Retrospektive: Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion

(2003)

Ich habe mal ein Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung in Tateinheit mit dem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion an den Arsch geklebt bekommen.

Huhu. Klingt krass, nicht?

Ist aber nicht krass. Eher traurig.

Viel war nicht. Ich war nur bei Hertha. Ab und zu gehe ich da hin, wenn ich mal Bock auf schwitzende besoffene pöbelnde Asoziale habe, deren größte intellektuelle Leistung ihres erbärmlichen Lebens zwischen Versicherungsfachwirt, Hypothekenraten und nörgelnder Ehefrau das Rülpsen des Alphabets bis zum T war.

Vorzugsweise gehe ich in den Gästeblock, gerne dann, wenn irgendein Club aus einem reichen westdeutschen Bundesland zu Gast ist. Die gröhlen dann so Gassenhauer wie „Wir ham Arbeit und ihr nicht! Oleeeeee Ole Ole Oleeeeeeeeee!“. Arbeit. Nicht. Weil Berlin. Osten. Arbeitslos. Parasiten. Verstehnse? Diese Helden der Abstraktion. Simplifizierungsrocker. Kurz: Ein Pennerhaufen, diese Fußballsprallos. Ich würde dann gerne zurück brüllen: „Wir ham den Soli und ihr nicht.“ Bis mir dann einfällt, dass ich den Soli selber auch zahle, damit die Städte in Deutschlands Osten noch mehr glänzen und scheinen, während Gelsenkirchen von innen heraus quälend langsam verrottet. Gut, Gelsenkirchen. Traurig genug, dieser Ort. Streng genommen nicht satisfaktionsfähig. Überall würde ich lieber wohnen. Homs. Aleppo. Rückseite des Mondes. Erdloch nahe Tikrit. Im Arsch eines Pavians. Jeder Pferdeapfel eignet sich besser als Behausung als Gelsenkirchen.

In so einem Fußballstadion begrabe ich immer wieder innerhalb von Minuten jede Illusion, dass sich die Dinge irgendwann zum Besseren drehen, die Menschen die Welt schließlich doch zu einem guten Ort machen werden. Schälen Sie sich das aus dem Hirn. Das wird nicht passieren. Werden Sie Realist. Sehen Sie ein, dass es nie besser werden wird. Gehen Sie in ein Fußballstadion.

Wenn ich zum Fußball gehe, sehe ich vergleichswiese wehrhaft aus. Hoodie. Bomberjacke. Polizeistiefel. Reine Attitüde. Denn so lassen mich die gehirnamputierten Fußballspacken in Ruhe. Ich mache das, weil es hilft. Wenn ich so aussehe, lassen sie mich immer in Ruhe. Niemand pöbelt mich an. Sie gehen mir aus dem Weg. Memo: Abschreckung wirkt. Alte Türsteherweisheit.

Zurück nach 2003. Olympiastadion. Als die viel zu jungen Bayernfans vor mir ein Pulver auf die Schalensitze schütten und anzünden, wonach ich vor lauter Rauch nichts mehr sehe, wendet sich meine sonst hilfreiche Bomberjackenoptik gegen mich. Ich werde festgenommen als ich über die Stuhlreihe hinter mir klettere, um meine Atemwege aus dem toxischen Rauch zu bekommen. Ein Uniformierter packt mich am Arm, führt mich weg, übergibt mich der Stadionpolizei unter den Rängen, erstattet eine Anzeige wegen Sachbeschädigung in Tateinheit mit dem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und tritt als Zeuge auf den Plan, der zu Protokoll gibt, gesehen zu haben, dass ich Pulver auf die Schalensitze geschüttet und angezündet habe.

Zu den Dingen, die ich bis dato noch nicht kannte, gehört dieses Verbrecherfoto von vorne und von der Seite, das Sie und ich sonst nur aus schlechten Krimis kennen. Ich musste sogar eine Nummer hochhalten. Dann erkennungsdienstliche Behandlung. Farbe an den Fingern. Ein jovialer Beamter. Der da schon versucht hat, irgendetwas aus mir herauszubekommen. Doch ich habe nichts gesagt, ich sage nie etwas in solchen Situationen. Wer nichts sagt, dem drehen sie auch keine Wörter im Mund herum. Einfache Regel.

Das Ergebnis ist schnell erzählt: Es ist nichts passiert. Ein Anwalt hat mich rausgepaukt. Aus dem einen Uniformierten als Zeugen (der, der mich abgeführt hat), wurden im Laufe des Verfahrens fünf Zeugen, bestehend aus willkürlich herangekarrten Ordnern des privaten Sicherheitsdienstes. Hat nicht gereicht. Ich hatte acht Zeugen. Auch rangekarrt. Sie haben das Verfahren eingestellt. Ich habe ja auch ausnahmsweise mal nix gemacht. Ich war endlich auch mal unschuldig an irgendwas.

Hängengeblieben ist ein Stadionverbot, das nie aufgehoben wurde, ein Eintrag in der Datei „Gewalttäter Sport“ und nicht zuletzt eine Anekdote in der Lebensgeschichte, die ich ordentlich aufblasen könnte, würde ich Dinge gerne aufblasen. Tu ich aber nicht. Es war vergleichsweise schnell vorbei, das Ärgernis. Anwälte sind hilfreich, wenn Sie einen guten auf Ihrer Seite haben.

Memo II: Wie ein Gewalttäter auszusehen, schreckt manchmal nicht ab, sondern kann Sie auch zur Zielscheibe und willkommenes Opfer machen.


Retrospektive: Von Burkina Faso nach Hellersdorf