Unter Müttern: Bastelstunde

Horror me perfundit. Die Kita hat zum Bastelnachmittag geladen und ich bin auch noch hingegangen. Ich hasse Basteln. Ich bin eher der Arbeiter. Wenn die Kita irgendetwas abzureißen, zu streichen oder zu montieren hat, lasse ich mich gelegentlich mal sehen, heuchle Interesse an der Einrichtung, tue so als würde mir das Wohl der Aufbewahrungsstätte am Herzen liegen, dabei geht es nur um das eigene Kind. Natürlich. Es geht immer um das eigene Kind. Aufbau kleiner Holzwippen, für die das eigene Kind schon zu groß ist? Was soll denn das? Ich hab‘ gar keine Zeit. Was? Streichen des Hortraums für die einjährigen Winzlinge? Pfft, sollen doch die Eltern der Hortkinder machen, deren Gnome nutzen den Raum doch. Oh. Kletterding für mein Kletterkind? Klar bau‘ ich das Ding auf. Hier bin ich. Born to Bohrmaschine. Die Sache mit dem ganzen ehrenamtlichen Zeug ist sowieso wie immer: Ein kleiner Teil ackert und bringt sich ein, die Mehrheit konsumiert und hält sich raus. So stehen die Dinge. War immer so. Wird immer so sein.

Sich blicken zu lassen, um Dinge zu bauen, hat jedoch handfeste Vorteile. Ist taktisch ratsam, wenn Sie so wollen. Das gute alte Netzwerken. Leute kennenlernen. Kontakte zur Kitaleitung pflegen. Wer weiß, ob ich nicht irgendwann wieder einen Sohn von jemandem aus dem Borgwürfel, von dem ich mal was brauchen könnte, außerhalb der Warteliste in meine Kita einschleusen kann. Außerhalb der Warteliste? Aber sicher, immer außerhalb der Warteliste. Wer sich mit seiner Körperkraft einbringt, kann Kinder gewogener Leute (Nachbarn, Freunde, Borgwürfelzombies) einschleusen, na klar, wo leben Sie denn? Leute, die an objektive Wartelisten von Kitas glauben, glauben auch an nicht-korrupte Mandatsträger, an roten Ampeln haltende Radfahrer oder an den Weltfrieden. Lächerlich. Auch in den Kitas regiert der Filz. Von Begünstigten liebevoll Vitamin B genannt. B wie Beziehungen. Natürlich. Prenzlauer Berg ist immer noch dichtgeschissen mit Kindern ohne Kitaplätze. Ohne Beziehungen kriegen Sie Ihr Kind nur in einer der heruntergekommenen Katholikenknäste am Stadtrand unter, oder bei irgendwelchen privaten waldorfigen Birkenstockmontessoris, in einem seelenlosen Bürogebäude direkt neben dem Flughafen Tegel oder irgendwo noch weiter weg bei den Direktorengattinnen von Zehlendorf, die sich lieber die Brustwarzen ihrer Silikontitten abkauen würden als ihr Kind zusammen mit den ganzen Versagern vom Quotenprekariat der alten US Army-Bauten in einer öffentlichen Kita unterzubringen. Dort. Da ist noch Platz für Sie. Und dafür fahren Sie dann morgens anderthalb Stunden mit der maroden Berliner S-Bahn an den Enddarm der Stadt, bevor Sie wieder fast genauso lange zurück zur Arbeit fahren, damit ihr Kind versorgt ist. Und alles nur, weil Sie an faire Wartelisten glaubten. Sie Anfänger. Nie wird Ihr Kind in Prenzlauer Berg einen Platz bekommen. Nie.

Ja, ich habe auch schon Kinder eingeschleust. Ohne Warteliste. Nebenbei. Zack. Drin. Geht ganz schnell. Keine Liste, kein Warten. Ich kann das. Warum? Weil ich mich einbringe. Nicht zuviel, dass es anbiedernd wird und sie mich nachher ständig für jeden Scheißdreck ranziehen, doch genau so viel, dass es bemerkt wird. Positiv registriert. Man kennt mich. Man mag mich. Nach einem Jahr war ich soweit: Ich habe das erste Mal geschleust. Haha und wir alle wissen, so ein eingeschleustes Kind eines panischen Kollegen schafft Dankbarkeit für mindestens 2-3 Gefälligkeiten in meinem euphemistisch Arbeitsplatz genannten Borgwürfel. Termine bei irgendwem. Sensible Informationen. Dreckige Wäsche. Personalien. Streichkonzerte. Her damit. Geben und Nehmen. Eine Hand wäscht die andere. Vetternwirtschaft und Filz. Erste sanfte Triebe von Korruption. Und ich mittendrin.

Und deshalb sitze ich jetzt hier beim Bastelnachmittag. Um auch da mal gesehen zu werden. Denn ich habe schon zu lange nix mehr aufgebaut, abgerissen, gestrichen, verfugt.

Was ich nicht wusste: Es geht bei so einem Bastelnachmittag gar nicht um die Kinder, auch gar nicht so wirklich ums Basteln. Das ist nicht weniger als ein Nachmittagsmüttertreff voller Tratschen und Klatschen bis die Ohren bluten. Die Kinder sind versorgt, hängen in irgendeiner Ecke ab und spielen Eisenbahn oder Auto oder Kaufmannsladen und die Mütter sitzen da und sabbeln. Ab und zu schneidet eine irgendeinen Bogen Papier. Eine andere klebt eine Blume drauf. Dann werden über eine lange Zeit Informationen ausgetauscht. Neue Schwangerschaften. Stuhlkonsistenzen. Eine neue Vitrine, eine neue Wohnung oder ein neuer Ernährer (in dieser Wertigkeit). Als ich schließlich frage, wann es denn los geht, drücken sie mir eine Pappe in die Hand. Ich soll kleine Kreise ausschneiden. Ganz viele. Und Sterne. Ich schneide aus.

Mein Kind hat derweil erst die ganzen auf Untertellern rumgammelnden Butterkekse gefressen (die waren vermutlich noch von Weihnachten 2012 übrig) und sich dann in eines der Spielzimmer verpisst, so dass ich nun hier sitze, debil vor mich hin bastele und erkennen muss: Das Kind hat auf diese ganze Scheiße hier genauso wenig Bock wie ich, verfügt aber im Gegensatz zu mir über die Möglichkeit eines geordneten Rückzugs. Die habe ich nicht. Ich muss basteln. Es soll im Ergebnis irgendein Deko-Scheiß aus Pappe werden, der drei Tage im Flur von der Decke baumeln wird, bevor der Hausmeister das Zeug in den Müll schmeißt, in dem noch der gebastelte Schrott von letzter Woche liegt. Wofür ist das gut? Die Kinder interessiert das einen Scheiß. Das Zeug will keiner sehen. Hier sitzen einfach nur Mütter und klönen unter dem Vorwand von Bastelei. Und ich, der nicht klönt. Weil ich Klönen nicht ausstehen kann.

Nach zwei quälenden Stunden des Herumhantierens mit Schere, Kleber und Klopapierrollen weiß ich nun all die Dinge über Dekoration von Kindertagesstätten, die niemand wissen muss: Die Farbe Lila würde gut für die Blende der Schublade der Kinderküche passen, man erwägt, Tücher in mehreren Farben an der Decke des Tobezimmers anzubringen (aus welchem Grund, weiß ich nicht und sagt auch niemand, vermutlich nur aus Gründen der Dekoration) und in die nächste Sitzung des Elternbeirats soll die Anschaffung eines großen Planschbeckens eingebracht werden. Der Witz ist: In diesem Elternbeirat sitzen die alle drin! Alle die hier sind und basteln. Derlei Innovationen könnten die eigentlich gleich hier beschließen. Tun sie aber nicht. Sie treffen sich alle noch einmal. Für eine Sitzung, deren Protokolle ungelesen zwischen den Joghurtbechern unserer gelben Tonne im Hof landen.

Das Basteln hier ist überflüssig, meine Anwesenheit ist überflüssig, vermutlich ist es meine ganze Existenz. Das hier ist Mütternetworking. Nur bin ich keine Mutter. Sie machen hier das, was die Männer beim Handwerken machen. Nur mit Basteln. Und Müttern. Mich – den auf jeden Fall ersten Penisträger, der sich jemals hierher getraut hat – haben sie kaum beachtet, eher zwei Stunden lang nebenbei mit einer Milde betreut, mit der sie ein behindertes Kind behandeln würden, sie haben mir gezeigt, wie ich was schneiden und wo ich was kleben soll, doch ich saß im Grunde herum wie ein Veganer vor dem Spanferkelgrill beim Mittelalterfest. Deplatziert. Ein zu groß geratenes Kind, mit dem keiner spielen wollte, und nicht einmal die Kitaleitung war anwesend, die hätte wohlwollend verzeichnen können, wie toll ich mich hier eingebracht habe, was locker wieder für 2-3 Schleusungen an der Warteliste vorbei gereicht hätte. Leider nein. Für die Füße. Und mein Bastelergebnis sah sowieso aus wie ein blaues Ungeheuer auf Koks, ein Goblin, ein Ding für jahrelange Albträume, ein Fall für den Kindertherapeuten, aber darum ging es ja auch gar nicht. Wenn sie den Scheiß überhaupt aufhängen, dann nur für ein paar Tage, an denen keiner bemerkt, dass da überhaupt was hängt. Kitabasteln. Meine Güte, wo kann ich hier Bier kaufen? Ich komme auf jeden Fall erst wieder zum Abriss des maroden Kletterbaums mit der Kettensäge. Oder beim Zusammenhämmern irgendwelcher Bretter für irgendeinen anderen Kletterbaum. Hammer. Bohrmaschine. Säge. Das ist martialischer. Laut. Männlich. Ugga Ugga. Und ich werde auf jeden Fall bemerkt. Und dazu gibt’s dann Wurststullen und Bouletten. Statt Butterkekse und diesen gruseligen Früchtetee. Pina Colada. Sie hatten Pina Colada. Es gibt nichts Schlimmeres als Pina Colada-Tee.

Zwei Stunden. Das war der minimalst höfliche Zeitraum, um in Würde zu gehen. Aufzustehen. Unbeholfen zu winken. Verabschiedungsfloskeln zu nuscheln.

Yo. Ick hau rin. Tschüß zusammen. Schönen Abend noch.

Ah, ja. Tschüß Herr …

… Stevenson …

Stevenson! Ja, klar. Der Vater von Kevin.

Nee, von Patrick.

Ja, klar. Patrick. Schönen Abend noch.

(geht ab)