
Ich habe noch gar nicht mein Lieblingskino vorgestellt. Es ist natürlich ein Teil der Yorck-Gruppe, die die Fackel der Kultur im Morast der Multiplexe hochhält, und ich kann außerdem zu Fuß hinlaufen. Perfekt.
Die Yorck-Gruppe betreibt einige kuriose unkoventionelle Lichtspielhäuser in Berlin, weit abseits der dicken glitzernden Multiplexe. Ihre Kinos sind etwas für Liebhaber, sie versuchen den Spagat zwischen Kunst und Kommerz und belegen damit eine ausgeglichene Mittelposition zwischen den winzigen, von Enthusiasten betriebenen Hinterhofwohnzimmerkinos, die die neuesten mit einer altersschwachen Digicam aufgezeichneten Kassengifte der örtlichen Antifa oder die experimentellen Versuche der so verkrachten wie verlebten ewigen Studenten aus der Nachbarschaft (oder schlimmer: aus der UdK) zeigen, und den durchkommerzialisierten Multiplexen mit ihren ewiggleichen Blockbustern für das sagenhaft debile Ohne-besoffen-zu-sein-Nacho-mit-Käse-Fresser-Publikum aus den intellektuell hoffnungslos vernachlässigten Randbezirken.
Das Filmtheater am Friedrichshain gehört auch dazu. Also zu den Guten. Bei denen kein Ronny mit peinlichen Tribals und Ohrtunneln zum Fusselbart und auch keine Schakelyne mit drei verschiedenen Haarfarben in einer Frisur das ästhetische Gleichgewicht zerfickt. Gut, ab und an laufen hier tatsächlich öde Kassenschlager für den Massengeschmack, allerdings gut ausgewogen im Verhältnis zu den kleinen Perlen, gerne auch von unbekannten Filmschaffenden aus Osteuropa (Bydgoszcz, Chisibubikaio, wissen Sie ja), die auf dem westlichen Massenmarkt nicht den Furz einer Chance haben und in denen ich manchmal alleine zusammen mit einem alten rotbeschalten Lehrerehepaar sitze, die beide die Frisur von Albert Einstein haben und den ganzen Film mit Daumen und Zeigefinger an ihrem Kinn rumzubbeln. Wahrscheinlich schreiben die für ein marginalisisertes Kulturmagazin, das keiner liest. Oder sie bloggen, was auch keiner liest.
Nein wirklich, das Publikum ist so entspannt, dass ich hier tatsächlich auch woanders als immer nur in der letzten Reihe sitze, in der mir keiner den ganzen Film lang in den Rücken treten oder seine keimigen Käsemauken auf der Sitzlehne neben mir platzieren kann. Die peinlich-primitiven palavernden und popcornschmeißenden Pestbeulen von Bild-Lesern und RTL2-Glotzern, deren Kaaba das unerträgliche Cubix am Alexanderplatz ist, sucht man zwar nirgendwo wirklich, aber wenn, dann hier auf jeden Fall vergeblich.
Und damit das Bild nicht wieder so abstoßend positiv und lebensbejahend ist, habe ich auch einen Schatten am Revers des Lieblingskinos: Das Popcorn ist grottig. Wirklich übel. Keine Ahnung, wie lange das schon in dieser Vitrine liegt, aber wie von heute dieser Woche diesem Monat schmeckt es nie. Eher wie Styroporkugeln. Abgestandene Styroporkugeln, deren Salz (oder für Geschmacksgehandicapte: Zucker) sie schon lange verlassen hat und sich auf dem Grund des Sees Popcorntanks in skurrilen Vewehungen sammelt. Aber hey, hier ist Prenzlauer Berg, wahrscheinlich isst das sowieso nie einer außer mir. Alle anderen bringen sich ihre Dinkelkekse, Biolachsbagel, Tofuwürste und Sojaschnittchen wahrscheinlich im Jutebeutel selber mit. Ich kann nichts für meine Nachbarn hier im Hip Hip Hipsterbezirk.
Filmtheater am Friedrichshain
Bötzowstraße 1
Prenzlauer Berg
http://www.yorck.de/kinos/detail/100005
Ein alter Qype-Text. Aus Anlass eines wieder einmal gelungenen Abends ausgegraben und immer noch wahr. Nur der grottige Smartphoneschnappschuss ist neu.
Ja, es ist ein schönes Kino, einer der verbliebenen Orte meines Bezirks, vor denen ich nicht schnell weglaufen mag.
Der Text ist von 2010, was Sie auch daran merken, dass ich Prenzlauer Berg als Hipsterbezirk bezeichne. Das ist inzwischen Unsinn. Die Hipster haben Prenzlauer Berg schon längst verlassen, weil Prenzlauer Berg der letzte Heuler und viel zu uncool zum im Cupcake-Café hinter dem Macbook mit riesigen Kopfhörern auf den Ohren wichtig-dumm in der Gegend rumposen geworden ist. Ehrlich, niemand von Verstand mag mehr mit Prenzlauer Berg in Verbindung gebracht werden, die wenigen Leute mit der seltenen Fähigkeit zu einer realistischen Reflektion ihrer selbst und ihres Umfelds behaupten inzwischen, dass sie in Pankow wohnen, wenn sie nach ihrem Zuhause gefragt werden, weil sie keine Lust mehr auf die Lacher und die Witze über Biowildlachs, Bärlauchpesto und schmallippige Dachgeschossökos ohne Sexualleben abseits ihrer Vermehrung haben, meine Güte, Prenzlauerbergisierung ist schon das anerkannte und gern genommene Synonym für ungesunde Stadtentwicklung geworden, denn überall machen sie sich Sorgen darüber, so monoton und geleckt „wie Prenzlauer Berg“ zu werden, so seelenlos, glatt und ungesund gesund wie dieses abschreckende Beispiel einer städtischen Dorfidylle, diese betongewordene Gesellschaftsmutation abgehobener Salatfresser mit Concierge, Jugendstil und Rollgatter, deren bräsige Bewohner nur mehr Gespött einer ganzen Nation sind, und jeder diese ungewollte Karikatur eines Spießerghettos wahlweise hasst oder mindestens lächerlich findet – vom Münchner Stammtisch bis zur hanseatischen Skatrunde, und ich bin mir sicher, dass sie selbst in Stuttgart Witze über Prenzlauer Berg und die Vollidioten, die sie dorthin verklappt haben, machen, während sie selbst in der chronisch superkorrekten Grünwählerpostille taz schon voller Begeisterung auf dieser traurigen Peinlichkeit von Oberklassen-Schnöselparadies und seinem narzisstisch-exzentrischen Personal mit ihren ewigen Zipfelmützenproblemen herumhacken. Was soll denn da noch kommen?
Filmtipp bei der Gelegenheit: Wir sind jung. Wir sind stark., der die Schande von Rostock-Lichtenhagen noch einmal beklemmend in Szene setzt.