Retrospektive: Engel, keine

(2000)

Ich habe mich mal als Türsteher verdingt. Früher, damals, lange her, zu einer Zeit, in der ich noch nicht wusste was ich werden sollte (was ich im Grunde heute immer noch nicht weiß, ich wurde und werde immer noch stets irgendwo hin geweht, alles was ich bin, war, werde, ist dem Zufall geschuldet, nur dem Zufall, irgendwo abgebogen, weitergegangen, dabeigeblieben, neue Kreuzung, neu abgebogen und so weiter, es war immer so).

Türsteher. Security. Ich war der Babo, Entscheider, Homofürst, der entscheidet, aufpasst, einlässt. Sie dienen sich in dem Job von ganz unten ganz langsam hoch mit der Zeit, außer Sie sind ein gehirnamputierter Sprallo, dann beginnen Sie Ihre Karriere am Notausgang im Keller des Velodroms und Sie beenden sie dort auch. Wenn Sie in den Job einsteigen und nicht den Schwanz eines Entscheidungsträgers in den Mund nehmen, beginnen Sie immer irgendwo ganz unten, dort beim Scheiß, den keiner machen will und von dem sich jeder verabschiedet, sobald er kann, entweder an der Tür eines der schäbigen Clanclubs im Wedding oder irgendwelcher Assiclubs für Lichtenberger Nazikinder auf der Frankfurter Allee oder heute vermutlich kurz hinter der Grenze zu Brandenburg, weil sie hier in Berlin inzwischen sogar die räudige Frankfurter Allee gentrifizieren, so dass die Nazis mal wieder nach Osten ziehen müssen.

Sie fangen mit den letzten Scheißjobs an. Mist, den sie Anfängern geben. Undankbares. Langweiliges. Entnervendes. So wie die Notausgänge. Velodrom. Max-Schmeling-Halle, Olympiastadion, Mercedes-Benz, irgendwo im Keller. In dem Sie für viele Stunden niemand besuchen kommt außer irgendwann die Ablösung, vulgo: Ein anderes Anfängerkellerkind, das einen Notausgang bewacht, den eh nie jemand braucht.

Und irgendwann, wenn Sie erfolgreich vor genug Notausgängen Schmiere gestanden oder genug messerbewehrte Aggrojugendliche verschiedener Ethnien oder politischer Glaubensrichtungen vor den bepissten Klos dreckiger Hinterhofclubs voneinander getrennt haben, ist es dann Mitte. Potsdamer Platz. Als Lakai bei der Oberschicht. Damals im alten Adagio, als es noch offen hatte. Berlinale. Eine geschlossene Gesellschaft im Borchardt. Pariser Platz. Oder im Friedrichstadtpalast. Wenn irgendein Schnöselpreis der schnöseligen Berliner Medienblase von blasierten Schnöseln an irgendwelche anderen blasierten Schnösel verliehen wird und die exklusiv früher von Frauke Ludowig und jetzt von Dunya Halali durchgenudelten abmoderierten D bis F-Promis sich zum gegenseitigen Ärschelecken und gemeinsamen Wichtigtun treffen. Damals trafen sie sich hinter mir. Hinter meiner Kordel des VIP-Bereichs. Jahrelang habe ich das gemacht. Bis zu dem einen Tag.

„Guten Tag, darf ich Ihre VIP-Karte sehen?“

„Sie wissen, wer ich bin?“

„Leider nein. Deshalb muss ich Sie um Ihre VIP-Karte bitten.“

„Sie verarschen mich? Versteckte Kamera oder was? Ich kenne Frauke Ludowig persönlich.“

„Bitte. Nur die VIP-Karte. Dann geht das ganz schnell.“

„Sowas ist mir noch nie passiert. Sie lassen mich jetzt hier rein oder ich schwöre Ihnen, ich mache Ihnen die Hölle heiß!“

„Das kann ich leider nicht machen. Das tut mir leid. Einfach nur die VIP-Karte bitte.“

„Wo ist Ihr Chef? Mit Ihnen rede ich nicht mehr!“

„Ich rufe ihn an. Einen Moment bitte.“

Der Sozialauswurf auf zwei Beinen, den ich von einem normalen Groupie nicht unterscheiden konnte, war Popstar in einer zu der Zeit erfolgreichen und heute vergessenen Castingband. Und ich war am nächsten Wochenende wieder im Wedding. An der Tür. Vom Palace. Kackdisse. Nur Asoziale. Jede Nacht. Kurze Zeit später habe ich gekündigt und wurde woanders hin geweht. Da ging es wieder aufwärts. Bis zum nächsten Dämpfer. Doch das ist eine andere Geschichte.


Retrospektive: Hackesche Höfe