Retrospektive: Eingefahren

Ich musste 19 werden, um auf meine erste Demo zu gehen. Gegen Nazis? Klar, immer schon, immer drauf, nicht immer legal, aber wirksam. Das war wichtig. Hoyerswerda. Solingen. Mölln. Das war erst ein paar Jahre her und ich war wütend. Ich wollte was tun, auf der richtigen Seite stehen, nicht zusehen wie alle anderen und auch nicht wie ein Lichterketteneumel in der Landschaft herumstehen und mein gutes Gewissen in die Tagesschau halten tragen. Das war öde.

Genau wie Latschdemos, die waren auch öde. Und sind es heute noch.

Mein Kumpel – nennen wir ihn Fred – war bei der Antifa. Der hat mich immer mit Dingen eingedeckt, die ich mir entweder auf die Jacke genäht oder gleich mit Uhu rangeklebt habe. Einen Maskierten mit Zwille. Ein A in einem Kreis. Das Emblem vom FC St.Pauli. Und natürlich der unvermeidliche Anti-Nazi-Button mit dem Strichmännchen, das ein Hakenkreuz in einen Papierkorb schmeißt. Ich glaube, es stand „Halte die Umwelt sauber“ oder so. Isn’t it ironic?

Mein Demoeinsatz dauerte 10 Minuten. Ich stand ganz vorne hinter einem Transparent und war als einziger unvermummt. Ich hatte keine Ahnung.

Das Nächste, das ich wahrnahm war ein Sturmtrupp der Hundertschaft, der in das Transparent fegte, ein Knüppel traf meine Schläfe und das Licht ging aus.

Aufgewacht bin ich in einer Wanne, in der man mich in der Ecke sitzend angeschnallt hatte. Mit Handschwllen. Transportiert hat man mich nach Moabit. Untersuchungshaft. Eine Nacht lang. 10 Typen in einer großen Zelle mit einem Kackloch in der Ecke. Zum im Stehen Kacken. Ich musste zum Glück nicht. Um 5 Uhr zur Früh haben sie mich dann auf die Straße gesetzt.

Ab da war ich vorsichtiger.


Retrospektive: Ausnüchterungszelle