
Serdar Somuncu tourt ein letztes Mal als Hassprediger durchs Land. Das Programm läuft aus. Er bringt es inzwischen seit acht Jahren. Nach so einer Zeit kann man auch mal aufhören, man muss die Dinge nicht immer bis zum Hochwürgen immer weiter erbrechen, nur weil es gut ankommt und die Leute einen nur noch sehen wollen, weil man immer schon da war, nicht weil man so gut ist. Wie ein hässlicher Läufer von Ikea, den nur aus Faulheit keiner zum Balkon runterwirft. Ich habe Verständnis, wenn auch mal einer Dinge beendet.
Noch lässt mich das eine Thema der letzten Tage nicht los. Nur zwei Nächte nach der Trump-Wahl ist Serdar Somuncu in Berlin im Tempodrom und ich freue mich auf die Vorlage, die er verwandeln wird. Denn er verwandelt immer alle Vorlagen. Der Mann ist ein Guter. Was wird er raushauen? Wie wird er die Lage kommentieren? Wozu wird er raten?
Ich kann das in aller Kürze festmachen: Da ist nichts.
Oder nicht viel.

Ich sehe Ratlosigkeit auf der Bühne. Höre ein paar halbgare Sätze über gelbe Haare. Orange Haut. Und dass er Angst hat. Serdar. Hat Angst. Mehr nicht. Brummt er vor sich hin. Angst. Punkt. Mehr nicht. Danach zieht er zwei Stunden sein bewährtes Programm durch und ich stelle fest, dass Serdar Somuncu auch keine Idee hat. Er ist wie wir alle quasi entwaffnet. Das ist schwach. Wofür zahle ich Eintritt? Der soll mir bitte sagen was ich denken soll. Wenn ich es schon selbst nicht besser weiß. Doch auch ihm fällt nichts Neues dazu ein. Wie allen anderen, die jetzt wild durch die Gegend analysieren, nachdem ihnen einer wie Trump auf den Eierkopf gefallen ist. Mehr reden. Mehr zuhören. Schreiben sie jetzt. Das ist maximal unglaubwürdig. Erst kübeln sie Hohn, Spott und Kübel voller Jauche auf alle aus, die nicht auf ihrer Linie sind, schreiben dann aber zerknirscht Texte übers Zerknirschtsein, weil das alles nach hinten los gegangen ist. Dabei sind die ehemaligen Meinungsmacher blamiert. Nackt. Und das sieht jetzt auch jeder. Sie sollten mal still sein, doch das liegt ihnen nicht. Still sein können sie nicht.
Andere holen gar schon wieder die alten Panzerfäuste raus, mit denen sie seit Jahrzehnten in eine zunehmend angekotzte Bevölkerung feuern: Alte weiße Männer sind schuld an Donald Trump. Sowieso Männer. Und die Dummen. Die Ungebildeten sind schuld. Ungebildete Männer. Scheiß Populismus. Populismus geht gar nicht. Populismus hat die Frau im Präsidentenamt verhindert. Das ist unverzeihlich. So schnell wird keine mehr in die Nähe der gläsernen Decke kommen. Sie machen es tatsächlich am Geschlecht fest. Trump-Wähler sind Frauenfeinde. Wenn eine Frau nicht gewählt wird, ist das frauenfeindlich. Lesen sie mal, was die Jusos sagen: „Wenn Frauen für Spitzenämter kandidieren, werden in der Politik oft die größten Geschütze aufgefahren. Die Nichtwahl entspringt auch dem Sexismus, der in der Politik vielerorts vorhanden ist.“ Okay, da ging es nicht um Hillary, sondern um die irgendeine ihrer ehemaligen Vorsitzenden, die irgendeinen anderen Posten im Staatsbetrieb nicht gekriegt hat. Aber egal, Frauen nicht zu wählen ist sexistisch. So einfach ist die Welt inzwischen. Und keiner außerhalb von Twitterblasen mag es mehr hören. Das einzig Gute an Trump ist, dass sie jetzt hoffentlich merken, dass sie mit dem Mist nicht durchkommen. Hoffentlich. Doch vermutlich merken sie wieder nichts.

In meinem Freundeskreis hat direkt nach der Trump-Wahl der zweite gute und langjährige Freund in meinem engen Umfeld beim Bier ganz nebenbei erwähnt, dass er bei der Berlin-Wahl kürzlich AfD gewählt hat (falls Sie der erste AfD-Wähler in meinem Umfeld interessiert: hier tauchte der zum ersten Mal auf). AfD. The fuck? Haut der so raus. Als wäre es der normale Vorgang, der er inzwischen vermutlich sogar ist. Die Argumentation kennen Sie: So geht es nicht weiter. Einheitsparteien. Keine abweichenden Konzepte mehr. Alles die gleiche Suppe. Lauter Langweiler. Politisch korrekt bis zur Unkenntlichkeit. Grau Grau Grau sind alle ihre Kleider. Alle sagen in weiten Teilen das Gleiche: Nämlich nichts mehr. Keine Lösung. Keine Ideen. Viel Ideologie. Wenig Meinungsvielfalt. Ein enger Korridor dessen, was genehm ist. Und so weiter. Kennen Sie vermutlich.
Das Schlimme an dem, was er sagt, sind die Schnittmengen mit mir. Ich sehe das, was er sagt, in großen Teilen (mit Ausnahmen, beispielsweise in der Flüchtlingsfrage) auch so. Nur ziehe ich nicht diese Konsequenz. Rechts ist nie eine Option, egal welcher Technokrat an seinem Bürgermeistersessel klebt. Es ist jedoch tatsächlich schwer zu ertragen. Ein Typ, der 10% der Berliner Einwohner hinter sich hat, ruft sich zum Bürgermeister aus, anstatt sich aufgrund des fehlenden Rückhalts voller Scham in ein Kloster zurück zu ziehen. Gerade eben kungelte die Elite diesen Steinmeier ins Bundespräsidentenamt. Und sie privatisieren die Autobahnen, so dass wir bald an ThyssenKrupp unsere Maut abdrücken dürfen. Oder an einen chinesischen Staatskonzern. Sie machen so weiter. Sie machen einfach so weiter. Kungeln. Verscheuern. Verarschen. Das finden Leute, die die AfD wählen, vermutlich ziemlich ekelhaft. Und ich leider auch. Selbst die Merkel tritt noch einmal an. Vermutlich wird es auch wieder eine große Koalition, nach deren vier weiteren bleiernen Jahren noch mehr Leute bis über den Haaransatz angekotzt sein werden. Lernen die nichts? Sehen die nicht wo das hinführt?
Mein erster Reflex, wenn ich einen von den AfD-Apologeten vor mir habe, ist Absetzen. AfD-Wähler finde ich unhygienisch. Wäre das hier hinter seinem Bier nicht mein alter Freund, würde ich den Kontakt aufs Minimum reduzieren oder sogar ganz einstellen. Ich fühle mich matt. Ich fühle mich vereinnahmt. Entkernt. Meiner Waffen beraubt. Im Grunde ist das was sie sagen meine Argumentation, wenn auch von einer anderen Seite her (ich bin Nichtwähler, überzeugt bis in die Haarspitzen, falls das noch nicht bekannt ist). Das bringt mich in die unbequeme Position, eine Haltung gegen die Opposition einnehmen zu müssen, was mich automatisch auf die Seite der Regierung rutschen lässt. Das macht mich kaputt. Da will ich gar nicht sein. Da gehöre ich gar nicht hin. Ich habe keine Lust auf solche Diskussionen, in deren Verlauf ich mich auf der Seite der Merkels, der von der Leyens und der Schwesigs wiederfinde. Wie ist es nur dazu gekommen?

Ich habe nun also zwei AfD-Wähler als Freunde. Verstehen Sie mich nicht falsch, das sind gute Freunde, sie waren es immer schon. Stützen, gute Zuhörer, intelligent, immer da, standfeste Trinker bis der Morgen graut, treu und loyal, fest angestellt, knapp solider Mittelstand, Siemens, Volksbank, Bayer, Senatsverwaltung, suchen Sie sich was aus, einer mit Eigentum, der andere will nächstes Jahr bauen. Draußen in Brandenburg. Beide erklären das was sie da wählen ganz ruhig. Selbst mir. In meinem Freundeskreis bin ich der Linksaußen. Das ist bekannt und wird selbstverständlich toleriert. Es ist nie ein Problem. Ich habe damit auch keines. Nie gehabt. Ich halte das aus, auch wenn die Situation keine einfache ist. Wenn Sie Differenzen nicht aushalten können, sind Sie kein guter Freund.
Nur Spaß macht das nicht. Ich merke selbst, dass ich argumentativ in die Defensive komme. Mir gegenüber sitzen keine Dummen. Diese Leute lesen Tichy. Danisch. Don Alphonso. Die auch keine Dummen sind, egal wie oft man sie noch Rassisten schimpft. Was gegen sie geschrieben wird, verpufft sowieso. Niemand von deren Zielgruppe wirft auch nur einen flüchtigen Blick auf den verlogenen Boulevardmist von Spiegel Online (den ich ja auch verlogen finde, das ist es ja). Das Zeug ist für diese Leute irrelevant geworden. Da am rechtskonservativen Rand sind ganz eigene Kanäle entstanden. Eigene Meinungskanäle. Ganze Portale. Mehrere Autoren. Rubriken. Und die werden gelesen, ganz unabhängig von den alten Mogulen und weit weg von dem, was sie Linkspresse nennen. Da können wir jetzt Purzelbäume machen und nach Luft schnappen: Sie haben Erfolg. Tichy und seine Einblicke können Sie inzwischen gebunden am Flughafen kaufen. Zumindest in Berlin und Frankfurt. Nicht unterm Ladentisch. Sondern ganz regulär als Stapel neben dem Spiegel. Konservative Reiselektüre für Bonusmeilensammler. Ohne Skrupel gegenüber der AfD. Was? Kennen Sie nicht? Tichy? Läuft gut, nur nicht bei Ihnen. Gruß an die Echokammer. Wieso kennen Sie so Zeug nicht? Wählt bei Ihnen keiner AfD? Bei mir schon. Ich habe jetzt zwei von der Sorte. Da können Sie mal sehen.

„Deine Leute sind an der Macht.“ sagen meine Freunde unabhängig voneinander, während ich nur den Kopf schütteln kann. Sprachvorschriften. Veranstaltungsblockaden. Angezündete Autos. Verwüstete Wahlkreisbüros. Drohungen. Anschwärzen beim Arbeitgeber. „Das machen deine Leute. Was sie da ausüben, ist Macht. Sie üben Macht gegenüber der Opposition aus. Siehst du das nicht?“
Dann kommen sie mit den Schaltstellen. Zählen die Regierungsbeteiligungen auf. Die Linke sitzt im Senat, regiert in den Bezirken, in Brandenburg, stellt in Thüringen sogar den Regierungschef. Macht die Gesetze. Setzt die Schwerpunkte. Was bleibe denn da übrig, wenn man eine Opposition wählen will? Sag doch mal. Was denn? Und ich schwimme argumentativ, führe wieder nur moralische Argumente ins Feld, was mir zunehmend schwerer fällt. Viel lieber vermeide ich solche Diskussionen zunehmend. Denn es endet immer im gleichen Kindergartendialog. Zum Beispiel bei der Frage der Flüchtlingsströme: Wir können nicht alle aufnehmen. Doch, können wir. Nein, können wir nicht. Doch können wir, der Kontinent ist groß genug. Ist er nicht. Fruchtlos. Ich überzeuge niemanden mehr. Ich werde mich besser bald in die elementaren Fragen irgendeines populären Idiotensports einlesen, die Namen der Dummköpfe von Nationalspielern auswendig lernen oder die neuesten Entwicklungen in der Familie Lombardi auf Promiflash mitschneiden, dann kann ich schnell das Thema wechseln, wenn es unangenehm wird.
The system is rigged. Mit dem Spruch gewann Trump die Wahl. Das müsste eigentlich unser Spruch sein. Er war es sogar mal. Heute sitzen Leute, die auf meiner Seite verortet werden, in Gremien der Regierung und setzen die Agenda. Und haben in dem, was sie tun, natürlich eine Opposition am Arsch kleben. Inzwischen ganz offen. Offensiv. Und alles andere als marginalisiert. Die andere Seite ist schleichend stark geworden. Arbeit. Kneipe. Fast wirkt es, als sei mit Trump ein Seufzer der Erleichterung durch Teile meiner Umgebung gegangen. Wie ein Akt der Befreiung. Aus der jahrelangen Defensive treten sie nun hervor, trauen sich aus der Deckung. Kein Verbrämen mehr. Offene Karten. „Hey, kuckuck, übrigens, ich habe AfD gewählt.“ Dass sie mir das so offen sagen, ist neu. Lieber wäre es mir gewesen, sie hätten mir das nicht gesagt. Dann hätte ich noch eine Weile die Augen schließen können. Dann wäre noch eine Weile alles in Butter gewesen.

Seitenwechsel. Eine andere Diskussion am letzten Wochenende bei Bier und Erdnüssen betraf mein chronisches und sturbockiges Nichtwählen. Natürlich im Kontext der Trump-Wahl. Es war eine Diskussion mit zwei sehr Empörten, die welche sind, die mir grundsätzlich nahe stehen. Sie haben mich hart attackiert. Härter vermutlich als sie Rechts attackieren würden. Wählen sei jetzt mehr als nur Bürgerpflicht. Quasi Notwehr. Wer jetzt nicht wähle, sei schuld an einer Kanzlerin Petry. Ein Steigbügelhalter. In aller Form mitschuldig. Ich gab an, die Argumentation zu verstehen, doch sie würde mich nicht dazu bewegen, Gestalten wie Müller oder eines der anderen austauschbar neoliberalen Technokratengesichter in ihre Posten zu wählen, welche politische Farbe sie sich auch gegeben haben mögen. Ein Wort gab das andere. Hitler. Machtergreifung. Natürlich auch Hitler. Immer gleich Hitler. Es wurde streckenweise hitzig. Die Diskussion mündete in dem Satz: „Für deine Ignoranz gehört dir in die Fresse gehauen.“
Und damit endete sie. Nach solchen Sätzen endet jede Diskussion. In aller Hilflosigkeit. Mir kam der Bock abhanden, noch zu diskutieren.
Hab‘ gelesen, es läuft nicht gut bei den Lombardis.
Darf’s ein wenig mehr sein?
Populisten und dumme Wähler? Ihr habt nichts, aber auch rein gar nichts, verstanden