Wacken 2015 – Sie sind tot, Jim

Wacken. Der letzte Tag.

Das interessanteste von vielen Gesprächen führe ich besoffen mit einer Besoffenen aus Bonn.

„Jetzt habt ihr ja alles in Berlin. Alles was früher in Bonn war.“

„Hey hallo? Eure Politiker hättet ihr behalten können. Die wollte bei uns keiner haben.“

„Haha, nee da sind wir froh, dass wir die los sind. Jetzt habt ihr die auf dem Hals.“

„Wollt ihr die nicht wiederhaben? Arbeitsplätze und so…“

„Wieso? Die arbeiten doch nix.“

„Schade.“

Dann dreht das Gespräch überraschend.

„Bei euch in Berlin steigen die Mieten jetzt, oder?“

„Yup, nicht zu knapp. Für ganz normale Wohnungen musst du jetzt Bewerbungsmappen vorlegen wie für ’nen Job. Und dann casten sie dich unter 20 anderen Heinis, die alle ihre Vorzüge anpreisen.“

„Ist bei uns auch so. Teuer geworden.“

„Das wird irgendwann knallen.“

„Jep. An der Wohnungsfrage entscheidet sich, ob die Sache kippt.“

„Ich glaube, es wird kippen. Nicht heute, nicht morgen, aber in ein paar Jahren.“

„Bei uns in Bonn ist es schon gekippt.“

Dann sind wir bei meinem Bulli und verabschieden uns. Gespräche über die Wohnungsfrage nehmen zu in den letzten Jahren. Die Entwicklung bereitet Sorge. Wohnen ist elementar und die Unsicherheit knabbert an den Grundfesten von jedem, der kein Eigentum schaffen kann.

Das beschissenste Gespräch von Wacken führt neben mir am Jägermeisterstand ein besoffener alter Wichser mit einer jungen Slowakin. Eigentlich ist es kein Gespräch, sondern ein Monolog. Und der besoffene alte Wichser, der so satt wie zufrieden aussieht, erbricht was er gelernt hat:

„You know, we are all here one Europe. We Germans only want you other nations to be as successful als we. We are not evil. We have done hard things … Arbeitsmarktreformen … now we are very good in economy. You must do that too so we can all build one Europe.“

Affe. Wo ist die Dienstlimousine? Hier wartet ein verkappter Schäuble auf Abholung. Schade, dass der Matsch an dieser Stelle getrocknet ist. Diese satte zufriedene Hackfresse hätte so gut mit der Nase voran in den Modder gepasst. Ein Tritt in den Arsch und dann läge er da. Hier hast du deine Arbeitsmarktreformen, du trauriger Freak.

Eines der schönsten Gespräche von Wacken führe ich mit Schulli. Schulli kommt aus Sachsen-Anhalt. Wir werden sofort Freunde. Schulli ist jemand, den Sie mögen würden. Schulli ist jemand, den jeder mag. Everybodys Schulli. Lasterfahrer. Stefan-Raab-Lachen. Dicker Bauch. Heute ist er oben ohne unterwegs. Das Kaiserwetter gibt es her. Ein lustiger Kerl. Und was für ein riesiger Bauch das ist! Er labert mich schwindelig. Weil er so nett ist, gebe ich ihm einen Jacky Cola aus. Darauf war er aus. Klar. Mir doch egal. Ich mag diese Schullis und ziehe sie gerne mit. Ich ziehe mein ganzes Leben schon Schullis mit. Weil ich Schullis mag. Und in Wacken gibt es viele Schullis. Und alle können Sie liebhaben. Schulli drückt mich nochmal, bevor ich weiterziehe, und schwört, sich zu revanchieren, „wenn wir uns nochmal sehen“. Na klar, Schulli, na klar. Wir sehen uns. Bestimmt. Und wenn nicht, ist es auch egal.

Liest der Veganer eigentlich noch hier mit oder hat er seine Abokündigung wegen „zu viel Fleischcontent“ durchgezogen? Ich hätte da was, das garantiert die Laune senkt:

Ah. Nee. Das ist doch nix. Lieber von vorne. Kuck mal, hat sogar ein Gesicht:

Fiese Scheiße, die Leiche glotzt mich an. Ob ich wohl noch in das Brötchen mit seinem Leib und etwas Kraut beißen kann? Ja sicher kann ich. Einen schönen Fleischcontent hat das Brötchen da.

Der guten Laune nicht genug, denn umme Ecke machen Männer komische Dinge:

Scheint eine Art Rugby zu sein. Mit einem dicken Wacken-Sack, der hinter irgendeine Linie gezerrt werden muss. Schwitzige Leiber ziehen, zerren, reißen, wuchten, bodychecken, moderiert von einer Frau mit überschnappender Stimme, die die Teams aufeinander hetzt, weil es ihr immer zu wenig Gewalt ist. Fucking Klischees, hier leben sie. Alle.

Auch die Honks, die sich zum Klops machen, weil sie denken, sie könnten die Dinge so wie sie andere können.

Können sie aber nicht.

Denn das ist der Trick dabei. Der Gaukler hat das mit dieser wackeligen Leiter, an deren Ende man die Glocke bimmeln lassen muss, monatelang geübt und er kann es perfekt, was er zum Anfüttern immer wieder vormacht. Und die besoffenen Honks zahlen fünf Euro für drei Versuche und schaffen gar nix, sondern drücken nur ab und kippen zur Seite um. Einer nach dem anderen. Was für eine Gelddruckmaschine. Scheiß auf die Musik, anderthalb Stunden stehe ich nun hier herum und sehe einen nach dem anderen versagen. Ja, klar, deswegen schaue ich ja zu, denn da bin ich nicht besser als alle anderen, die auch hier stehen: Ich sehe Menschen manchmal gerne scheitern. Zumindest hierbei. Ich lache ja auch bei Pannenvideos. Einfach gestrickt und so. Sie sind anders? Natürlich sind Sie das.

Da fällt mir ein: Bock auf ’ne Zeitung?

Ach, Wacken, liebes Wacken. Sie verkaufen eine Wacken-Zeitung. Auf Papier. Meine Güte, 90er. Aus der Gruft. Macht doch lieber ein ePaper. Und dazu ein dickes fettes stabiles WLAN, damit man es auch lesen kann. 5 Euro pauschal und Zugang. Zack. Ach, geht nicht? Warum nicht? Alles andere klappt doch auch, aber das wieder nicht. Warum nicht?

Egal. Ich bin gut drauf. Ich bin sogar so gut drauf, dass ich jeden dieser vielen bescheuerten „Free Hugs“-Idioten umarme, die mir entgegen kommen.

Arme Kerle. Wollen mit der Masche wohl gerne schöne Frauen mit dicken Titten abgreifen und bekommen nur mich, immer nur mich. Da kenne ich nichts, da mache ich doch mit. Ich umarme wie verrückt als wäre jedes das letzte Mal. Leidenschaft, dein Name ist Stevenson das Kuschelmonster. Was denn? Steht doch da: Free Hugs.

Des Gelabers nicht genug. Neben einem der unzähligen Fressstände labert eine Frau auf einen Kerl ein, der aussieht, als würde er schon seit Stunden nicht mehr zuhören.

„6 Euro klingt teuer, klar, aber diese Zyklopenspieße sind der Hammer. Voll feines Fleisch. Total fein. Richtig zart. Das ist es voll wert. Voll wert. Ich schwör‘ dir. So geil. Ohne Ende lecker. Ich hol‘ mir nachher noch einen.“

Und natürlich hole ich mir so ein Ding. Klar. Es kann ja sein, dass hier wirklich an einer Ecke mal ein Verwegener qualitativ gutes Essen aufbietet. Kann ja sein. Kann. Ja. Sein. Nicht?

Am Arsch die Räuber. Das ist gewickelter Nacken. Weit weg von zart. Nette Marinade. Ja. Zugegeben. Hat er ein wenig mehr Pfeffer ans Fett rangemacht als üblich. Vielleicht auch Paprika (rosenscharf). Ist dadurch ziemlich würzig. Aber nicht zart. Und schon gar nicht fein. Ich weiß ja nicht, was die Alte sonst frisst (Tiefkühltruhe wahrscheinlich), aber das hier ist nicht der Reißer. Gar nicht. Nackensteakscheiße halt. Bierbankfraß. Schützenfestmampf. Nichts rechtfertigt eine solche Euphorie. Ich ahne schon wieder eine böse Verschwörung. Ist die Alte samt diesem debilen Honk bei der Butze angestellt und die labert den ganzen Tag immer im Kreis die gleiche Leier von wegen zartem Fleisch und so? Kann das sein? Damit Honks wie ich das Zeug vor lauter ansteckender Euphorie kaufen? Haben sie mich schon wieder verarscht? Oder weiß die Alte wirklich nicht, was gut ist? Ein Brandenburger Apfelschwein ist gut, zum Beispiel. Fein. Zart. Aber nicht dieser gewickelte und hässlich überwürzte Nackenrotz. Aber ich muss ja alles probieren. Immer muss ich alles probieren. Meine alte Schwäche. Diese Neugierde, diese nie endende Neugierde. Alles muss ich ausprobieren.

Dafür gibt es Neues von meiner Gurke, die ich gestern aus den Augen verloren habe. Sie ist wieder aufgetaucht. Zumindest in Teilen. Angebissen. In der Pissrinne:

So. Aus. Ende. Wacken ist vorbei. Bodycount: Zwei Flaschen Jack Daniels. Eine halbe Flasche Balvenie Caribbean Cask (danke für die Inspiration, flatter). Eine halbe Flasche Don Papa (mit Cola).

Was bleibt?

  • Fick die Hater. Wacken war geil. Ist geil. Bleibt geil.
  • Niemand hat mir was geklaut.
  • Und niemand hat mich angeschnorrt. Ich hätte ja was gegeben, aber niemand kam (bis auf Schulli, aber auch der hat nicht gefragt, sondern ich gab ihm einfach so). Im Gegenteil haben sie oft ihren Alkohol mit mir geteilt, wenn sie sahen, dass ich keinem mehr hatte.
  • Ein Filmriss hat dafür gesorgt, dass ich weder Biohazard noch Danko Jones gesehen habe. Und wie ich plötzlich in den Bulli gekommen bin, weiß ich auch nicht.
  • In Wacken kommt einmal am Tag einer, macht die Dixiklos leer und kärchert die sauber. Zuverlässig. Wie ein Uhrwerk. Passen Sie zum Kacken diesen Moment ab. Es lohnt sich.
  • Wie ein Uhrwerk ist auch Wackens Zeitplan. Pünktlichster Beginn. Pünktlichstes Ende aller Acts. Keine Zugaben. Pure Effizenz, die mit Rock’n Roll nichts mehr, aber nun wirklich gar nichts mehr zu tun hat.
  • Die hier arbeitenden Leute sind durch die Bank – und das wirklich ohne Ausnahme – freundlich und damit meine ich nicht die klebrige Conveniencefreundlichkeit (Sie kennen diese Wanzigkeit von Starbucks), sondern echte. Ich erkenne den Unterschied und ich mag ihn sehr. 
  • Unvergessen bleibt die junge Frau am Einlass des Bezahl-WCs, die mir viel Spaß gewünscht hat. Ja, den hatte ich.
  • Der Provider O2 hat komplett versagt. Hätte ich mich nur auf ihn verlassen, wäre ich völlig aufgeschmissen (respektive dauerabgeklemmt) gewesen. Er war nur aus Versehen ab und zu mal online und dann auch nur für kurze Zeit. Teuer aber gut ist leider die Telekom. Nur aus Versehen mal ab und zu offline.
  • Nochmal: Wacken ist geil. Bleibt auch geil.

Was noch?

Die tapferen Grenzschutzgruppenbotten verlassen mich nun und bleiben zurück in der holsteinischen Heide.

Sie sind tot, Jim.


Bonustrack: Lieber Rainer-Langhans-Lookalike-Honk! Wer so gut gelaunt in mein stimmungsvolles Abschlussbild springt, wird verbloggt. Ohne Balken vor den Augen. Das hast du dir verdient. Eat this:

Und damit das Ganze hier nicht doch versehentlich mit zu viel Niveau endet:

Sie haben eine Gummipuppe an Luftballons aufsteigen lassen. Nicht lustig. Keine Pointe. Gar nicht. Echt mal. Mit Camping hat das nix zu tun. Gar nix zu tun hat das. Mit Camping. Blep Blep.