteige derselben.

Hier ohne Panzerung zu Fuß unterwegs zu sein ist je nach Lebenseinstellung mutig oder grob fahrlässig. Mit ihren giftgrünen Strickpullis und den gammligen goldenen Idiotenpantoffeln heizen bebrillte Biofurien mit verbiesterter Miene, wirren Haaren und noch wirrerem Blick den Bürgersteig rauf und runter wie auf dem Lausitzring, das rechte Batikhosenbein stilecht lächerlich mit einem Reflektorband vor der Kette geschützt und meist noch eine leere Alibi-SUV-Lastenfahrrad-Zwergenkiste vorne dran mähen sie alles um, was nicht schnell genug zwischen parkende Autos oder in Hauseingänge springen kann. Dazu ruft der gehetzte Blick den so Genötigten zu: „Hallo? Hallo-ho? Seht doch her die Kiste, zwar leer, aber ich bin Mutter und daher in unheimlich wichtiger Mission unterwegs, ich darf, nein, hallo, ich muss sogar hier fahren! Machen Sie doch mal Platz!“

Besonders perfide sind sie im Doppelpack, wenn auch noch der bedauernswert enteierte Ökopapa mit seinen auf der mit peruanischen Naturfliesen ausgebauten Dachterrasse im eigenen Biobeet großgezogenen Kacktomaten in seinem lausigen Alnatura-Fair-Trade-Jutesack neben seinem weiblichen, genderfluiden oder mirdochegal Pendant die letzte Lücke zur Hauswand für entgegenkommende Fußgänger dichtmacht und dem hoffnungslos verzogenen hinterherradelnden Bio-Nachwuchs schon einmal ganz plastisch vor Augen führt, wie man hier in Prenzlauer Berg als Fahrradnazi mit immer eingebauter Vorfahrt die Bürgersteige möglichst handstreichartig, massiv und auf jeden Fall flächendeckend annektiert. „Siehst du, mein kleiner Diego-Tuvalu, so geht Blitzkrieg. Rein und ummähen.“

Manchmal fährt der kleine, beängstigend schnell lernende Terrorzwerg auch schon ganz alleine vorneweg und rast schon im zarten Alter von vier, fünf, sechs oder mirdochegal Jahren ohne dass ihm natürlich irgendwer irgendeine Grenze setzt ganz eigeninitiativ Fußgänger über den Haufen, die danach von dem filzigen Muttertier mit schneidender von-der-Leyen-Stimme ermahnt werden, weil sie nicht schnell genug ausgewichen sind und dem zarten Nemo-Babalou mit der Kollision von Schienbein mit Fahrradreifen nun ein ganz fürchterliches Trauma beschert haben, das jetzt wieder monatelang im Montessorihort durch meditatives Bogenschießen, Ausdrucksyoga, Flussdiagrammtanzen und Entschlackungstöpfern behandelt werden muss. Oder gleich beim Kindertherapeuten drüben am dämlichen Kollwitzplatz. Privat oder Selbstzahler natürlich. Und im Wartezimmer das Ledersofa und der Kaffeevollautomat. Für den Latte, für den der Bezirk so berühmt ist.

Schuschu lala. Schmock-o-rama. Meine Marienburger Straße. Hier regiert eine ganz eigene Terrorgruppe, superemmissionsfreikorrekt auf zwei Rädern, unkontrolliert, unreglementiert, unverdaulich. Nur ein Haufen Egoratten, ganz bei sich selbst, ohne Antennen, ohne Sinn, ein Leben im reinen Ich. Bleibt nur eine Frage: Wo bleibt die Nato? Ich könnte ein paar Bodenabwehrraketen brauchen. Oder die Bullen. Haben die bei Need for Speed nicht immer so ein Nagelband, wenn die mich stoppen wollen? Her damit. Will ich haben. Hat Amazon das? Nein? Warum nicht?

Wait. What? Hat da jemand etwas von Ordnungsamt gemurmelt? Ordnungsamt? In Berlin? Ja, haha, sehr gut, ein netter Versuch, wenn auch ein untauglicher. Sicher, auch hier in Happy-Hippo-Bionadeland gibt es welche, die in vollendeter Machtfülle uniformiert durch den Bezirk wackeln, doch kümmern sie sich ausschließlich um falschparkende Autos, da dies wesentlich stressfreier ist als sich mit rasenden Furien und Medusen auf dem Bürgersteig anzulegen. Und vor allem bringt das auch mehr ein. Und da der Mensch immer sich selbst am nächsten ist, geht er stets den einfachen Weg: Zettel. Autoscheibe. Schnell weg. Das ist viel angenehmer als sich vor ein rasendes Kinderkistenfahrrad zu werfen, sich beschimpfen zu lassen und möglicherweise sogar angezeigt zu werden, wegen … egal. Da findet sich was. Die haben hier ja alle Anwälte an der Hand, wegen der blöden Mieter. Die die umzuwandelnden Eigenheime frei machen sollen. Da wird sich was finden. Nötigung. Harassment. Hate Speech. Finger im Po. Mexiko. Was weiß ich.

Komisch. Jeder sagt mir immer, dass man Fahrradfahrer mögen müsse. Wegen, keine Ahnung, Klima, kein Auto, rotrotgrüner Supersenat, Habeck, Emmissionsdings, Bums, mir egal, ja, mir völlig egal, juckt mich nicht euer Klimbim, denn ich hasse die, ich hasse die wirklich, Fahrradfahren ist ein Charakterfehler und eine wiederkehrende Erkenntnis nicht nur die Marienburger Straße hoch und runter ist, dass Fahrradfahrer in Berlin zu einem schmerzhaft überwiegenden Teil Asoziale sind. Diesen Monat kam einer auf dem Bürgersteig, es war tatsächlich der von der Marienburger, frontal auf uns zugeschossen, bremste theatralisch vor dem Kind ab und brüllte mich an. Er trug vor, dass er im Recht sei, weil er auf der rechten Seite des Bürgersteigs fuhr. Puh. Einatmen. Ausatmen. Da stehen Sie nun und versuchen, diese vollkommen geistesgestörte Argumentation nachzuvollziehen. Rechtsfahrgebot macht er geltend, der Fahrradsalafist. Was will der Affe als nächstes auf dem Bürgersteig? Ampeln? Eine Rettungsgasse? Fahrspuren? Eine Richtgeschwindigkeit für seinen Bock? Nein, will er nicht, er will eigentlich gar nichts, nur da durch wo ich lang laufe und er ist einfach wieder nur ein rücksichtsloser Vollidiot von vielen Vollidioten dieser mit Vollidioten zugeschissenen Stadt wie die Fahrradnazimutter, die ihrem Kind nur zehn Minuten später hinter uns zurief: „Du musst klingeln, wenn du vorbeiwillst. Die müssen dir Platz machen.“ Nein, müssen die gar nicht, du hässliche Bratze, dein rasender Gnom muss warten bis Raum zum Überholen ist. Oder er fährt einfach langsam und rücksichtsvoll. Oder besser erst gar kein Fahrrad. Weil das schlecht für die Charakterbildung ist. Man kann nie früh genug damit anfangen, kein Fahrrad zu fahren. Um nicht später mit den ganzen bornierten Arschgesichtern in einer Peergroup zu landen, von allen normalen Leuten gehasst zu werden und am Ende einen deformierten Charakter zu entwickeln, der entweder in den Vorstand einer Bank oder in den Knast führt. Oder zu beidem. Nacheinander. Meine Güte.

Die derzeitige Mondphase, das Wetter, die Weltallstrahlung oder überhaupt die schiere Existenz der Dinge an sich scheint Radfahrern momentan sowieso nicht zu bekommen. Sie sind noch aggressiver als sonst. Einer kam mir, eine Ecke weiter auf dem Bürgersteig der Sredzkistraße, entgegen, touchierte mich mit seiner Tasche, brüllte mich daraufhin an und fuhr weiter, nur um eine Minute später umzudrehen, hinter mir her zu fahren, mir von hinten in den Rücken zu treten und dann noch einmal weiterzufahren. So. Einatmen. Ausatmen. Da stehste und verstehst die Welt nicht mehr. Ein Wahnsinn. Diese Leute. Versteh ick allet echt nich. Was kannste da tun? Nüscht kannze tun. Wie immer.

Dann habe ich diesen Monat noch den Paradefehler gemacht und habe auf dem Bürgersteig, dieses Mal dem der Prenzlauer Allee, telefoniert ohne auf den Fahrradverkehr zu achten. Kommt einer angefahren und rempelt mir mit der Schulter das Telefon aus der Hand. Es liegt dann da zwei Meter weiter, der Fahrradnazi dreht sich kurz um und gibt mir das was sie klassischerweise immer geben: Den Stinkefinger. Wow. Ein. Aus. Atmen. Selbst für Berlin ist das eine Steigerung der Asozialisierung, die ich schon für kaum noch steigerungsfähig gehalten habe. Ein neues Knibbelbild für das Bilderbuch für fahrradfahrende Klischeeärsche. Ich bin kein Psychologe, aber mir wird oft eines schmerzhaft klar: Ein zu großer Anteil der hiesigen Fahrradfahrer ist geistesgestört. Irgendwer muss die vom Bürgersteig pflücken. Da hinbringen wo man solche Leute hinbringt. In diese Räume mit diesen Schaumstoffwänden. Da können sie dagegenfahren. Die können sie anbrüllen. Dafür sind diese Räume da.

Ich hatte eine Zeitlang die supertolle Idee, auf der Fahrbahn die Marienburger hochzulaufen, nur ist das leider auch nicht stresslos, wenn Ihnen wie mir eines dieser kleinen lächerlichen Berliner Opel-Polizeiautos entgegen kommt, dessen Besatzung verlangt, dass ich doch bitte wieder bei den Irren vom Bürgersteig laufen möge. Weil sie den Platz auf der Fahrbahn brauchen. Und dann stehste da wieder.

Doch peace. Chill-o-mat mal die Basis. Die Dinge nehmen trotzdem ein gutes Ende. Irgendwie immer. Denn wenn Sie es irgendwie von der Greifswalder Straße bis fast zur Prenzlauer Allee geschafft haben, zu der Höhe, auf der in einer von diesen halbsanierten Takkatukkalandpastellaltbauten die Marienburgerie wohnt, ohne einen der Fahrradnazis zumindest zu touchieren, sind Sie körperlich mächtig gut unterwegs und haben immerhin einen der besten Burger verdient, den Berlin zu bieten hat. Auf dem Bordstein. Weil gerade ein hessischer Bus voller Bembel mit Bock auf Burger angekommen ist.


…nur für dich, Keule, hast ma och jefehlt. Dein Patch hab‘ ick immer noch. Drück dich.