Herzlichen Glückwunsch, es ist ein Honk (27)

Gestern fiel der erste halbwegs richtige Schnee des Jahres und natürlich verloren die Berliner zu ihrem überwiegenden Teil plötzlich und unvermittelt ihre Fähigkeit zum Autofahren. Es ist immer das gleiche Idiotenkarussel: Sobald es schneit, können sie nichts mehr. Da wird sinnlos gebremst, gerutscht, alle fahren Schrittgeschwindigkeit anstatt gleich zu Fuß zu gehen, was wenigstens die Straße für diejenigen frei machen würde, die ihr Fahrzeug winterfest gemacht haben und auch bei Schnee nicht verlernt haben, es zu bedienen.

Und wie auf Bestellung nutzte auch die marode Berliner S-Bahn die Gelegenheit, ihr schon zu sonstigen Jahreszeiten vernachlässigtes Angebot noch einmal ordentlich zusammen zu streichen und diejenigen auf dem Bahnsteig frieren zu lassen, die so blöd waren, sich ihre unfähig vor sich hin lenkenden Mitmenschen auf den verschneiten Straßen nicht antun zu mögen.

Denn dort auf den gerade mal ein wenig verschneiten Straßen können sie nicht nur plötzlich kein Auto mehr fahren, sondern verlieren nacheinander Contenance, Kinderstube und jegliche Umgangsformen gleich mit: Fickfinger, Scheibenwischer, geschüttelte Fäuste, Verwünschungen – die Stadt als Kriegsgebiet. Und alle haben Recht. Ein Pinguingehege voller Blindschleichen. Als Autofahrer müssen Sie Ihre Augen überall haben, weil überall irgendwer von irgendwo rauspreschen kann obwohl er das gar nicht darf, was er nicht wissen kann, weil er zu faul war, seine Windschutzscheibe von innen abzukratzen, ergo ausschließlich auf die Kraft der Heizung baut und nun überhaupt nix mehr sieht – schon gar keine Verkehrszeichen.

Wie Sie sehen, ist es eine Strafe, im Winter in Berlin Auto zu fahren. Der einzige Vorteil ist tatsächlich, dass Berlins legendär durchgeknallte Fahrradfahrer endlich Winterpause haben. Zu kalt. Zu rutschig. Für Bürgersteig und rote Ampeln. Das nimmt temporär einen Risikofaktor aus dem Spiel. Immerhin.

Dennoch bin ich heute wieder mittendrin in dieser Freiluft-Irrenanstalt, die sich in meiner Stadt öffentlicher Raum nennt, und fahre durch irgendeine heruntergekommene verkehrsberuhigte Seitenstraße, die auch zum Abend hin noch nicht geräumt ist. Diese hat ein enormes Schlagloch. Natürlich hat sie das, denn Straßen ohne Schlaglöcher finden Sie in Berlin nur in Gegenden, in denen die Reichen der Stadt wohnen, Dahlem, Frohnau, Regierungsviertel, Kollwitzplatz.

In so einem Schlagloch stecke ich also, nachdem vor mir einer zum Stehen kam, um Dinge am Straßenrand zu betrachten oder den untauglichen Versuch zu unternehmen, einzuparken – ich kann das so schlecht auseinanderhalten. Schnee. Matsch. In meinem Schlagloch. Ich gebe Gas. Der Wagen wackelt. Vor. Zurück. Noch ein bisschen Gas. Oh, das war zu viel. Etwas weniger. Vor. Zurück. Vor. Dann bin ich frei.

Als ich fünf Meter weiter an einer Kreuzung erneut zum Stehen komme, klopft es an meine Seitenscheibe.

Ah. Die Polizei.

Ich mache die Scheibe runter.

„ICK WÜRD NOCH BÜSCHN UFFS JAAS JEHN DU VOJEL IMMA NOCHN BÜSCHN UFFS JAAS!! VIEL HILFT VIEL WA? JIB MA RUICH NOCH MEAH JAAS ALTAA! MIM KLAMMABEUTEL JEPUDAT ODA WAT??“

Brüllt, dreht sich um und geht.

Ein Choleriker in Uniform. Und ich habe ihn getriggert. Mit Gas für mein Schlagloch. Und er ist gerastet. Und mir hinterher gerannt. Um mich anzubrüllen. Ich schiebe es auf’s Wetter. Und auf die ganzen Patienten, die heute Auto fahren und es nicht können, was ihn mit Sicherheit permanent an sein psychisches Limit bringt. Nennen Sie mich Tropfen auf dem Fass. Falscher Job. Falscher Moment. Falsche Jahreszeit. Falscher Mitmensch. Meine Faust ballt sich dennoch am Lenkrad. Wieder keine Beweismittel am Start, weder eine Aufzeichnung noch ein Zeuge, wenn man von einem weder geschäfts- noch satisfaktionsfähigen Kleinkind auf dem Rücksitz einmal absieht. Und selbst wenn, es bringt doch alles nix. Bei diesem Wetter. In dieser Stadt.

Ich habe das Fenster bereits wortlos wieder hochgefahren, doch ich will ihm wenigstens noch Arschloch hinterherrufen, wie ich es sonst machen würde, Fotze, Hurensohn, dummer Wichser, diese Liga. Und doch mache ich es nicht. Denn auch das bringt nix. In dieser personellen Konstellation. Macht nur Papierkram. Und Anwalt. Gegen plötzlich auftauchende Zeugen, die Schlimmes über mich bezeugen. Angriff. Widerstand. Sowas. Also Fenster hoch. Bleib locker, bald ist der Schnee weg und sie werden wieder normal bekloppt. Finger weg vom Fenster. Denn ich bin der Tropfen, er der längere Hebel.

Der Honk.


Herzlichen Glückwunsch, es ist ein Honk (26)