Steine und Flaschen

Ich bin spät dran. Andere haben schon längst das Nötige zu diesem gewaltigen Ausbruch vergangene Woche in Frankfurt geschrieben (oder zusammengefasst).

Blockupy. Kreativer Protest. Clowns. Transpis. Trommeln. Redebeiträge. Steine und Flaschen. Ein paar Barrikaden. Knüppel. Das übliche Ritual. Eine Minderheit einer Minderheit verübt Straftaten, was die Mehrheitsvertreter in der Nachbereitung dafür nutzen, den Protest als Ganzes zu delegitimieren. Das gab es alles schon. Mehrfach. Seit Jahrzehnten. Immer wieder. Nichts Neues an der Front der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Jeder wie er kann. Jeder was er soll. Ein jeder auf seinem Platz. Verteilte Rollen nach Façon.

Dabei ist es seit jeher völlig egal, in welcher Form und mit welchen Mitteln protestiert wird, denn die herrschende Meinung, für die ein Großteil der Leitmedien und ihrer angeschlossenen Funkhäuser spricht und die kein Interesse an irgendeiner Ausprägung von Opposition gegen den Common Sense hat, wird immer das Ziel haben, jeden Protest wahlweise für kriminell, sinnlos oder lächerlich zu erklären. Wie es eben gerade passt.

Sehr beliebt geworden ist die Methode mit dem Lächerlichmachen von friedlichem Protest. Das ist so einfach, dass es jeder Außenreporter-Praktikant machen kann, denn es finden sich immer in jeder Gruppe, die es zu diskreditieren gilt, bereitwillig irgendwelche Spinner, die gerne, oft und laut ihr verstrahltes Weltbild in die Mikrofone plappern und aus deren Wortbrei der tranige Bürger auf seinem vermilbten Sofa bereitwillig schließen kann, dass es überhaupt nicht in Frage kommt, sich mit solchen Leuten gemein zu machen.

Machen wir es plastisch: Sie wollen die Überwachungsgegner lächerlich machen? Kein Problem. Nehmen Sie einen der paranoiden Aluhüte, nur echt mit Übergewicht, schlechter Haut und Kassengestell, der zuhause im komplettverkabelten Arbeitszimmer hinter dem selbergebauten Linuxserver seine Steckdosen abklebt. Einer von denen wird Ihnen sicherlich freimütig erklären, wie die NSA über das Stromnetz des gierigen Oligarchen Vattenfall versucht, seine Gedanken zu kontrollieren.

Oder dieser Protest für eine Agrarwende während der Grünen Woche vor zwei Monaten. Easy, take this: Hier ist der knochige Waldschrat, der in einem verlassenen Tal der Vogesen von den Wurzeln seiner selbstgezogenen Dornenbüsche lebt und dessen Bart seltene Insekten zum Ablegen ihrer Eier nutzen. Der läuft barfuß in einem alten Schlüpper über den Potsdamer Platz und singt mit dünner Stimme ein unfassbar lächerliches Protestlied über Käfer, Weberknechte und fickende Rebhühner. Perfekt. Wie jämmerlich. Kuck dir mal den an wie der aussieht.

Oder das ganze Bohei gegen TTIP. Ganz einfach. Es wird sich ja wohl ganz schnell eine dieser rothaarigen Esoteriktanten mit eigener Galerie aus Prenzlauer Berg finden, die erklärt, dass nur Klangschalen, yogisches Fliegen und gaaaanz viel Liebe, aber keinesfalls der Freihandel, die Welt retten werden und deren irrwitzig riesigen Ohrringe, die an bunte Hula Hoop-Reifen aus dem Grundschul-Sportunterricht erinnern, dazu so lustig im Takt klimpern während im Hintergrund ein gescheiterter und schon vor vielen Jahren frustriert bei den Grünen ausgetretener Liedermacher, der gerade versucht, für die Linkspartei in den Stadtrat von Angermünde einzuziehen, auf seiner alten Brokdorfklampfe Kumba ya zimbelt.

Haha. Lächerlich, diese Demonstranten. Kuck dir die an. Waschen sich bestimmt nicht mal. Und einen Bausparvertrag haben die auch nicht. Die Dreckskiffer. Aber die Welt verändern wollen. Hahaha. Hallt es gehässig vom Sofa des berufsverbeamteten Jobcenterknechts, der sich im einsamen Kampf gegen libanesische Großfamilien wähnt, die ihn um diejenigen Steuergelder prellen wollen, die sie anderswo den Banken und Konzernen so bereitwillig hinterher werfen. Divide et impera, so ist es immer und so funktioniert es auch immer. Weiß jeder. Außer denen, die drauf reinfallen und das Feld von denen bestellen, die immer jedes Spiel gewinnen.

Also, was tun? Was tun in Zeiten, in denen Banker morgens auf dem Weg in ihren Borgwürfel friedlich davor campenden Occupy-Demonstranten hämisch winkend sündteure Schinken-Käse-Croissants von LeCrobag zuwerfen und Statements über die Lächerlichkeit der so drollig gewaltfreien Protestierer die Berichte der Tagespresse und der Morgenmagazine dominieren? Haha, kuckt euch die an. Wie harmlos. Peacer. Friedensapostel. Jesusfreaks. Esotanten. Diese bräsige Jugend. Was wollen die denn? Sollen arbeiten gehen, die Gammler. Da lachen ja die Bankster.

Also anders. Angst machen. Einen Stein in die Hand nehmen. Farbbeutel füllen und werfen. Eine Barrikade errichten und anzünden. Dorthin gehen wo sie sind, von wo sie die Welt lenken, und die Gewalt, die sie in die Peripherie des Kontinents tragen, dorthin zurückbringen wo sie entsteht, wo die Ursache dafür ist, dass drei Millionen Menschen in Griechenland keine Krankenversicherung haben, dass über die Hälfte der spanischen Jugendlichen arbeitslos sind, weil sie Banken retten müssen, weil sie immer Banken retten müssen, weil sie seit geschlagenen sieben Jahren ausnahmslos Banken retten und einfach nicht damit aufhören bis auch der letzte Verlust geplatzter Hochrisikoswaps irgendwelcher dem normalen Bürger völlig unbekannter Institute auf den öffentlichen Haushalt umgelegt ist.

Terror. Heißt es dann. Terror in Frankfurt. Bürgerkrieg. Kuck mal ein brennender Mercedes. Eins Zwei Polizei. Distanziert euch. Distanzier dich. So geht es bitteschön nicht. So nicht. Diese Chaoten, diese verdammten Chaoten.

Was hilft es, darauf hinzuweisen, dass es nur eine gewalttätige Minderheit ist. Maximal fünf Prozent der Protestierenden dürften letzte Woche Gewalt ausgeübt haben, doch über die anderen 95 Prozent der 17.000, die ihren Widerwillen legitim und friedlich zum Ausdruck gebracht haben, spricht kein Mensch mehr. Klar. Doof. Dumm gelaufen. Man kann den Protest prima spalten, diskreditieren und marginalisieren, wenn ein Teil von ihm freidreht und zum Beispiel die Feuerwehr angreift. Klar. Doof. Dumm. Und dann machen es sich die, denen nichts besseres passieren kann, ganz einfach und werfen gleich alle zusammen in eine Suppe. Ekelhaft. Tiere. Gewalttätige Linksfaschisten. Eventjugendliche. Und dann noch aus dem Ausland. Wahrscheinlich auch noch aus Griechenland. Pack. Distanzier dich. Und seh‘ es gleich ein: Protest bringt nix. Sei lieb und wir machen dich lächerlich, sei böse und wir malen dich als Teufel an die Wand. Und dazwischen ist nichts. Geh lieber weiter. Zurück auf dein Sofa. Hier ist deine Fernbedienung und RTL 2 haben wir dir schon mal auf den Sendeplatz 1 gelegt. Da läuft Berlin Tag und Nacht. Hahaha. Kuck mal wie blöd die da sind.

Sie wollen eine Lösung? Ich habe keine. Ich habe mit Occupy sympathisisert, bin mitgelaufen, wenn sie gelaufen sind, habe auf ein Überschwappen des fröhlichen Protests aus Spanien gehofft und doch nur erlebt wie sie sich freiwillig demontiert und sich in den Medien reihenweise der Lächerlichkeit preisgegeben haben, bis sie irgendwann als kleines Häufchen am Arsch von Kreuzberg senatsgeduldet in irgendeiner Schule zum gemeinsamen Diskutieren über Verhältnisse, die schon längst keinen mehr interessierten, geendet sind und ein shakrenbeseelter Esoteriker als letztes das Licht der handgedrehten Kerze ausgemacht hat, bevor auch er wieder nach Hause gegangen ist.

Und hey, natürlich sympathisiere ich mit Blockupy, aber sehe gleichzeitig mit einer nicht zu leugnenden Hilflosigkeit, wie die in jeder Hinsicht kontraproduktive Gewalt den Diskurs und das öffentliche Bild bestimmt, so dass niemanden mehr interessiert, welche Inhalte eigentlich zur Debatte stehen, diese wichtigen Inhalte, die keiner hören will, wie die Plünderung eines Kontinents durch die Banken mit Folgen, die irgendwann – so ziemlich als letztes wohl, aber immerhin – auch diesem Land eine soziale Krise bringen werden, oder die Aufteilung des Kontinents durch internationale Konzerne unter dem Label eines Freihandelsabkommens, von dem der normale Bürger nichts, aber auch gar nichts haben wird, oder meinetwegen die militärische Aufrüstung auf Basis einer vorsätzlich geschaffenen Konfrontation mit dem neuen alten Feind im Osten.

Ich weiß nicht, was richtig ist. Ich habe keine Ahnung. Fragen Sie andere Blogger. Die wissen oft alles. Ich weiß das nicht. Bringt das Protestieren überhaupt etwas in einer Zeit, in der eine unangefochtene und unbesiegbare Regierung von Beliebtheitsrekord zu Beliebtheitsrekord marschiert und in der sogar ein Wirtschaftsminister Verständnis für alles mögliche – von Pediga bis bankenkritische Proteste – heuchelt. Bringt das was? Vielleicht bringt es was, wenn es mehr werden. Mehr Leute. Mehr, die dagegen sind, die sich hinsetzen und nicht mehr aufstehen. 50.000. 100.000. Und die sitzen dann friedlich vor der Frankfurter Börse, aus der immer diese geleckten Börsenberichterstatter senden, die mir immer mehr vorkommen wie Aliens, deren Sprache ich nicht mehr spreche. Oder sie sitzen vor der Deutschen Bank. Lassen keinen mehr rein, der mit Lebensmitteln oder gegen die Zivilgesellschaft ganzer Staaten spekulieren will. Oder eben vor der EZB. Weil die Rettungspolitik keine Gesellschaften rettet, sondern nur Banken. Immer nur Banken.100.000 kann man nicht wegtragen, wenn die alle da sitzen, friedlich, ruhig, bestimmt, beherrscht. Dann kann man sie nicht wegtragen. Und auch nicht ignorieren. Und vielleicht kann man sie sogar nicht mal lächerlich machen. Weil es zu viele sind.

Und wann werden es so viele? Wahrscheinlich erst dann, wenn sie zuletzt die Lebensversicherungen und Bausparverträge rasieren, um wieder ein paar Banken zu retten. Oder wenn der erste große Schwung Menschen wegen der ewigen Minijobs und der chronisch miesen Reallöhne mit einer lausigen Grundsicherungsrente in die Altersarmut rutscht. Oder sie zu viele Geringverdiener in die Banlieues verdrängt haben.

Ich weiß nicht, ob so etwas möglich wäre, ich weiß nicht, wie realistisch das ist, ich weiß es einfach nicht. Ich weiß so vieles nicht. Ich bin nur ein durchschnittlicher Exponent der Mittelschicht mit tendenziell guter Sozialprognose und ich bin nicht einverstanden mit den Dingen, ja, es ginge mir sogar ziemlich gut, wenn da nicht dieses Unbehagen wäre, das dieses ins Ungesunde kippende Europa auslöst, ohne dass ich wüsste, was zu tun ist, was richtig ist, was wirksam ist, was etwas bringt, was die Dinge besser macht. Rausgehen. Drinbleiben. Blockieren. Okkupieren. In der Nase bohren. Ich weiß es nicht.


Manchmal wünsche ich mir, dass Mrs. Mop wieder schreiben würde. Die wüsste was zu tun wäre. Vielleicht. Vielleicht auch nicht.