Hallo, ich bin Fritz und ich fang jetzt an

Hallo, ich bin Fritz und ich fang jetzt an. Bum Bum.

Ich war schon lange nicht mehr auf dieser Sorte Konzert, doch ich erkenne sie sofort wieder: Ein paar 15-jährige Borderliner, viele mittelalte und inzwischen vollkommen verbrauchte Druffis, Zehlendorfer Hilfiger-Träger auf Koks, irgendwelche unpassend Alten mit Jack Wolfskin-Pullover, die aussehen als würden sie ihre Töchter suchen und von hier fortbringen wollen. Und natürlich die Schnorrer.

Die habe ich schon seit langem erfolgreich verdrängt und kreuze nur noch selten ihre Wege, doch hier sind sie wieder, die minderjährigen und merkbefreit überschminkten Schnorrer, die einen erst antanzen und dann am Ohr hängen:

Ey gibst du mir einen aus?

(Hört das nie auf…)

Gegenfrage: Hast du was?

Nee.

Dann verpiss dich.

Eine schlechte Angewohnheit von mir auf Veranstaltungen ist, die Security zu beobachten. Die ist hier heute wie so oft schwach. Der Schraubenschlüssel in der Seitentasche der Hose, der dort seit ich den Sattel vom Kinderfahrrad höher gestellt habe verwest, bleibt unentdeckt. Ich hätte wieder einmal eine unkonventionelle Sprengvorrichtung am Einlass vorbeischmuggeln können, das hätte keiner gemerkt.

Sowieso sehen diese Germanistikstudenten (sorry, Konrad, Running gag, du weißt ja…) nicht so aus als wären sie nicht die Ersten, die bei einem Gewaltausbruch sofort über den Zaun aufs Tempelhofer Feld stiften gehen würden, aber das sollen sie auch nicht, es ist ja nur der Einlass. Die Versicherung verlangt, dass da welche stehen. Keiner von denen hat Bock, klar, zu schlecht bezahlt, zu weit weg von allem was interessant ist. Und nur Penner und Druffis als Klientel.

Die Fähigen und besser Bezahlten stehen hinter der Bühne. Und vor der Bühne. Und die ganz Krassen sitzen in einem Nebenraum auf Abruf. Wenn es knallt, gehen die raus und wenn die Studenten dann noch da sind, lernen sie, wie die Profis Stunkmacher in ganz wenigen Sekunden neutralisieren. Jede gute Securityfirma hat solche Typen in der Hinterhand, die unter normalen Umständen nicht das Tageslicht sehen. Die Reserve. Die Bereitschaft. Die Bulldozer.

Neben mir steht ein Typ (Typ übrigens immer mit y, wer Typ mit ü schreibt, ist ein hängengebliebener Hipster aus den Nullerjahren und trägt Jutebeutel mit Flanellhemd und Bauchtasche), der einem anderen Typen seine Lebensgeschichte ins Ohr brüllt während seine Freundin im Rhythmus ihren Arsch an meinem Schritt reibt und sich im Halbminutentakt bei mir dafür entschuldigt.

Ick unn’n mein Vadder sinn’n so sag ick dir. So. Und kreuzt die Finger. Unn`n seit ick ’ne kleene Tochta habe nehm ick nix mehr, nüschte, früher war ick ja Stammgast im Tresor. 3 Tage. Jedes Wochenende 3 Tage druff. Die ham mich da schon mit Handschlag…

Opa. Krieg. Tresor. E-Werk. Ich muss hier weg. Tresen. Whisky-Cola. Ich ertränke meine Umwelt wie so oft in Alkohol, wenn sie nüchtern nicht zu ertragen ist. Heute wären zwar Amphetamine die erste Wahl, doch Alkohol geht auch. Es ist nur eine Frage der Menge. Whisky-Cola. Großzügig gemischt. Wenn ich Glück habe, ist es mein Kumpel Jack.

Doch sie haben nur Jim Beam, den Goblin unter den Whiskys, den hässlichen kleinen Bruder, den Verwachsenen, den keiner mag und den es trotzdem überall gibt, oft als Einzigen, so dass man ihn nehmen muss ohne ihn zu wollen. Wie hier. Ja. Ja doch. Sicher. Her damit. In der Not kippt der Säufer auch Fusel wie den, wenn die Alternative Smirnoff mit Red Bull oder Schlimmeres auf der Basis von Jägermeister ist.

Eine so sexistische wie absolut überlebensnotwendige Regel beim Longdrinkbestellen auf Konzerten lautet übrigens: Bestellen Sie bei einem Mann. Die jungen, sicherlich sehr freundlichen und sonst wahnsinnig bemühten Frauen wollen Sie immer schonen, indem sie nur eine obszön winzige Menge Whisky in den Tank kippen und den Rest mit Cola und Eiswürfeln vollfüllen, so dass das Ergebnis eine Cola mit Eiswürfeln ist. Das ist zwar gesundheitsfördernd, aber nicht zielführend und auf Dauer auch zu teuer. Die Männer mischen 50:50. Ohne Eiswürfel. Rockin‘. Gut investierte 6 Euro. Ich kann mir also die „Vorgruppe“ namens Tender Games schönsaufen, die irgendeine anstrengende Art von Fahrstuhl Hotellobbymusik macht, zu der außer ihnen selbst keiner so richtig abgehen mag.

Doch egal. Die Hirntoten filmen auch diesen Scheiß ab und produzieren lächerliche Smartphonevideos, die sich nie wieder einer ansieht, weil sie unerträglich übersteuert und sowieso verwackelt sind.

Sie fotografieren und filmen sowieso wieder als gäbe es kein Morgen. Sie konservieren um des Konservierens Willen. Haben. Sammeln. Auf Facebook hochladen, worauf das Ding jeder liket ohne es anzusehen. Egal was: Den Augenblick erleben bringen sie nicht mehr. Es ist nur noch wichtig, was sich später darstellen lässt. Share. Share. Ein Leben für die Timeline.

Ich beschließe, Leute zu fotografieren, die ihr Telefon in die Luft halten. Was mich automatisch auch zu jemandem macht, der sein Telefon in die Luft hält. Interpretieren Sie. Was will der Künstler damit sagen? Will er sich gemein machen mit denen, auf die er so arrogant herabschaut? Ist es ironisch? Ein Zirkelschluss? Nimmt er sich selbst nicht so ernst? Was will er und vor allem wohin? Erörtern und diskutieren Sie diese Fragestellungen. Zeit: 2 Stunden. Die Note fließt in Ihren Klippschulabschluss ein.

Der König der Verstrahlten ist einer, der sein Leuchtelicht am Smartphone eingeschaltet hat und die Lichtshow abfilmt – wohl in der Hoffnung, das verbessere die Bildqualität oder so.

Dabei geht er nur allen Umstehenden auf den Sack, die er blendet, was er nicht mitbekommt, weil er drauf ist. Drauf, drauf, Druffis. Als Fritz Kalkbrenner mit dem wunderbar lakonischen Satz „Hallo, ich bin Fritz und ich fang jetzt an“ loslegt, rächt es sich, dass sie hier offenbar wieder mehr Karten verkauft haben als Platz in der Columbiahalle ist. Wenn das irgendwann mal eine Stampede gibt, will es wieder keiner gewesen sein. Gier frisst nicht nur Hirn, sondern immer auch Verantwortung. Wer am meisten profitiert, war es am Schluss nie, wenn etwas schief geht. Können Sie übertragen auf was Sie wollen, es passt immer. Eine Binse.

Und ein Gedränge. Wo ich bin, ist immer der Durchgang. Zu viele Leute. Viel zu viele Leute. Und alle wollen nach vorne und wenn es nicht mehr weiter geht, dann pöbeln sie, dann schubsen sie, dann sind sie sozial überfordert und dann werden zwei Dinge manifest:

1. Es gibt zu viele Menschen auf der Welt und vor allem hier drin.

2. Menschen sind böse. Jeder tanzt jeden an. Der zwischenmenschliche 50 cm-Höflichkeitsabstand reduziert sich wenn Sie Glück haben auf 10. Meistens auf 0. Ellenbogen. Rippen. Sie schieben weg, sie drücken zur Seite, sie knacken mit der Führhand auf und schieben sich durch. Manche brüllen dazu „Vooooooorsicht!“. Und wer zu schwach ist, wird nach hinten durchgereicht. Der Drink in meiner Hand ist der Gefährdetste von uns beiden. Ich kipp‘ den auf ex runter, das bringt doch nix. Und den Becher schmeiß‘ ich weg. Scheiß auf das Pfand, darauf spekulieren sie eh, dass keiner die rote Pfandmarke aufhebt oder wiederfindet und dann den Becher nicht mehr abgeben kann, ich auch nicht, wo ist die Pfandmarke, weg, natürlich weg, deswegen machen sie das ja, Pfandmarken sind immer weg und finden sich Jahre später in den hintersten Ritzen von Manteltaschen ein, wo sie nichts mehr einbringen. Ich habe mal eine im Stiefel gefunden. Fragen Sie nicht.

Aus. Aus. Das Spiel ist aus. Ich gehe nach … (wer das reimt, ist blöd).

Wie immer auf dem Heimweg von der Columbiahalle pisse ich noch an Adolf Hitlers Flughafen, bevor ich zur U-Bahn laufe und am Kiosk nach einer Pointe frage, doch die sind ausverkauft, also kaufe ich eine Dose Jacky Cola, um den hässlichen Jim aus der Mundhöhle zu spülen.

Das war Fritz und jetzt spielt er nicht mehr.