Prenzlauer Bergs unentspannte Kitastresser

Zu den Dingen, die ich nicht verstehe, gehört die operative Hektik morgens in der Umkleidekabine der Kita. Stress. Chaos. Hysterie. Geschrei. Gekeife. Alle sind in Eile. Die Eltern sind gestresst, die Kinder sind gestresst und wer auch noch einen Hund oder ein Frettchen mitbringt, stresst auch die.

Ja. Ich weiß. Es ist frühmorgens. Der März. Dunkelheit. Kälte. Berlin. Eiswind. Geregnet hat es auch. Zu viele Kinderklamotten nötig, die alle verstaut werden müssen. Vier Schichten. Und Eltern = Hektik. Kinder wollen sich selbst umziehen, dürfen aber nicht. Gestresste Mütter zerren an Ärmeln, schütteln an Hosen, gestresste Väter ziehen an Strumpfhosen, rütteln an Jacken, reißen Mützen von Köpfen, Schals von Hälsen, Schuhe von Füßlein.

Und alle suchen die Hausschuhe für den Raum, in dem sie gleich den Morgenkreis abhalten werden.

In der Umkleide herrscht Hausschuhapokalypse. Die Teile liegen überall. Auf der Heizung, unter dem Reck, hinter den Jacken, auf Schränken, in Schirmständern, nie beieinander, kreuz und quer. Sie liegen auch nie dort, wo sie schon einmal lagen. Und schon gar nicht dort, wo sie liegen sollten. Und überhaupt sind sie nicht da. Und wer gestresst ist, den stresst das noch mehr. Theodor-Eusebius! Wo sind die Schuhe? Sag jetzt wo die Schuhe sind! Wo hast du sie hin? Mensch jetzt hilf doch mal mit.

Ich sitze immer nur da und warte bis das Kind fertig ist. Die Hausschuhe soll auch das Kind suchen. Sind ja seine. Ich habe damit nichts zu tun. Wenn es die Dinger nicht findet, soll es halt in Socken zum Morgenkreis. Mir doch egal. Davon stirbt keiner.

Und da sitze ich nun und weil immer wieder irgendwer irgendwas sagen muss, weil sowieso niemand mehr zu irgendwas einfach die Pappen halten kann, ernte ich regelmäßig semiätzende Kommentare:

„Na Sie haben ja die Ruhe weg.“

„So viel Zeit wie Sie hätte ich auch gern.“

Und wenn ich dann antworte „Na dann stehen Sie doch einfach zehn Minuten früher auf.“, kucken sie wieder wie Kühe. Weil sie nicht verstehen was ich meine. Weil das vermutlich zu einfach wäre. Zu naheliegend. Einmal konterte eine von diesen zwanghaft selbstoptimierten Helikoperpilotinnen. Stellte die Allzweckwaffe der Prenzlauer Berg-Mütter, den Rabenvater, in den Raum: „Wollen Sie Ihrem Kind nicht helfen anstatt hier rumzusitzen?“

Nein, will ich nicht. Ich helikoptere nicht. Kann das Kind alles selbst. Dauert halt. Klar. Es sind Kinder. Es ergibt doch keinen Sinn, sich vor aller Augen so gehen zu lassen und das Karma der ganzen Hütte zu verpesten. Es ergibt auch keinen Sinn, die Kinder im Stakkato anzublaffen, schneller zu werden. Das bringt nix. Schon gar nicht um diese Uhrzeit. Nutzt sich nur ab. Und setzt das falsche Signal. Pflanzt früh die elende Zeitnot und den fiesen Stress in die Hirne, der später in Schule, Uni und in den Borgwürfeln dieses Landes noch früh genug kommen wird. Es sind doch Kinder. Die brauchen ihre Zeit. Alles geht etwas langsamer. Weil sie es noch gar nicht können können. Das wird aber noch. Und früh genug.

Doch alleine stehe ich damit im Feld. Sie rütteln und schütteln jeden Morgen wieder aufs Neue an ihren Kindern herum, bellen sie an, weil das nicht schneller geht, blaffen hier, motzen dort, der eine zieht sein Kind wie einen bockigen Hund am Kragen durch den Raum zum Spind und so versauen sie sich und ihrem bedauernswerten Nachwuchs an einem Morgen die Laune für den ganzen Monat.

Ich bin, was mich selbst überrascht, morgens ganz ruhig im allgemeinen Sturm der operativen Hektik, während um uns herum der Zorn, die Wut, das Adrenalin und wahre Flutwellen an PMS wabert, weil ich weiß, dass der Stress des Tages früh genug kommen wird, plane ich großzügig Zeit ein, um ihn noch nicht an dieser Stelle beginnen zu lassen. Der Wecker für Kind und mich klingelt zehn Minuten früher als notwendig. Das gibt allen mehr Luft, Zeit, das schafft Raum für das Kind, das alles selber machen darf und auch selber machen soll. In der Zeit, in der ich in der Umkleidekabine sitze und meinem Kind dabei zuschaue, wie es akribisch, aber eben langsam die Dinge erledigt, überholen mich etwa vier völlig gestresste Elternteile, die vor lauter Antreiben ihres zu dressierenden Äffchens schon früh am Tag mit den Nerven fertig sind und schwitzend vor Wut zum Auto rauschen, nachdem sie das Kind fast in den Morgenkreisraum geworfen haben. Auf Arbeit kommt dann ein Wrack an, das morgens schon alle Puffer des Nervensystems verschlissen hat. Versteh ick nich. Aber gut, das müssen sie alle selber wissen. Es ist ein freies Land. Glück. Schmied. Und so.

Es bleibt nur eine Frage, wirklich eine Frage nur, auf die mir noch keiner eine Antwort gab: Wo ist das Problem, zehn Minuten früher aufzustehen?