Die Quelle

„Letzte Runde“ sagt sie.

„Stimmt so “ sage ich nur wenig später.

„Oh, Trinkgeld“, sagt sie. „Haben wir nicht mehr so oft. Zu viele Touristen hier, seit wir in den Reiseführern stehen.“

„Yo. Die Welt dreht sich weiter.“ haue ich eine Plattitüde in den Raum. Zu mehr reicht es heute nicht mehr. Ich bin ziemlich voll und froh, dass wenigstens die Grammatik stimmt. Und mich keine Zischlaute nebst versprühtem Speichel unmöglich machen.

„Sind schon lange weg, die alten Stammgäste. Die Nachbarn auch bis auf ein paar letzte, die nicht wissen wohin mit sich. Kommen fast nur noch Touristen. Gut fürs Geschäft. Schlecht fürs Trinkgeld.“ schließt sie das Gespräch ab und dreht sich weg.

Die alte Quelle unterm S-Bahnhof. Sie sieht immer noch aus wie früher. Sie haben nichts gemacht. Sie einfach so gelassen wie sie war. Die Requisite. Die nur noch Requisite ist. Hülle dessen, was den Ort mal ausgemacht hat.

Ich komme seit Ende der 90er hierher. Sporadisch. Manchmal Jahre nicht. Dann wieder öfter. Das Publikum hat in der Tat gewechselt. Heute stoße ich mit Chinesen an, die mir auf englisch erzählen wie authentisch diese Kneipe ist. Abgerissene von früher wie die Gruppen verlauster Hertha-Fans mit blau-weißen Kutten, die kaputten Alkis mit ihren Lebensgeschichten, von denen nur die Hälfte stimmt, und die verlebten Nutten habe ich hier schon locker zehn Jahre nicht mehr gesehen.

Für so eine Pinte hatten sie hier immer gutes Essen. Das schätzt auch das neue Publikum. Ein Essen so deutsch wie Rammstein. Die Portionen hier sind immer noch riesig. Deutsch. XXL. Schnitzel. Gulasch. Proteine. Zur Halbe Bier geht das immer noch gut. Geändert haben sie nichts. Und an den Lüftern hängen noch die Flusen mehrerer Jahrzehnte.

Sperrstunde. Sie haben Sperrstunde. Gab es früher eine? Haben sie früher auch schon um eins zu gemacht? Ich weiß es nicht mehr, ich weiß so vieles nicht mehr. Weil die Stadt seit Jahren in hoher Geschwindigkeit ihr Gesicht verändert, kommt es mir vor als altere ich frühzeitig und kann nicht mehr folgen, komme nicht mehr mit. Noch ein kurzer Schluck. Die Berliner Nacht ruft. Es nieselt leicht. Die Nutten auf der Straße des 17. Juni sind auch nicht mehr da. Vielleicht liegt’s am Nieselregen. Vielleicht auch nicht und sie sind grundsätzlich nicht mehr da. Ich weiß solche Dinge nicht mehr.


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