Tanz die Dekadenz

Oh nein. Das verfluchte Adagio am Potsdamer Platz. Der Schnöselclub der Schnöselclubs. Selten war mir schon so kurz nach dem Eintritt so schlecht wie hier. Aalglatte FDP-Restposten meets RCDS-Nachwuchslackaffen, blondierte Botox-Schicksen meets Lader-Koth-Imitate, nur jünger, und Big Brother-Container meets Exclusiv Weekend mit Frauke Ludowig mit einem Hauch Gina-Lisa Lohfink neben Julian Stöckel beim Showposen auf Ibiza – eine Ansammlung von Unsympathen mit viel Geld. Geht nicht auch dieser großmäulige ZDF-Fernsehkoch hier hin, der über den Bildschirm springt als würde er sich das Speed schaufelweise in die Nase schnupfen? Bestimmt. Er gehört hier hin. Alle gehören sie hier hin, die auf der Sympathieskala des Karmas die Abstiegsränge belegen.

Mein erster Gedanke ist, als ich die Treppe zur gemieteten Loge hinaufsteige, dass hier wahrscheinlich die ganzen Zocker und Wertpapierheinis ihre Boni versaufen, die jene armen Irren, die von ehrlicher Arbeit leben, aufbringen müssen – wo ich hinschaue Bleichgesichter, dürre Schleimer mit Krawatte, gegeelt, maskenhafte Versicherungsvertreterfratzen, andere solariumsgebräunt mit aufgepumpten Luftkissenmuskeln und dabei so sympathisch wie einst Westerwelle zu 14,6%-Glanzzeiten in endlos eitlem BWL-Habitus und Jura-Dünkel, nach den ersten Drinks gerne mit ganz dicker Fresse gegenüber den wenigen Touristen, die sich hierher verirrt haben, wie Falschgeld wirken und diesen Ort wahrscheinlich für das echte Berlin halten, endloses Dauergepose im Raum, Brunftzeit, die Weibchen trinken was man ihnen ausgibt, die Pfauen recken das Gefieder, Siegelring am kleinen Finger, Hilfiger-Hemden, Golfschuhe, Amex, sie wollen zeigen was sie haben, doch sie haben irgendwie nicht viel, außer Geld.

Also trinke ich und trinke und zahle und zahle und werde ruhiger und ruhiger, während die ganze Szenerie wie ein von einem wahnsinnigen Regisseur auf Ecstasy gedrehter C-Movie an mir vorbeizieht. Aggressivität ist hier Fetisch, den ich irgendwann mitspiele, auf der Tanzfläche wie an der Bar und an der Treppe nach oben zu meiner Loge – ey hau ab, geschlossene Gesellschaft! – Fresse, meine Loge, Penner! – Ellenbogen, billiges Gebalze, schlechter Tanz, Brust raus, Schultern breit, einer will tatsächlich mit mir vor die Tür, sich prügeln, weil ihm die Frau gefällt, mit der ich hier bin, während ein paar Meter weiter einer gruppengemobbt wird, weil er – wie sie ihm sagen – schwul aussieht. Er scheint wohl zu wissen, dass das hier nur Maulhelden sind und ist so gelassen wie ich mir Mühe gebe es zu bleiben. Und was? Nein, ich gebe dir keinen Champagner aus, Mädchen, geh spielen – Ficköööön! rülpst mir gleich darauf ein anderer seinen Champagneratem ins Ohr, Gottgütiger, der viele Alkohol hilft auch nicht gegen diese abstoßende Atmosphäre, die mir aus allen Richtungen zuschreit: Geh doch! Hau doch ab! Du gehörst hier nicht her und wo ist überhaupt dein Maserati?

Aufwachen. Held. Aufwachen.

„Kommst du mit ins Adagio?“ fragt der beste Freund der Welt. Bitte nicht, antworte ich. Einmal reicht, einmal musste ich das gesehen haben, die, die auf der anderen Seite des Gatters leben, denn wisse, es ist meine Neugierde, meine ewige Neugierde, ich muss sehen, wie sie leben, wie so ein Besuch im Zoo, fasziniert von Lebewesen, die sich gegenseitig die Korinthen aus den Hintern pulen oder wie hier ihren botoxversteiften Frauen besoffen mit den goldberingten Fingern in die Silikonbrustwarze zwicken.

„Komm, los, komm doch mit ins Adagio.“ insistiert er. Nein, antworte ich noch einmal. Wedding, sage ich dann. Ein ehrliches Pils im Wedding. Kneipe. Wedding. Mehr brauche ich nicht.