Opposition

Schauen Sie mal. So sieht Opposition heute aus. Frei.Wild – die billige Onkelzkopie aus Südtirol. Stolz. Heimattreu. Und ziemlich beliebt im Land der Vollidioten von Marzahn-Hellersdorf bis Königs-Wusterhausen. Und bei denen in Sachsen mit Sicherheit auch.

Wir, der antifaschistische Mainstream, können damit eher weniger anfangen. Für uns sind das Nazis.

Keine Sorge, lange hing das Plakat nicht, dann war es abgepiddelt. Hier auf dem Foto sehen Sie schon die Anfänge, wenn auch nicht so ganz konsequent. Wahrscheinlich kam eine Streife dazwischen. Oder ein Hausmeister, Rüpelrentner, keine Ahnung. Spielt aber keine Rolle: Einen Tag später war es ab. Die Dinger sind immer einen Tag später ab.

Haben wir gewonnen?

Zu den Dingen, die man auch mal ganz unaufgeregt hinterfragen kann, gehört: Haben wir gewonnen? Zumindest in weiten Teilen der Stadt? Und in den meisten anderen Großstädten? Auf jeden Fall in denen im Westen? Die Nazis sind raus. Oder? Alles, was sie machen, wird erdrückt von unserer schieren Masse. Sie können kein Plakat aufhängen ohne dass es am nächsten Tag geschlachtet und geschändet am Laternenpfahl hängt. Kein Nazi-Aufkleber überlebt hier länger als eine Nacht, er wird abgepult, übermalt oder professionell überklebt – mit extra dafür produzierten Stickern, 20 Stück ein Euro. Wir sind echt gut. Wir sind effektiv. Ich glaube wirklich so langsam, dass wir gewonnen haben. Und ja, ich finde das gut. Natürlich.

Was habe ich neulich geschrieben? Nazikacke. Vorletzten Monat. Da wollte die NPD auf der Schönhauser Allee demonstrieren. Natürlich haben wir ordentlich dagegen mobilisiert und ich stelle mich schon aus hygienischen Gründen immer wieder dazu und dagegen auf. Ich will die nicht in meinem Bezirk haben. Nazis sind unhygienisch. Eklig. Von vorgestern. Ohne jede Zukunft. Wie Kacke am Hacken.

20 Nazis waren dann da. Haben rotgesichtig und stolz ein Transparent an die Luft gehalten ohne irgendwen zu erreichen, begafft (und begeifert) von mir und anderen 850 Gegendemonstranten. Riesending. Und ja, mir macht das Spaß. Wir haben sowas von gewonnen. 850 zu 20. Ein Verhältnis von 42:1. Wir sind die Mehrheit. Und dort hinten in der Schmuddelecke steht die Opposition. Sie opponiert gegen uns, die Mehrheit. Kein Scheiß. So sehen die das. Und vielleicht stimmt es sogar. Was wäre daran eigentlich schlimm, wenn wir die Mehrheit sind?

Praktizieren wir nur noch Wellness?

Das, was wir da auf den Schönhauser Alleen dieses Landes tun, ist doch eigentlich nur Antifaschismus für alle. Aktivismus für die ganze Familie. Wellness-Aktivismus. Pillepalle. Und auch total einfach. Jacke an und hinstellen, meinetwegen vorher noch eine Bratwurst mit Senf knallen und mit 800 anderen ein wenig „Nazis raus“ brüllen. Becks Grapefruit in der Hand. Oder eine fritz kola. Club Mate für die fefes und die Reste der Piratenpartei, die auch jedes Mal mit uns hier stehen. Easy. Kann jeder. Ist ja auch fast jeder dabei und positioniert sich: Der 180qm-Bonzenbuden-Nachbar mit Südbalkon, der Schnösel-Lattecafé-Inhaber mit den Puffpreisen, die Bioladentante, die es gerne ruhig im Hinterhof mag, ein paar dynamische Papas in Ledermokassins mit Bommeln, die üblichen Hermsdorfer Jugendlichen mit ihren grünen Haaren und den lustigen St.-Pauli-Aufnähern an der Jacke. Wohlfühl-Antifa. Immer drauf auf die Nazideppen. Und es ist so schön einfach. Und macht so einen Spaß. Weil die so wenig und wir so viele sind.

Wie hier in Prenzlauer Berg sieht es in vielen Regionen aus. Stuttgart. Frankfurt. Düsseldorf. Wir bringen bis zu 100 Mal mehr Leute auf die Straße als die, vor denen wir solche Angst haben, dass viele von uns bei ihrem Anblick komplett durchdrehen. Und wenn ich dann davon lese, wie erdrückend unsere Mehrheit wieder einmal war, dann frage ich mich: Was gibt es denn da noch zu gewinnen? Muss man vor denen noch Angst haben? Das sind doch nur die Witzfiguren. Und wir schon längst der Mainstream. Kuck doch mal hin. Mit uns steht allzu oft die Mitte der Gesellschaft da. Tante. Omma. Oppa. Unsere türkischen Kumpels. Eine erdrückende Mehrheit im Vergleich zu denen. Kann es sein, dass wir inzwischen der gesellschaftliche Konsens sind und das da die Assis? Fast überall?

These: Das, was wir da in weiten Teilen so routiniert machen, ist zwar lustig und so verdammt verdient für die Menschenhasser von der Blut+Boden-Front, nur mutig ist das nicht mehr.

Überhaupt nicht.

Dieser routinierte Opferhabitus, der auch hier in Prenzlauer Berg von Seiten der Antifa so gerne gepflegt wird, ist inzwischen an den meisten Orten des Landes unangebracht. Sicher, es gibt noch Übergriffe. Selten in meiner Gegend. Öfter noch anderswo. Ich will das gar nicht kleinreden. Aber in großen Teilen Berlins ist Ruhe eingekehrt. Ja, ab und zu malt einer eine Rune an irgendeine Wand oder ritzt ein Sonnenrad in einen Briefkasten und, ja doch, in Hellersdorf stehen sie mit Trillerpfeifen vor dem Flüchtlingsheim, aber das ist überhaupt kein Vergleich zu den 90ern, als die BFC-Nazis in marodierenden Horden die Schönhauser Allee unsicher gemacht und uns durchs LSD-Dreieck gejagt haben. Es ist erst recht kein Vergleich zum Westdeutschland bis weit in die 90er, als der Mob noch bis in die bürgerliche Gesellschaft hinein als der aufrechte Rächer der deutschen Volksseele dastand. Vorbei. Berlin haben wir gut im Griff, wenn wir von den Ietzten Resten namens Schöneweide und Buch mal absehen. Pankow ist nicht mehr so naziverseucht wie früher. Hohenschönhausen nicht mehr. Selbst Marzahn-Hellersdorf ist soft geworden. Gehen Sie mal abends dorthin. Natürlich sind immer noch eine Menge Spackos unterwegs, nur sind es in der Masse nicht mehr die rechten Spackos.

Die kriegen nix mehr gebacken. Heute haben wir den Hut auf. Wir sind die Mehrheit und unseren Protest gegen die paar traurigen Wurstgesichter der NPD trägt in den großen Städten dieses Landes sogar die CDU mit. Kein Politiker, der seinen Job behalten will, wird sich gegen Antifaschismus als Wert positionieren. Jeder blöde Rassist schießt sich gesellschaftlich vollkommen ins Aus und verscheuert allerhöchstens noch fragwürdige Bücher mit wirrem Geschwurbel an Bild-Zeitungs-Leser, die auch immer weniger werden. Der formale Antifaschismus dürfte im Deutschen Bundestag eine Mehrheit von annähernd 100% haben. Niemand sympathisiert dort mehr mit Rechtsradikalen, seit die letzten Frontstaat-Betonkatholiken der CDU/CSU dort ausgeschieden sind. Alle weg. Die Dreggers. Die Heitmanns. Die Geisens (haha). Dafür haben wir unseren ersten Ministerpräsidenten, der wegen Antifaschismus ein Verfahren am Hacken hatte. In Thüringen sitzt er. Im Osten. Wenn das mal kein Zeichen ist.

Was noch? In den Landesparlamenten spielen Nazis kaum eine Rolle und wenn, dann eine so schlechte, dass sie spätestens nach der zweiten Legislaturperiode wieder rausgewählt werden, weil sie nix können. Weil sie dumm sind. Weil sie nie was können. Weil das keiner von Verstand länger dort sehen will und genau das vielleicht ein Zeichen dafür ist, dass Verstand hierzulande eventuell doch nicht so selten gesät ist wie ich immer denke. Die Idiotennazis haben in der von unserem Konsens dominierten Medienöffentlichkeit keine Chance, keinen Raum mehr, ihr kommunaler Einfluss beschränkt sich auf ein paar verbliebene Inseln im Osten und Dortmund. Woanders läuft nix. Die Nazis gewinnen nicht. Weil Nazis unhygienisch sind. Weil sie immer wieder rausfliegen. Immer wieder. Brandenburg. Sachsen. Baden-Württemberg. Bremen. NPD. DVU. Pro-Irgendwas. Republikaner. Egal unter welchem Namen, sie können es nicht. Sie zerlegen sich. Und sie werden zerlegt. Auch von uns. Weil wir in weiten Teilen des Landes gewonnen haben. Weil wir vielleicht wirklich einen guten Job gemacht haben.

Wir können jetzt Menschen um ihren Job bringen

Es könnte also wirklich so sein: Die traurigen Gestalten aus dem rechten Ghetto sind tatsächlich die Opposition. Sie opponieren gegen Dinge, die von uns als Konsens durchgesetzt wurden und die gemeinhin mit „links“ assoziiert werden obgleich sie damit unter Umständen gar nichts mehr zu tun haben. Sie opponieren gegen den institutionalisierten Feminismus mit seiner vierstelligen Anzahl an Gleichstellungsbeauftragten bis runter in die kommunale Verwaltung, sie opponieren gegen die Privilegierung nach Geschlecht und gegen die Sprach-, Farb– und Spielverbote, die das linke Bild inzwischen so prägen, dass auch ich mich da nicht mehr wiederfinden mag. Und mit Sicherheit opponieren sie gegen den Verbotseifer und den abstoßenden Volkserziehungswahn einer grünen Partei, die trotz aller Kriegseinsätze, dem Abbau von Hemmnissen für Spekulanten und der Installation von Hartz IV nach wie vor als links durchgeht, auch wenn sie sich nur noch an Heizpilzen, Werbeplakaten und Pfandflaschen abarbeitet.

Und vielleicht opponieren sie auch gegen einen formellen Antifaschismus, der sich inzwischen in Teilen der Staatsverwaltung bis hin zur Polizei institutionalisiert hat, was ein Erfolg ist, ja, natürlich, sprechen wir das doch mal aus, es mehren sich doch die Zeichen dafür, dass Toleranz und interkulturelles Miteinander im Mainstream angekommen sind. Und wer ihn vertritt, muss gar nicht mehr mutig sein. Wir sind nämlich die Mehrheit. Wir sind wohlfeil. Wir haben gewonnen. Wir sind der Konsens.

Klar ist seit jeher auch eines: Wer den Konsens beherrscht, hat Macht. Und weil Macht besoffen macht, besteht jetzt die Gefahr, dass die Sache kippt. Es geht schon los, Einzelfälle, sicher, aber vergleichsweise geringfügige Abweichungen vom allgemeingültigen Meinungskorridor, den ich mit ganz vielen anderen teile, können jetzt in einem Rausschmiss enden oder jemanden dazu bringen, das eigene Blog zu schließen. Halbgare Morddrohungen inklusive.

Um es griffiger zu formulieren: Wir müssen jetzt vorsichtig sein, denn wir bringen jetzt Leute um ihren Job, die eine Meinung haben, die wir nicht teilen, und das möchte ich nicht. Ich möchte nicht, dass jemand rausfliegt, nur weil er einmal Unsinn schreibt. Vielleicht ist aus dieser Position der Stärke heraus einfach mal Nachsicht angebracht. Sowieso: Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein. Den ganzen verbalen Steinen nach zu urteilen, die jeden Tag in alle möglichen Richtungen geschmissen werden, leben bei Twitter jede Menge unfehlbare Menschen und dem, der nicht unfehlbar ist, und dessen Debattenbeitrag versehentlich (oder absichtlich) in unser Fadenkreuz geraten ist, gehen wir jetzt an die Existenz.

Wir müssen wieder diskutieren lernen

Gerade in den letzten Jahren widert mich einiges an und macht mir das Leben schwer: Meine Leute haben damit begonnen, leisesten Widerspruch nicht mehr auszuhalten, sondern zu unterdrücken. Meine Leute wollen keine aufrechten Menschen, sie wollen angepasste. Nachbeter. Gläubige. Egal welche Glaubensrichtung gerade für universell erklärt wird. Und weil das an Abgrenzung nicht reicht, ziehen wir die Grenze dessen, was vertretbar ist, immer enger. Uns geht die Fähigkeit zum Diskurs flöten, zur Akzeptanz, meinetwegen zur Toleranz. Wir ertragen keinen Widerspruch mehr. Wir packen uns in Watte, wir schaffen uns Comfort Zones, in denen wir uns alle lieb haben müssen und alle in weiten Teilen das Gleiche denken sollen. Und wenn einer davon abweicht und die Dinge doch ein wenig anders sieht, dann rasten wir aus. Und wenn wir unseren 140-Zeichen-Mob von der Kette lassen, verlieren Querulanten ihren Job. Mann, was sind wir moralisch. Wir schaffen die neue offene Gesellschaft, in der niemand mehr Angst haben muss. In der jeder der sein kann, der er will. Typen wie wir sind die besseren Menschen, die wir uns immer vorgestellt haben.

Ach was, sind wir natürlich nicht. Wir kämpfen nicht mehr mit Argumenten. Wir kämpfen mit Keulen. Wie die, denen wir das immer vorgeworfen haben. Wir sind nicht besser. Wir üben einfach nur schnöde und stumpf Macht aus. Weil wir es können.

Mich gruselt es bei der Vorstellung, dass irgendwann alle nur deshalb meine Meinung teilen, weil sie irgendeinen Shitstorm fürchten, ein Outing, den Jobverlust, die Suspendierung in irgendeinem sozialen Netzwerk. Auch wenn das im Moment nicht modern ist: Ich will auch andere Meinungen hören, andere Sichtweisen. Geben Sie Contra, Sire.

Schauen wir uns doch mich mal an. Ich habe einen Freundeskreis, der nicht in allen seinen Teilen progressiv ist. Einer meiner besten Freunde wählt die AfD. Der kann mir auch erklären, warum er das tut, und wir können ziemlich hart über EU, Euro, Griechenland, Schäuble („der hält unser Geld zusammen“) und ja, auch über Einwanderung, streiten. Er denkt anders als ich. Und damit kann ich leben. Gerne sogar. Ich halte das aus. Ich will das aushalten. Er kann das nämlich auch.

Ein anderer meiner besten Freunde ist Polizist. Der sieht die Welt mit vollkommen anderen Augen als ich. Ich halte seine Sicht der Dinge aus, auch wenn ich sie nicht teile. Wir streiten fair. Entspannt. Und dann sind wir bei anderen Dingen wieder einer Meinung. Die unerträgliche Langweiligkeit der Bundesliga. Kindererziehung. Der unmögliche Prenzlauer Berg. Die verdammten grünen Spießer. Irgendwas anders. Er lebt problemlos damit, einen in seinen Augen Linken als guten Freund zu haben, der die Position derer teilt, die ihn im Einsatz bespucken.

Noch ein Beispiel? Na gut: Mein bester Freund wählt immer noch FDP und ich halte das aus, auch wenn das nun wirklich unerträglich ist.

Ich stecke in einem Zwiespalt, denn je niedriger die Reizschwelle meiner Leute sinkt, desto mehr stelle ich mit einiger Irritation fest: Meine konservativen Freunde sind erfrischend tolerant, was das Aushalten von und den offenen Diskurs mit anderen Meinungen angeht. Und genau das ist etwas, das ich bei vielen von jenen, mit denen ich die Mehrheitsmeinung teile, immer häufiger überhaupt nicht mehr feststellen kann. Ich sehe fast nur noch Reflexe auf Reize und überall und gerade auf dem Marktplatz des Irrsinns – dem Internet – lässt die Fähigkeit zum Aushalten abweichender Ansichten bis zur vollständigen Verkümmerung nach und zu viele jeglicher Glaubensrichtungen packen bei der kleinsten Verfehlung ihre routinierten Keulen aus: Antifeminist! Homophober! Tierschänder! Und der Klassiker: Faschist! Überall sind nur noch Faschisten. Ich war auch schon mehrfach einer. Drunter machen wir es nicht mehr. Steigern können wir das allerdings auch nicht mehr. Ich fürchte so langsam, das Internet hat damit begonnen, die zivilisierten Formen eines freien Meinungsaustauschs abzutöten.

Mutig ist es, dorthin zu gehen, wo es noch weh tut, Opposition zu sein

Um den Kreis zu schließen (und weil ich merke, dass ich kein Ende finde): Das Lostreten eines Shitstorms im kuscheligen Arbeitszimmer gemeinsam mit anderen Politikriegern hat mit Mut nix zu tun. Es ist nur Macht und ihr zunehmender Missbrauch. Auch der Wellness-Antifaschismus, den wir in der Gruppe als erdrückende Mehrheit auf den Schönhauser Alleen des Landes praktizieren, hat genauso wenig was mit Mut zu tun. Der ist nur wohlfeil.

Mutig sind andere Dinge und diejenigen haben nach wie vor meinen größten Respekt. In Berlin-Buch einen Anti-Nazi-Film zu zeigen ist mutig. Dort, in diesem Ortsteil, in dem die NPD im Schatten der Plattenbauten unter den chronisch Unterprivilegierten klammheimlich ihre Basis verbreitert. Ohne nennenswerten breiten Bürgerprotest. Mutig ist es auch, sich in Dresden gegen Pegida aufzustellen. In Leipzig-Grünau gegen alte gewachsene Faschostrukturen vorzugehen. Halle-Neustadt. Oder in Mecklenburg-Vorpommern auf dem Land als hoffnungslose Minderheit gegen den erdrückenden Dorfrassismus anzugehen. Das ist mutig. Dort ist die Antifa tatsächlich die Opposition als die sie sich so gerne sieht. Denn dort im Osten sind diese berühmten No-Go-Areas (okay, und in Dortmund seit Neuestem). Dagegen etwas zu tun, ist mutig.

Aber – um das gleich wieder ein wenig in Relation zu setzen – das ist immer noch ein Witz im Vergleich zur ersten Hälfte der 90er-Jahre, als aus Hoyerswerda, Lichtenhagen, Mölln, Solingen ein Flächenbrand zu werden drohte. Das hätte eine Bewegung von ganz rechts werden können. Die hätten uns überrennen können, wären die Idioten nur disziplinierter, organisierter, konsequenter gewesen. Sie hätten gewinnen können, wenn wir nicht so gekämpft und damit viele Jahre später diesen breiten gesellschaftlichen Konsens erzeugt hätten, der es niemandem mit rassistischem Weltbild mehr ermöglicht, sich ungestört öffentlich zu äußern oder sogar Karriere zu machen. Geht nicht mehr. Das ist ein Erfolg. Das haben wir gut gemacht.

Und das ist es. Berlin-Buch. Nur als Beispiel, weil es bei mir nebenan ist. Da gibt es noch viel zu tun. Dort, wo sie sich organisieren. Dort, wo der Protest dagegen tatsächlich Opposition ist und nicht ritualisiertes Happening mit Volksfestcharakter gegen ein paar versprengte Hansel, die sich danach als die verfolgte Opposition stilisieren können, die sie sind.

Und wenn wir gerade bei mutigen Vorschlägen sind, schweife ich kurz vor Schluss noch einmal ab: Wie wäre es denn mit einem breiten Konsens gegen die europäische Flüchtlingspolitik, gegen die Politik des Abschottens, gegen einen Militäreinsatz, der die einzige Antwort auf die humanitäre Katastrophe im Mittelmeer ist, die der Westen unter der Führung seines amerikanischen Hegemons mit seinen ständigen Interventionen selbst herbeigeführt hat? Das wäre doch mal was. Das wäre ein Statement. Das wäre sogar mutig. Weil das wirklich Opposition wäre gegen einen breiten selbstzufriedenen Konsens wohlstandssatter Zipfelmützen, die es sich in ihrer Ignoranz häuslich eingerichtet haben, während andere Menschen im Mittelmeer ersaufen, das wär‘ es doch, das wär‘ viel mehr Opposition als sich nachmittags mit knapp tausend anderen mit Bratwurst und Molle in der Hand auf die Schönhauser Allee zu stellen, um 20 blöde Nazis auszubuhen, danach nach Hause zum Twittern zu gehen und sonst gar nichts mehr zu machen.

Was ich tun werde, wenn die NPD das nächste Mal in meinen Bezirk kommt? Klar: Mich wieder hinstellen. Natürlich. Aus Prinzip. Und guter Übung. Bezirkshygiene, wissen Sie doch. Nazis raus. Macht Spaß. Wir mobben die weg. Auf dass sie weg bleiben von dem Ort, an dem sie schon lange nicht mehr sind.

Doch nach Buch fahre ich auch. Gerade nach Buch. Und wenn ich Zeit habe, fahre ich auch nach Hohenschönhausen. Anzug aus, Hoodie an. Ich stell‘ mich immer noch mit hin. Weil das da notwendig ist. Und wenn ein paar der so furchtbar mutigen 180qm-Bonzenbuden-Nachbarn mit Südbalkon, der Schnösel-Lattecafé-Inhaber mit den Puffpreisen, die Bioladentante, die es gerne ruhig im Hinterhof mag, ein paar dynamische Papas in Ledermokassins mit Bommeln und die üblichen Hermsdorfer Jugendlichen mit ihren grünen Haaren und den lustigen St.-Pauli-Aufnähern an der Jacke das auch machen, dann ist das mutig. Sehr sogar.


1. credits: http://antifa-nordost.org

2. Inspiration:
Kiezschreiber – Das Problem des Journalismus
Deux ex machina – Mit dem Rückgrat einer Qualle: Wie das Westfalen-Blatt eine Autorin dem Mob opfert
Aisthesis – Die Modalitäten des Internet: Münkler-Watch und die ewig währende Erregungsposse des Shitstorm

3. Geben Sie gerne Contra, Gentlemen and Ladies. Ich habe prinzipiell nie eine Wahrheit gepachtet und auf Twitter bin ich auch nicht.