Bum Bum – zur Hölle mit dem Drehstuhl

Ich habe Sympathie für das Prinzip Auge um Auge. Unmodern. Unpopulär derzeit. Stimmt. Aber egal. Schlagen Sie mich, schlage ich zurück. Pöbeln Sie mich an, ernten Sie exakt die gleiche Menge Gossengepöbel, mit der Sie mich beschenkt haben. Sie dämlicher Arsch. Nerven Sie mich, nerve ich Sie zurück. Immer auf dem gleichen Level. Gleiche Dosis. Auge um Auge. Sind Sie nett zu mir, bin ich es natürlich auch. Auge um Auge auch so. Die Scharia, die mir in letzter Zeit immer mal wieder auf Arbeit in ihren Grundzügen wird, macht das auch so. Alle Dinge gibt es in genau der Weise zurück, in der sie angetan wurden. Ja, hat schon Charme, nicht wahr? Ehrlich jetzt mal ohne das übliche Verbrämen, ohne Geheuchel und superkorrektes Anpassen an die gesellschaftlichen Konventionen. Doch. Bitte. Das Prinzip hat schon einen gewissen Sinn, der schwer abzustreiten ist, offen, ganz offen, ich habe Verständnis für den Grundgedanken, ich weiß schon, warum sie das so tun. Vergebung ist etwas für Menschen, die immer zurückstecken. Weil man ihnen das sehr früh beigebracht hat. Nur keine Bedürfnisse haben und wenn, dann bitte nicht verteidigen, wenn diese angegriffen werden. Ich soll die andere Wange hinhalten? Sicher nicht. Ich sicher nicht. Wie soll der Andere sich weiter entwickeln, wenn er mit seinem Scheiß immer durchkommt? Wo ist da der Lerneffekt? Ich verstehe die Logik hinter dem ganzen ständigen Nachgeben, Tiefstapeln und Zurückweichen nicht.

Butter. Fische. Über mir wohnt eine Selbstständige. Irgendwas mit Internet. Social Media Content Manager. Toxic Twitter Trend Influence Advisor. Vegan Carrot Cake Manufacture Consultant. Vorhautgrindstagram. Snapmeinenschwanz. Egal. Fuck Selbstständige. Alle nachtaktiv. Die dämliche Kuh über mir auch. Arbeitet nachts. Über meinem Schlafzimmer. Und rollte mit ihrem von ihrem Arsch wundgescheuertem Bürostuhl über ihre abgezogenen Dielen. Bis 1. Bis 2. 3 Uhr. Oft bis 4. Früh. Und bei mir hörte es sich an wie Bomber Harris.

Aber natürlich war ich sehr freundlich. Zuckerfreundlich. Extra-Ich-kann-doch-nicht-immer-den-Leuten-gleich-aufs-Maul-hauen-freundlich. Mit doppelt Vanillesirup. Ich kann das total gut. Ich habe gelernt, dass man immer erst freundlich sein muss. „Hi. Guten Tag. Könnten Sie bitte nicht mehr mit dem Bürostuhl über die Dielen fahren? Ich muss schlafen. Ich muss früh aufstehen. Arbeiten gehen. Brauche den Schlaf.“ Bitte. Bitte. Bettel Bettel. Ich hasse mich selbst dafür, weil ich weiß, dass meine Freundlichkeit zu nichts führen wird. Weil sie nie zu irgendetwas führt. Aber die scheiß Konventionen verlangen es, dass ich ihr nicht sofort die Türe eintrete und ihren drecks Bürostuhl den Balkon runter werfe, sondern sie freundlich bitte, damit aufzuhören, mich zu nerven. Was auch immer das soll.

Es klappte sogar für zwei Wochen. Da riss sie sich zusammen. Dachte an mich. Nahm Rücksicht. Dann fing sie zaghaft wieder an: Broommm. Krrrrk. Borrrrommmm. Ein Tag später wieder die volle Ladung : Brrrrrrrrommmmmm borrrommbombooom rrrrrrrrrrromobombomboller. Der Drehstuhl. Nachts um 3. Hass. Die Fotze. Wusste ich es doch.

Ich wieder hoch. Bitte. Bitte. Bettel Bettel. Aufhören. Bitte. (Ich hasse mich selbst dafür). Nur um wieder zwei Wochen Ruhe zu bekommen. Exakt zwei Wochen. Dann brachte sie die Show wieder: Broommm. Krrrrk. Borrrrommmm. Brrrrrrrrommmmmm borrrommbombooom rrrrrrrrrrromobombomboller. Nachts um 2. Hass. I kill you, bitch.

Und dann noch einmal von vorne. Bitte. Bettel. Bla. Chill. Chill. Chill. Broommm. Krrrrk. Borrrrommmm. Brrrrrrrrommmmmm borrrommbombooom rrrrrrrrrrromobombomboller. Halb zwei. Hass. Bitch. Kill. Und so weiter.

Nach der dritten Runde habe ich die Artillerie in Stellung gebracht. Meine Bassboxen. In den Player DMX. Haftbefehl. Seeed. Die alte Scheiße vom Wu-Tang Clan. Egal was. Hauptsache mit Bass. Und die Membran direkt an die Wohnungswand gedreht. Nachmittags immer direkt wenn ich nach Hause kam. Booom. Booom. Booom. Bomm Bomm Boller. Meine Zeit. Von 17 bis Punkt 22 Uhr. Drei Tage lang. Dann klingelte es an der Tür. Was ich nicht hörte, wegen der Musik.

Dann bollerte es an der Tür. Das hörte ich, als ich gerade in der Küche einen Jack Daniels mit Cola mischen wollte, um darauf anzustoßen, dass wegen meiner Musik kein Selbständiger ausreichend Konzentration für die Arbeit aufbringen können wird.

Boller. Boller. Boller.

Die Tür.

Sie.

Von oben.

An meiner Tür. Und sie sprach, nein, sie säuselte:

„Du-huuuu?“

Singsang-Studentinnen-auf-Lehramt-Leierstimme. Quengel-ole. Krieg ich blutige Exzeme am Arschloch davon. Ich hasse Studentinnen. Ich hasse Lehrer. Und dieses Leiern.

„Du-huuuu? Können wir uns mal über die Lautstärke unterhalten?“

„Können wir.“

„Ich muss arbeiten.“

„Ach?“

Seit ein paar Jahren ist jetzt da oben Ruhe. Sie gibt sich ganz große Mühe, mich nicht zu nerven. Weil sie keinen Bass mehr unter sich möchte, der ihre Gläser klirren und den Monitor von ihrem blöden Macbook vibrieren lässt. Weil man so in der Tat nicht arbeiten kann. Nur deswegen. Nicht weil ich anfangs so freundlich war. Jaja. Nur so klappt das. Lernen durch Schmerzen. Rücksicht erzwungen durch schariaeskes Auge um Auge. Meine Nachtruhe durchgesetzt alleine durch lärmemissionsmäßige Rücksichtslosigkeit. Nicht dass ich das im Kern meines verkapselten Herzens gut finde, doch nichts anderes wirkt. Hier ist die Hauptstadt.

Finden Sie noch, dass freundliches Reden ein Problem löst? Echt? Neu in Berlin? Warten Sie einfach ein wenig. Ich gebe Ihnen nicht einmal drei Jahre, dann sind Sie wie ich und brüllen den nach Scheiße stinkenden Besoffenen aus der S-Bahn, sobald er zu seiner Tirade gegen Sie, Ihr Kind, die Welt, die Umstände und Angela Merkel ansetzt, weil er aus irgendeinem Grund denkt, dass er mit seinem Geplärre von Ihnen Geld ertrotzen kann. Sie werden lernen, dass Freundlichkeit Sie hier nicht weiter bringt. Vielleicht in Wien. München. Ulm. Bad Bevensen. Doch hier nicht. Hier ist die Hauptstadt. Hier erziehen Sie Ihre Umwelt mit Schmerzen. Hier tun Sie weh. Hier fügen Sie zu. Hier wehren Sie sich. Denn Sie können sich ganz sicher sein: Alle anderen haben es verdient.