Retrospektive: Die Reeperbahn und der Hooligan

(1999)

Ich habe einmal ein demoliertes Hotelzimmer hinterlassen. Wie ein Rockstar. Zugegebenermaßen unfreiwillig. Denn ich habe es gar nicht demoliert.

Sondern der Olli.

Und der Olli war ein bekennender Hool.

Den bekennenden Hool habe ich beim Auswärtsspiel in Wolfsburg kennengelernt. Und was protzte der mit seinen Kontakten zur Reeperbahn. Der Olli. Ein toller Typ. Mich haben Sie damals mit so etwas beeindruckt. Halbwelt. Drogen. Autos. Halbseidene Typen. Mit einem Bein im Knast. Ganz schnell haben Sie mich mit sowas gekriegt. Ein paar wilde Geschichten und Sie hatten mich im Sack. Jung. Naiv. Und immer diese Neugier. Wenn ich heute nichts mehr glaube, liegt das daran, dass ich damals alles geglaubt habe.

Reeperbahn. Unterwelt. Boxer. Nutten. Ehrbare Geschäftsleute. Ich wollte sehen und so waren wir zwei Wochen später an dem Ort, an denen er die Geschichten stattfinden ließ, doch niemand war da. Keiner seiner Kontakte, von deren Heldentaten er mir erzählte, war am Start. Kein Türsteher. Kein Barbesitzer. Keine Nutte. Wir klapperten stundenlang irgendwelche schäbigen Pinten ab, hingen in irgendwelchen ranzigen Tabledanceschuppen ab, die mehr Geld kosteten als wir hatten, doch niemand kannte Olli. Dabei war er sich jedes Mal so sicher und dann doch wieder unendlich enttäuscht. Der rallige Ralf? Nie gehört. Den gibt’s hier nicht. Randy Ralf? Nee, auch nicht. Und jetzt mach‘ mal Platz hier.

Je länger das andauerte, desto trauriger wurden die Ausreden. Hat wohl Urlaub. Wohl wieder in Frankfurt nach den Pferdchen schauen. Ob er krank ist? Oder die Albaner haben ihn gekillt.

Natürlich ist das peinlich. Gesicht verloren. Als der Schwätzer dastehend, der er war. Die logische Folge war zuletzt ein kapitaler Vollsuff durch die verkacktesten Bars der Seitenstraßen, Stehblues mit irgendwelchen alten verlebten Wracks zu Bonnie Bianco und Pierre Cosso, gegenseitiges Anschweigen auf hoffentlich nur von Rum-Cola verklebten Polstern und routiniertes Pissen auf vollgekotzten Barklos. Traumtod. Der Abend misslang völlig und zuletzt saß ein frustriertes Großmaul leise vor seinem letzten Jägermeister, als einer geendet, der nicht halten konnte was er angekündigt hatte. Die große Fresse und ihre Sendepause. Und zuletzt war weißes Rauschen.

Das mit Olli aus Kostengründen gebuchte gemeinsame Doppelzimmer in der absolut miesesten Absteige Hamburgs erwies sich in dem Moment als Fehler als er die Türe des Kleiderschranks aus ihren Scharnieren kickte. Und die Komplementärtür gleich mit. Danach musste der kleine Radiowecker dran glauben, der flog an die Wand. Und das Telefon hinterher. Die alten speckigen Gardinen waren schnell entsorgt und mit dem Garderobenständer in der Ecke wurde die alte Kristalllampe mit ihren unglaublich hässlichen Dekor-Blumen von der Decke geholt.

Trainspotting. Begbie. Schlussszene. In dem Stil. Fast baugleich.

Ich ging. Ruhig. Teilnahmslos. Als gehörte ich gar nicht dazu. Bahnhof. Bahn. Berlin. Da ging gerade die Sonne über Hamburg auf.

Das Hotelzimmer war auf Olli gebucht. Mich kannte niemand. Er kannte mich nicht.

Es müsste mit einem Wunder zugehen, säße dieser Mensch heute nicht im Knast.


Tipp des Tages: Trennen Sie sich frühzeitig von Menschen, von denen Ihr Bauchgefühl sagt, dass sie Ärger bedeuten, möglichst bevor sie Hotelzimmer zerlegen, in denen Sie sich zufällig aufhalten. Trennen Sie sich sowieso von Leuten, die aus einer Position der Stärke heraus Gewalt einsetzen, prügelnden Ehemännern, prügelnden Ehefrauen, prügelnden Freunden und erst recht von prügelnden Gestalten auf Auswärtsspielen. Trennen Sie sich bei der Gelegenheit gleich von Fundamentalisten, Großmäulern, Blendern, Xenophoben und auf jeden Fall von Menschen ohne Humor. Das sind die Schlimmsten. Es lohnt nicht. Es macht nur schlechte Laune und niemandem ist geholfen, wenn man Zeit mit ihnen verbringt ohne dafür bezahlt zu werden.


Edith sagt: Wenn Sie sich an dem Terminus „Nutte“ stören, schlage ich folgendes Vorgehen vor: Kopieren Sie den Text in ein Word-Dokument, rufen Sie die Funktion Suchen/Ersetzen auf und tragen statt Nutte „Sexarbeiterin“ ein.


Retrospektive: Bahnhof Lichtenberg