
Prenzlauer Berg. Im Flur der übelsten aller kleinen dummen Werbebutzen in einem frisch begrünten Hinterhof in der von Bamberger Blümchenkleidträgerinnen wundgenudelten Oderberger Straße fällt eine Flasche Rhabarberschorle um. Vermutlich der Wind. Eine Kurbel vom Kicker in der amerikanischen Küche mit den schwarz-weißen Schachbrettfliesen ist kaputt. In der Ecke liegt ein Birkenstockpantoffel. Er hat eine Schnalle verloren. Im Gemeinschaftsraum, an dessen Wand jemand eine Dartscheibe, Che Guevara und eines dieser langweiligen Emailleschilder mit dem Motiv einer altbackenen Waschmittelfirma angebracht hat, ist jemand auf einen unverträglichen Hirsekeks getreten. Die Krümel verteilen sich in den Ritzen des abgezogenen Dielenbodens, aus denen gelegentlich ein Silberfisch die Stimmung im Raum erfasst und wieder abtaucht. Der diesen Laden im Kopf schon lange liquidiert habende Inhaber, der die krude Veranstaltung hier nur noch zur Generierung von Verlustvorträgen betreibt, hat zwei Probleme: Ein Auftrag ist eingegangen und das Koks ist alle.
„Leute, wir brauchen was für die S-Bahn. Ausgerechnet. Jemand ne Idee? Irgendwas?“
Stille.
Es fällt kein Wort.
Der verlebte Typ mit den Flusen statt Bart, der vor zwei Jahren voller inzwischen schiffbrüchig gegangener superkreativer Pläne aus Zagreb hierher gekommen ist und der immer noch keinen Cent Gehalt außerhalb von lausigen Craft Beer-Pop up-Close this shit soon-Bars zwischen Sprengelkiez und Arminiushalle gesehen hat, kaut auf einem unbehandelten Holzbleistift herum. Der Klugscheißer mit Harry Potter-Gesicht links von ihm, den seine halbsenile Erbtante aus dem Beirat der kapitalspritzenden Bank unter der Drohung von Liebes- und damit Geldentzug vor Jahren in die Agentur gefilzt hat, damit der Junge wenigstens so tut als würde er arbeiten, nestelt an einem Riegel mit dem selten blöden Namen Shokomonk herum. Shokomonk ohne c wegen hip. Es ist eine neue Sorte. Hazelnut Quinoa. Passend dazu schmilzt auf der Fensterbank ein halbvoller Becher Ben & Jerrys-Eis. Das gibt es jetzt beim Späti unten als Halbliterbooster für frühzeitige Herzkranzverengung. Es ist die Sorte Half Baked. Halbbacken. Halbseiden. Halbhirne. Einer wie jeder. Niemand sagt etwas. Selbst die aufgedrehte und hoffnungslos überschminkte Eule mit den anachronistischen Dreadlocks und der aufgesetzten Cockney-Deutsch-Mundmische, die vor einem halben Jahr noch in London Pizzapappschachteln als kapitalismuskritische Urban Art-Aktion an die Wände der Hofseite von keimigen Asiarestaurants geklebt hat, hält ihr sonst dauerseierndes Maul und knibbelt am Saum ihres selbstgenähten und zum vor den Zug springen hässlichen Tweedkleids herum. Jemand öffnet eine Proviant-Limo. Der schwarze Kühlschrank mit dem fritz kola-Logo führt auch Bio-Zisch. Ingwer geht gut. Drüben auf der zum Abziehbild mutierten alternativen Flaniermeile der Eitelkeiten, die nur UdK-Studentinnen, meine tote Oma und superironische Touristen aus Bad Bevensen noch Castingallee nennen, rasselt die Straßenbahn arthritisch über ihre Gleise. Im Raum nur trockenes Husten. Stuhlbein auf Holz. Vögel. Das Brummen der Gastherme. Irgendwo weit weg heult ein Kind. Fahrradbremsen quietschen.
“Irgendwas? Nichts?“
Dann meldet sich ausgerechnet der neue Praktikant. Der aus Luckenwalde. Dem schon der Geniestreich „Antonia Kuttner, Mutter, Prenzlauer Berg“ eingefallen ist: „Hey. Wir können doch was mit Hipster machen. Das ist zwar lange schon durch, aber das merken die Idioten von der S-Bahn sowieso nicht. Ich sag‘ nur drei B. Blödmann. Bart. Beanie. Und dann kriegt der einfach ’nen Kaffeebecher in die Hand und das verkaufen wir dann als den letzten Heuler. Die Typen von der S-Bahn sind vermutlich die Letzten in dieser Stadt, die uns glauben, dass man mit so Gestalten mit Vollbart, Beanie auf der Murmel und Kaffee immer noch lässig wirkende Werbung für metrokulturelle Urban Creatives schalten kann. Und um die Idiotie auf die Spitze zu treiben, ziehen wir dem noch so ein scheiß Holzfällerhemd an, das schon seit Jahren keiner außerhalb von Reutlinger Reihenhausgaragen mehr trägt und fertig. Na? Cool? Und weil wir so verdammt ironisch sind, bauen wir einen Kalauer mit doppeltem Boden ein, irgend so einen Scheiß wie: Besser Coffee-to-go als Stop-and-go. Hahaha. Verstanden? Coffee-to-go? Weil die doch alle den ganzen Tag Kaffee im Gehen saufen. Überall. Selbst beim Scheißen. Kein Blödmann ohne Kaffee in der Hand. Nirgendwo. Überall. Und hey: Stop-and-go. Ausgerechnet die S-Bahn. Bei der jeder dritte Zug irgendwo auf der Strecke wie ein orientierungsloser Wal am Strand verendet. Oder bei der ständig eines ihrer Signale vor die Hunde geht. Weichenstörung. Kabelstörung. Störungen im Betriebsablauf. Hirnstörung. Stop-and-go. Die S-Bahn. Die unangefochtene Meisterin aller Stops and gos der Welt. Köstlich. Dass wir sie nach Strich und Faden verarschen, merken die Schwachköpfe nie. Wir kalauern denen einfach volle Socke vor den Koffer.“
Zustimmendes Raunen. Begeisterung bricht Bahn. Der verlebte Typ mit den Flusen statt Bart macht eine Skizze. Der Klugscheißer legt den Riegel zur Seite und faltet die Hände. Die Eule faselt etwas von Grüntönen. Kombiniert mit Ocker. Und Azur.
„Super Idee. So machen wir’s. Wer klebt sich den Bart an? Noël-Aristide, du? Oder wollen wir wieder den Penner von der Wodkakampagne damals nehmen? Ich meine den, bei dem ihr damals gewettet habt, ob er sich die affigen Glaskristallohrringe von Nanu Nana tatsächlich an die Löffel hängen lässt? Der macht doch jeden Scheiß mit. Sacht was. Auf geht’s. Ehrgeiz.“
„Der mit den Ohrklunkern ist zu teuer für die S-Bahn. Der wirbt inzwischen sogar für Helgas Heißmangel in der Allee der Kosmonauten. Keine Chance, dass wir den bekommen. Wir nehmen besser gleich Noël-Aristide.“
“Check. So. Genau so. Und jetzt zum Wichtigen: Wer repariert endlich den verfickten Kicker?“