Sturm, Regen und müde Refugees

Ich sitze im Auto und habe nur wenig Lust, auszusteigen. Den ganzen Morgen schon regnet es Esel und Ratten und ein hässlicher Sturm bläst seine Backen auf.

Es ist halb zehn. Andere drehen sich zu so einer Uhrzeit noch einmal um, ziehen die Decke bis über die Ohren und hören dem Regen zu, der auf das Blech ihrer Fensterbänke trommelt.

Dass der wettermäßig unangenehmste Lauf bereits im September stattfindet, hatte ich nicht auf der Rechnung. Kalt. Regen. Und fiese Böen wehen. Hier bringt gar nichts irgendwas. Ein Regenponcho würde in Fetzen, eine Kapuze vom Kopf und jede Mütze weit weg Richtung polnische Grenze geweht.

Natürlich könnte ich mir für solche Gelegenheiten eine dieser hermetisch abriegelnden Hightec-Laufburkas aus den diversen Sportkatalogen kaufen. Stirn verschleiert. Reißverschluss bis zur Nase. Ohren dicht. Und nur noch die Augen und ein Stück der Nase kucken raus. Ich sehe einige von denen hier auflaufen, die nicht nur das, sondern noch teureres Equipment mit sich herumschleppen – stolz wie Bolle auf die Gelegenheit, das ganze Zeug endlich mal auszuführen. Nässeschutz für GPS-Tracker nebst Pulsmesser zum Beispiel. Und furchtbar teuer aussehende aerodynamische Laufleggings mit wasserdichter Schlaufe um die Laufschuhe. Ich lache und freue mich. Hier gehen vollverkabelte Kondome mit zwei Beinen unten dran an den Start. Jeder Mumifizierungsfetischist hätte seine pure Freude.

Heute ist einer dieser Benefizläufe. Ich verbinde das Nützliche mit dem Nützlichen. Laufen und Spenden. Ich nehme fast an jedem Benefizlauf der Stadt teil. Egal für was, egal für wen. Ja, Charity, Gewissen beruhigen, Ablassgedöns, mittlerweile vollkommen verpöntes Gutmenschenzeug, für das Sie inzwischen an unwirtlichen Orten wie dem Borgwürfel Hohn und Spott einstecken müssen. Mir egal. Lieber auf meine Tour als so wie der 4.000 Euro netto im Monat schwere supersportliche Vertriebsgnom, der in der Teeküche das Statement „Nee, 20 Euro für nen 5 Kilometer-Lauf is mir zu vülle. Dafür jips ja nich ma’n Laufshirt.“ für meine persönliche Shitlist hinterließ. Ja, natürlich schenken sie dir kein Laufshirt für umme, du Honk, deswegen heißt das ja Benefizlauf.

Charityesk ist auch die Aktion, Flüchtlinge aus den aktuell in Berlin eingerichteten Lagern (natürlich sind das Lager. Wie sagen Sie denn? Zeltstadt? Campingplatz?) kostenlos teilnehmen zu lassen. Dafür gab es Paten, die das Startgeld und abgelegte Sportklamotten zur Verfügung gestellt haben. Das zeugt zwar von ganz viel gutem Willen, aber ich bin nicht überzeugt, dass es zuende gedacht war. Denn schon nach zwei Kilometern zeigt sich ganz augenfällig, wer von den Läufern ein Flüchtling ist. Es sind jene, die die ersten zwei Kilometer im Supersprint ganz vorne an der Spitze des Feldes zurückgelegt haben und zwischen Kilometer 2 und 3 völlig entkräftet außer Atem an der Seite stehen und nicht mehr können. Klar, Anfängerfehler, haben wir alle gemacht. Zu früh zu schnell gewesen und dann voll abgekackt. Hat ihnen wahrscheinlich keiner gesagt, dass es in untrainiertem Zustand auch bei lausigen 5 Kilometern besser ist, die Sache langsam angehen zu lassen. Und selbst wenn es jemand gesagt hat, dann greift das Phänomen, das ich auch von mir selbst kenne: Ich lerne nicht durch kluge Ratschläge, sondern nur durch Schmerzen. Ist eben so. Und hier ist es auch so. Die regulären Teilnehmer laufen ihr jeweils gesundes Tempo und die Flüchtlinge wechseln zwischen verzweifelten Sprints und deprimierenden Stehpausen ab. Einer versucht noch bis Kilometer 4 mit mir mitzuhalten, dann bleibt auch er kopfhängend zurück.

Ja, nett gemeint, die Idee. Aber trotzdem nicht gut. Ja, Integration, ja, in die Mitte nehmen, mitmachen lassen, ja, alles gut, richtig sogar, aber hier wird nur die sportliche Überlegenheit selbst der dickeren deutschen Mitläufer zelebriert, die an den nur an dickem Seitenstechen leidenden Flüchtlingen vorbeiwackeln. Ja, es ist ein Benefizlauf, ja, kein Wettbewerbsgedanke bla bla, aber bis auf die Stockenten (vulgo: Walker) will jeder zumindest einen Teil des Feldes hinter sich lassen und schon mal gar nicht vor aller Augen am Rand abkacken.

Und ich? Mehrmals bin ich versucht, einem von ihnen auf die Schultern zu klopfen und „Come on, don’t give up“ oder irgendsoeinen Scheiß zu sagen, doch ich mache es nicht. Denn es klingt so schmierig gönnerhaft und schmierig gönnerhaft möchte ich so wenig sein wie alle anderen Läufer, die einen der Stehengebliebenen passieren, mitleidig kucken und weiterlaufen. 5 Kilometer. Völlig untrainiert. Klingt wenig, ist aber nicht ohne. Und dazu regnet es. Und stürmt frontal. Das Herbstwetter macht die Stadt noch trostloser als sonst. Und wenn jemand bei einem Lauf, der sowieso nie sonderlich kommunikativ ist, ganz alleine am Rand des Felds zurückbleibt, ist trostlos vielleicht fast schon eine Untertreibung.

Nächstes Mal vielleicht doch besser ein Besuch im Zoo. Zu Union in die Alte Försterei (bitte nicht Hertha, die Menschen dürften genug schlechte Gesellschaft für fünf Leben gehabt haben). Oder Alba. Füchse Berlin. Oder zusammen Essen kochen. Fußball spielen. Volleyball. Langsam integrieren. Nicht überfordern. Nicht zu viel auf einmal. Nicht von 0 auf 100. Zu viel kann manchmal auch zu viel sein. Sagt der, der es auch nicht besser weiß.